Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Trump will Wahl verschieben
Der in Umfragen abgeschlagene US-Präsident bestätigt Befürchtungen mit einem Tweet – US-Wirtschaft erlebt schlimmsten Einbruch seit 1947
Berlin. Jetzt also doch. Will sich Donald Trump vor der Präsidentenwahl in gut drei Monaten drücken, um im Amt zu bleiben? Vor Wochen hatte er bereits vor Briefwahlen gewarnt. Durch sie könnte das Ergebnis massiv „manipuliert“werden, behauptete er damals, ohne Belege dafür zu liefern. Am Donnerstag ging er per Twitter erstmals noch einen Schritt weiter: „Die Wahl hinausschieben, bis die Menschen ordentlich, sorgenfrei und sicher wählen können???“Er wiederholte seine Befürchtung, dass eine starke Zunahme der Abstimmung per Brief zur „betrügerischsten Wahl“der Geschichte führen könnte.
Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden hatte schon Ende April geunkt, dass der Präsident etwas im Schilde führe. „Erinnern Sie sich an meine Worte: Er wird irgendwie versuchen, die Wahl nach hinten zu verschieben, er wird irgendeine Begründung finden, warum sie nicht abgehalten werden kann“, sagte der frühere Vizepräsident. Trump wies dies damals zurück. Er könnte dies auch nicht ohne Weiteres durchdrücken. Nur der US-Kongress wäre befugt, das Wahldatum zu ändern, das gesetzlich auf den 3. November festgelegt ist. Da die oppositionellen Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, gilt dies aber als höchst unwahrscheinlich.
„Die Wahl hinausschieben, bis die Menschen ordentlich, sorgenfrei und sicher wählen können???“Donald Trump, US-Präsident
Die neueste Aktion des Präsidenten könnte der verzweifelte Versuch eines Befreiungsschlags sein. Denn derzeit prasseln nur Hiobsbotschaften auf Trump ein. Die Wirtschaft stürzt ins Bodenlose ab, die Arbeitslosigkeit bleibt ungewöhnlich hoch, die Corona-Pandemie frisst sich immer weiter ins Land, in den Meinungsumfragen hinkt der Präsident meilenweit hinterher. Viele USWähler zeigen bei ihm derzeit mit dem Daumen nach unten.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Konjunktur in den Vereinigten Staaten im zweiten Quartal so heftig wie zuletzt 1947 eingebrochen ist. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte laut Handelsministerium aufs Jahr gerechnet um 32,9 Prozent. Nach der in Europa gebräuchlichen Rechenweise läge das aktuelle Minus in Amerika bei etwa zehn Prozent im Vergleich zum Vorquartal.
Durch die Rezession haben Millionen Menschen in den USA ihre Jobs verloren. Insgesamt nehmen derzeit 17 Millionen Menschen Arbeitslosenunterstützung in Anspruch. Die Präsidentenpartei im Kongress, die Republikaner, blockiert derzeit eine Verlängerung der Bundeshilfen für Arbeitslose in Höhe von 600 Dollar pro Woche. Vielen droht der finanzielle Absturz und die Zwangsräumung ihrer Mietwohnungen ab August. Für Trump, der ursprünglich mit einem Konjunkturaufschwung und einem Börsenfeuerwerk in die Wahl gehen wollte, sind diese Nachrichten ein Desaster.
Von höchster Stelle gab es eine weitere Warnung. Notenbankchef Jerome Powell erklärte: Gelinge es nicht, das Coronavirus einzudämmen, sei eine vollständige Erholung der Wirtschaft „unwahrscheinlich“. Die Regierung Trump hatte dagegen durch ein von vielen scharf kritisiertes Corona-Management die Krise dramatisch verschärft. Der Präsident ignorierte die Pandemie zu Beginn, redete sie danach klein und stellte später China als Sündenbock dar, der Informationen über die Seuche angeblich vertuscht habe. Am Ende setzte der Präsident die Bundesstaaten unter Druck, den Lockdown aufzuheben und die
Wirtschaft unter Dampf zu setzen.
Das Kalkül Trumps erwies sich als kompletter Fehlschlag. Nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität haben sich bis Donnerstag 4,43 Millionen Menschen mit dem Virus angesteckt, 150.733 sind gestorben. Die USA stehen mit großem Abstand auf Platz eins des weltweiten Corona-Rankings.
Der renommierte Virologe Anthony Fauci, der dem Präsidenten öffentlich immer wieder in die Parade gefahren ist, mahnte die Amerikaner erneut zu eisenharter Disziplin. Sie sollten dringend fünf Maßnahmen befolgen: Masken tragen, Menschenansammlungen meiden, einen Mindestabstand von knapp zwei Metern einhalten, Hände waschen und sich von Bars fernhalten oder diese, wo möglich, schließen. Der Mediziner mit dem silbergrauen Haar gibt in diesen Tagen den Anti-Trump. Am Dienstag beschwerte sich der Chef des Weißen Hauses in einer Pressekonferenz, dass Fauci populärer sei als er selbst, und schloss mit den Worten: „Niemand mag mich.“
Viel Raum für Spekulationen
Die Meinungsumfragen belegen, dass sich der Präsident im Abwärtssog befindet. Laut der unabhängigen politischen Webseite realclearpolitics.com liegt der Amtsinhaber im Durchschnitt neun Prozentpunkte hinter Biden. Selbst in Wechselwählerstaaten wie Florida, Pennsylvania oder Michigan – die Trump 2016 knapp gewonnen hat – sieht der Präsident kein Land. Der neue Trump-Tweet über die Wahlverschiebung öffnet Raum für Spekulationen über die wahren Absichten des Präsidenten. Auf die Frage des Moderators Chris Wallace in seinem Lieblingssender Fox News, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren würde, antwortete er kürzlich: „Das muss ich sehen. Ich werde jetzt nicht einfach Ja sagen.“In Washington rätseln viele: Welcher Vorstoß Trumps kommt als Nächstes?