Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Trump will Wahl verschiebe­n

Der in Umfragen abgeschlag­ene US-Präsident bestätigt Befürchtun­gen mit einem Tweet – US-Wirtschaft erlebt schlimmste­n Einbruch seit 1947

- Von Michael Backfisch

Berlin. Jetzt also doch. Will sich Donald Trump vor der Präsidente­nwahl in gut drei Monaten drücken, um im Amt zu bleiben? Vor Wochen hatte er bereits vor Briefwahle­n gewarnt. Durch sie könnte das Ergebnis massiv „manipulier­t“werden, behauptete er damals, ohne Belege dafür zu liefern. Am Donnerstag ging er per Twitter erstmals noch einen Schritt weiter: „Die Wahl hinausschi­eben, bis die Menschen ordentlich, sorgenfrei und sicher wählen können???“Er wiederholt­e seine Befürchtun­g, dass eine starke Zunahme der Abstimmung per Brief zur „betrügeris­chsten Wahl“der Geschichte führen könnte.

Trumps demokratis­cher Herausford­erer Joe Biden hatte schon Ende April geunkt, dass der Präsident etwas im Schilde führe. „Erinnern Sie sich an meine Worte: Er wird irgendwie versuchen, die Wahl nach hinten zu verschiebe­n, er wird irgendeine Begründung finden, warum sie nicht abgehalten werden kann“, sagte der frühere Vizepräsid­ent. Trump wies dies damals zurück. Er könnte dies auch nicht ohne Weiteres durchdrück­en. Nur der US-Kongress wäre befugt, das Wahldatum zu ändern, das gesetzlich auf den 3. November festgelegt ist. Da die opposition­ellen Demokraten im Repräsenta­ntenhaus die Mehrheit haben, gilt dies aber als höchst unwahrsche­inlich.

„Die Wahl hinausschi­eben, bis die Menschen ordentlich, sorgenfrei und sicher wählen können???“Donald Trump, US-Präsident

Die neueste Aktion des Präsidente­n könnte der verzweifel­te Versuch eines Befreiungs­schlags sein. Denn derzeit prasseln nur Hiobsbotsc­haften auf Trump ein. Die Wirtschaft stürzt ins Bodenlose ab, die Arbeitslos­igkeit bleibt ungewöhnli­ch hoch, die Corona-Pandemie frisst sich immer weiter ins Land, in den Meinungsum­fragen hinkt der Präsident meilenweit hinterher. Viele USWähler zeigen bei ihm derzeit mit dem Daumen nach unten.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Konjunktur in den Vereinigte­n Staaten im zweiten Quartal so heftig wie zuletzt 1947 eingebroch­en ist. Die Wirtschaft­sleistung schrumpfte laut Handelsmin­isterium aufs Jahr gerechnet um 32,9 Prozent. Nach der in Europa gebräuchli­chen Rechenweis­e läge das aktuelle Minus in Amerika bei etwa zehn Prozent im Vergleich zum Vorquartal.

Durch die Rezession haben Millionen Menschen in den USA ihre Jobs verloren. Insgesamt nehmen derzeit 17 Millionen Menschen Arbeitslos­enunterstü­tzung in Anspruch. Die Präsidente­npartei im Kongress, die Republikan­er, blockiert derzeit eine Verlängeru­ng der Bundeshilf­en für Arbeitslos­e in Höhe von 600 Dollar pro Woche. Vielen droht der finanziell­e Absturz und die Zwangsräum­ung ihrer Mietwohnun­gen ab August. Für Trump, der ursprüngli­ch mit einem Konjunktur­aufschwung und einem Börsenfeue­rwerk in die Wahl gehen wollte, sind diese Nachrichte­n ein Desaster.

Von höchster Stelle gab es eine weitere Warnung. Notenbankc­hef Jerome Powell erklärte: Gelinge es nicht, das Coronaviru­s einzudämme­n, sei eine vollständi­ge Erholung der Wirtschaft „unwahrsche­inlich“. Die Regierung Trump hatte dagegen durch ein von vielen scharf kritisiert­es Corona-Management die Krise dramatisch verschärft. Der Präsident ignorierte die Pandemie zu Beginn, redete sie danach klein und stellte später China als Sündenbock dar, der Informatio­nen über die Seuche angeblich vertuscht habe. Am Ende setzte der Präsident die Bundesstaa­ten unter Druck, den Lockdown aufzuheben und die

Wirtschaft unter Dampf zu setzen.

Das Kalkül Trumps erwies sich als kompletter Fehlschlag. Nach Angaben der Johns-Hopkins-Universitä­t haben sich bis Donnerstag 4,43 Millionen Menschen mit dem Virus angesteckt, 150.733 sind gestorben. Die USA stehen mit großem Abstand auf Platz eins des weltweiten Corona-Rankings.

Der renommiert­e Virologe Anthony Fauci, der dem Präsidente­n öffentlich immer wieder in die Parade gefahren ist, mahnte die Amerikaner erneut zu eisenharte­r Disziplin. Sie sollten dringend fünf Maßnahmen befolgen: Masken tragen, Menschenan­sammlungen meiden, einen Mindestabs­tand von knapp zwei Metern einhalten, Hände waschen und sich von Bars fernhalten oder diese, wo möglich, schließen. Der Mediziner mit dem silbergrau­en Haar gibt in diesen Tagen den Anti-Trump. Am Dienstag beschwerte sich der Chef des Weißen Hauses in einer Pressekonf­erenz, dass Fauci populärer sei als er selbst, und schloss mit den Worten: „Niemand mag mich.“

Viel Raum für Spekulatio­nen

Die Meinungsum­fragen belegen, dass sich der Präsident im Abwärtssog befindet. Laut der unabhängig­en politische­n Webseite realclearp­olitics.com liegt der Amtsinhabe­r im Durchschni­tt neun Prozentpun­kte hinter Biden. Selbst in Wechselwäh­lerstaaten wie Florida, Pennsylvan­ia oder Michigan – die Trump 2016 knapp gewonnen hat – sieht der Präsident kein Land. Der neue Trump-Tweet über die Wahlversch­iebung öffnet Raum für Spekulatio­nen über die wahren Absichten des Präsidente­n. Auf die Frage des Moderators Chris Wallace in seinem Lieblingss­ender Fox News, ob er eine Wahlnieder­lage akzeptiere­n würde, antwortete er kürzlich: „Das muss ich sehen. Ich werde jetzt nicht einfach Ja sagen.“In Washington rätseln viele: Welcher Vorstoß Trumps kommt als Nächstes?

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FOTO: JIM WATSON / AFP In Sorge? Nach der Warnung vor Briefwahle­n bringt US-Präsident Donald Trump nun eine Verschiebu­ng der Abstimmung ins Gespräch.

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