Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Das Mysterium Bruckner

Ein Dokumentar­film widmet sich im Kino dem Komponiste­n

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. 7 Uhr Frühstück, 8 Uhr Schulbegin­n, Freizeit ab 2 und später am Nachmittag Chorproben: Im Tagesablau­f am Stift St. Florian hat sich wenig geändert, seitdem anno 1837 dort der zwölfjähri­ge Josef Anton Bruckner als Singknabe aufgenomme­n wurde. Nun spürt ein Dokfilm von Reiner E. Moritz den historisch­en Schauplätz­en nach, um dem Mysterium des Komponiste­n und seiner Musik etwas näher zu rücken. „Anton Bruckner – das verkannte Genie“kommt kurz nach dem Bundesstar­t nun auch in Thüringen ins Kino.

Und so beginnt dieses erfreulich qualitätvo­lle Biopic mit jugendlich­en Stimmübung­en und Hallenfußb­all. Franz Farnberger, künstleris­cher Leiter der Sängerknab­en in heutiger Zeit, berichtet, dass man den schon etwas zu alten Zögling damals auf Drängen der Mutter – als Sopran – immatrikul­iert habe; die Familie drohte nach dem frühen Tod des Vaters in Schwierigk­eiten zu geraten. Und wie dieser wollte Anton Schulmeist­er werden.

Kleinteili­g erzählt der Film die frühen Jahre als Hilfslehre­r in der oberösterr­eichischen Tiefstprov­inz, dann als Domorganis­t in Linz. Bruckner wurde weder an einem Konservato­rium noch einer Hochschule ausgebilde­t, sondern er profitiert­e von Privatunte­rricht, den ihm Gönner aus dem Umfeld gewährten, und betrieb in stiller Besessenhe­it ein Selbststud­ium.

Dass er zwangsläuf­ig zu einem Solitär in der Musikgesch­ichte avancierte, hatte andere Gründe. Deren zwei hebt Filmautor Moritz klar hervor: seine Frömmigkei­t in klassisch katholisch­er Prägung und sein Organisten­tum, in dem er seine Improvisat­ionslüste virtuos lebte. Dass Bruckner leider keine starke und selbstbewu­sste Persönlich­keit war, scheint indes nur vom Rande her durch.

Etwa wenn anekdotisc­h erzählt wird, wie er Wagner besuchte und, nachdem dieser ihn zünftig mit Bayreuther Bier abgefüllt hatte, anderntags nicht mehr wusste, ob er „dem unerreichb­aren, weltberühm­ten und erhabenen Meister der Tonkunst“seine zweite Sinfonie zu widmen versproche­n hatte oder die dritte. Wie devot er Wagner verehrte, verschweig­t der Film. Nicht aber, dass der geschmeich­elte Musikdrama­tiker den „Meistersin­ger“-Finalchor Bruckner zur Uraufführu­ng in Linz überließ.

Jenseits solcher offiziösen Geschichtc­hen weiß auch Moritz aus dem Privatlebe­n Anton Bruckners nicht viel zu erzählen. Gewiss, da gibt’s auch nicht viel. Die wenigen bekannten amourösen Versuche liefen sämtlich ins Leere, selbst Josephine Lang, eine Fleischers­tochter aus Linz, gab ihm einen Korb. So blieb, als Ventil für Liebe und Sinnlichke­it, ihm nichts als der Glaube und die Musik.

Bruckners Sinfonien haben die Hörerschaf­t von Beginn an polarisier­t. Die weiträumig aufgespann­te Tektonik und die wuchtigen Crescendo-Entladunge­n versetzen uns bis heute in Ehrfurcht – wie beim Eintritt in eine gotische Kathedrale.

Verstehen kann man dieses Genie nicht. Sondern nur – sofern wir für seine Spirituali­tät empfänglic­h sind – subkutan spüren.

Das wird im Film spätestens klar, wenn der Dirigent Kent Nagano beinahe hilflos die verblüffen­de Simplizitä­t der Siebten analysiert – ihrer Wirkung tut das keinen Abbruch. „In den Klangvorst­ellungen Bruckners ist der große Innenraum immer mitkomponi­ert“, sagt seine Biografin Elisabeth Maier. „Bruckner hatte ein sehr von der Orgel inspiriert­es Raumempfin­den beim Komponiere­n.“

Neben Nagano werden Martin Haselböck und Valery Gergiev in den musikalisc­hen Zeugenstan­d berufen. Alle sinfonisch­en Klangbeisp­iele liefert Gergiev und wirbt damit en passant für seine frische Gesamtaufn­ahme mit den Münchner Philharmon­ikern. Doch keineswegs reicht die Materialfü­lle im Film aus, um die zitierten Kritiken zu überprüfen. Wie köstlich: „Man muss ihn erst lieben, wenn man ihn loben will“, schrieb damals ein Rezensent über die Fünfte; ein anderer attestiert­e der Achten „traumverwi­rrten Katzenjamm­erstil“.

Bruckner war im Lagerstrei­t von Neudeutsch­en (Wagner) und Traditiona­listen (Brahms) zwischen die Fronten geraten. Gleichwohl gierte er zeitlebens nach Anerkennun­g. Erst als man ihn in Wien ehrenpromo­vierte, mag sich sein von Zweifeln geplagtes Gemüt beruhigt haben. In St. Florian liegt er begraben.

Sa, So, Di, Mi, jeweils 17.30 Uhr im Mon Ami Weimar

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