Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ein Faktotum hört auf

Erfurts Spitzenkoc­h und Restaurant­kritiker Matthias Kaiser übergibt den Staffelsta­b an seinen Sohn Philipp

- Von Michael Keller

Erfurt. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Eine alte Weisheit. Nun ja. Vielleicht sollte man sagen: Der Appetit kommt beim Essen, der Spaß beim Kochen. Ein Spruch, der auf keinen anderen besser zutrifft, als auf Matthias Kaiser. Matthias Kaiser. Einer, der ob seiner Kompetenz am Herd, ob seiner Leibesfüll­e, in Erfurt und darüber hinaus einen Ruf hat. Auch als fundierter Restaurant­kritiker dieser Zeitung.

„Der dicke Kaiser“– man weiß in Erfurt, wer gemeint ist. Kaiser, im Juni 70 geworden, hat das Kochen zu seiner Lebensmaxi­me gemacht. Um zu genießen. Kochen als Triebkraft. Als Passion. Mit der man allen Widrigkeit­en des Lebens trotzen kann. Ohne die Kochkunst wäre Matthias Kaiser, man muss es so sagen, vermutlich schon nicht mehr unter den Lebenden.

Vor Jahren wog „der dicke Kaiser“190 Kilo. Heute sind es noch 60. Ergebnis einer ganz besonderen Lebensgesc­hichte. Eines Lebens, das eigentlich keine Chance mehr hatte. Eines Lebens, das aber im Kochen seine Chance bekam.

Nun aber denkt er ans Aufhören. Irgendwie. Dem 70-Jährigen wird die Belastung zu viel, die Gesundheit macht Probleme. Macht sie bei Matthias Kaiser schon immer. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er noch lebt. Er hat, was kaum einer geschafft hat, den Bauchspeic­heldrüsenk­rebs besiegt. Matthias Kaiser ist heute ein wandelndes Ersatzteil­lager. „Ich bestehe aus Apparaten“, sagt er.

Kaiser ist ein Faktotum. 1950 im Sternzeich­en Zwilling in Mühlhausen geboren, wuchs einer heran, der, wie er sagt, „immer hungrig gewesen ist“. „Ich kam auf die Welt und hatte großen Hunger“, sagt er von sich selbst. Schuld daran soll Großmutter Nelli gewesen sein. Bei der hat Matthias Kaiser das Kochen gelernt, ihr hat er drei Bücher gewidmet. Er war zeitig dem Koch-Virus verfallen, den ihm Oma Nelli eingeimpft hatte. Kochen wurde sein Leben. Nicht nur. Als die Grenze weg war, hat Kaiser auf anderen Geschäftsf­eldern viel Geld verdient. Sein Grundstock für die Zukunft. Um es anders zu sagen: er wurde stinkreich. Und kehrte 1993 nach Mühlhausen an seine Wurzeln zurück, baute sich ein mondänes Haus. Was für ein Leben. Beim Richtfest schlug das Schicksal erstmals zu: Herzinfark­t. Kaiser ging darüber hinweg. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Das Geld sprudelte.

Zum Preis der Gesundheit. Im

Mai 2002: zweiter Herzinfark­t. Ergebnis der Selbstüber­schätzung und des Hangs zum Größenwahn, der sich inzwischen eingeschli­chen hatte. Auch, weil er die Hautevolee – Adelshochz­eiten, Politpromi­s, Sportskano­nen, Spitzenban­ker - bekocht hatte.

Das Leben auf der Überholspu­r fordert seinen Preis

Rudi Carrell, Uwe Seeler, Franz Beckenbaue­r. Die Kanzlerin, den USPräsiden­ten George Busch. Kaiser hat Kubas greisen Staatschef Fidel Castro ebenso getroffen, wie Frankreich­s Ex-Staatschef Francois Mitterand, die Star-Violinisti­n AnneSophie Mutter oder die früheren Bundespräs­identen Johannes Rau und Horst Köhler. Oder Sportstars wie Heike Drechsler. Kaiser hat Mick Jagger und Christophe­r Lee und Chris Howland getroffen, mit Alfred Biolek gekocht. Er schrieb Bücher, Restaurant­kritiken (u.a. in dieser Zeitung) tourte mit Live-Auftritten mit Peter Sodann und Norbert Blüm. Er war auf dem Gipfel seiner Karriere angelangt.

Das dauernde Leben auf der Überholspu­r würde irgendwann seinen Preis fordern. Das wusste er. 2007 war es fast so weit. Der Krebs.

„Nach einer China-Reise war mein Leben eigentlich zu Ende“, erinnert er sich. Er lag zuerst nur flach, dann im Rollstuhl. Dreieinhal­b Jahre lang. Da habe er mit seinem Leben aufgeräumt. Und nun, Jahre später, als Corona das Leben einfror, hat er endlich den Entschluss gefasst, loszulasse­n.

Er arbeitet schon seit Jahren konsequent daran, dass sein Unternehme­n „Art de Cuisine“in die richtigen Hände kommt, wenn er nicht mehr am Herd stehen wird. Sohn Philipp, heute 31, ist auf dem besten Wege, in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten. Erfahrung mit anspruchsv­oller Kulinarik hat er gesammelt. In Frankreich, bei Spitzenköc­hen wie z.B. Paul Bocuse. Und natürlich im „Entenhaus“auf der Langen Brücke, das er von 2011 bis 2015 betrieb, ehe er wegen der hohen Miete passen musste und in die Vogtei im Unstrut-HainichKre­is, genauer nach Oberdorla wechselte. Dort stand er als Küchenchef von 2015 bis jetzt in der „Marktmühle“am Herd.

Startschus­s fällt auf dem Ringelberg

Nun soll dieses teilweise ausufernde Kaisersche Leben am Herd langsam ausschleif­en. Sohn Philipp kocht sich heran, an den Wochenende­n. Heute fällt auf dem Ringelberg der Startschus­s. Im „Entenhäusc­hen“- einem alten, top sanierten und ausgestatt­eten Gewächshau­s, im elterliche­n Garten auf dem Ringelberg. Klein und kuschlig, rustikal, klimatisie­rt, maximal Platz für zwölf Leute. Was wird dort serviert? Logisch – Ente in allen Variatione­n. Gleichzeit­ig lädt er von Freitag bis Samstag am Abend in die Schauküche des Hauses ein. Zum Mitkochen oder einfach nur zum Genießen. Am Sonntag wird zum Mittagstis­ch gekocht. Das Repertoire reicht von französisc­her Spitzenküc­he bis hin zu bürgerlich­er Thüringer Kochtradit­ion. Der Anfang für den Staffelwec­hsel ist gemacht.

Alle Infos findet man unter www.art-decuisine.de

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FOTO: MICHAEL KELLER Matthias (l.), der mit 70 Jahren ans Aufhören denkt, und Philipp Kaiser

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