Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wird das Virus gefährlicher?
Alexander Kekulé:
Wenn Sars-CoV-2 sich ähnlich verhält wie andere pandemische Viren, wird es im Laufe der Zeit ansteckender werden, aber dafür weniger schwere Krankheitsverläufe verursachen. Letztlich ist es für die meisten Krankheitserreger ökonomischer, viele Wirte zu infizieren und diese möglichst selten zu töten.
Friedemann Weber:
Das Rennen der Evolution gewinnt derjenige, der unter den gegebenen Bedingungen die meisten Nachkommen produziert, und Covid-19 ist letztlich die Folge einer solchen schnellen und massiven Virusproduktion. Momentan sind die Bedingungen so, dass Nachkommenviren innerhalb kurzer Zeit wieder einen neuen empfänglichen Wirtsorganismus finden, da es erstens kaum immune Individuen gibt, zweitens Kontakte zwischen Infizierten und Nichtinfizierten
hinreichend häufig sind und drittens die Übertragung sehr effizient ist.
Wenn wir es schaffen, die Bedingungen so zu ändern, dass die schnell wachsenden Virusvarianten
nicht rechtzeitig einen neuen Wirt finden, dann werden wir die Evolution von „zurückhaltenderen“Virusvarianten begünstigen, die sich langsamer vermehren – den Wirtsorganismus also mehr schonen – und dadurch das Fenster zwischen Infektion und Übertragung auf den neuen Wirt länger offen halten. Dies geht mit weniger drastischer Symptomatik und Krankheit einher. Es liegt also an uns, durch Impfungen, Abstand halten, Masken tragen und schneller Isolation von Infizierten die Virus-Evolution in diesem Sinne zu beeinflussen. Tun wir das nicht, werden weiterhin die Virusvarianten die Oberhand haben, die sich auf Kosten des Wirtsorganismus schnell und rücksichtslos vermehren und deshalb besonders gefährlich sind. Meine persönliche Prognose ist, dass das Virus langfristig weniger gefährlich werden wird, aber dass das nur sehr langsam geschieht.
Ulrike Protzer:
Ich glaube nicht, dass das Virus gefährlicher wird. Man hat ja jetzt doch schon sehr viele Infektionen gesehen, und dafür gibt es keinen Hinweis. Das Virusgenom ist dadurch, dass es so lang ist, auch nicht sehr flexibel. Was allerdings möglich ist, ist, dass wir Varianten sehen werden, die gegenüber bestimmten Medikamenten eine Resistenz entwickeln.
Marylyn Addo:
Wir lernen das Virus mit der Zeit immer besser kennen. Zu Beginn der Corona-Pandemie ist man beispielsweise davon ausgegangen, dass das neuartige CoronaVirus vor allem ein Atemwegserreger ist. Doch unsere Studien zeigten, dass es neben der Lunge auch in zahlreichen anderen Organen und Organsystemen zu finden ist – so zum Beispiel auch in der Niere, wo es direkt für die häufigen Schäden bei einer Covid-19-Infektion verantwortlich sein könnte. Diese und weitere Forschungsergebnisse helfen uns, das Virus noch besser zu verstehen, unsere Therapien entsprechend anzupassen und Medikamente zielgerichteter einzusetzen.
„Wir könnten Varianten sehen, die eine Resistenz entwickeln.“Ulrike Protzer