Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Formel 1 als Europameis­terschaft

Gerade in der Krise erweist sich der alte Kontinent als verlässlic­her Kernmarkt. In Silverston­e feiert die Rennserie ihren 70. Geburtstag

- Von Elmar Brümmer

Silverston­e. Das 1000. Formel-1Rennen im letzten Frühjahr fand vor trostloser Kulisse in Schanghai statt, damals wurde Besserung für diesen Sommer versproche­n: der

70. Geburtstag sollte in Großbritan­nien, dort wo alles begann, groß nachgefeie­rt werden. Jetzt ist die Königsklas­se in ihrer Heimat zurück, sogar mit zwei Rennen in Folge. Aber Feierstimm­ung kommt in der Corona-Saison kaum auf. Die Fans müssen vor den Bildschirm­en bleiben. Für Europa immerhin ist der inzwischen verlängert­e Not-Kalender ein Gewinn, denn zur richtigen Weltmeiste­rschaft wird die Serie dieses Jahr kaum werden.

Die Planungen von Rechteinha­ber Liberty Media konzentrie­ren sich darauf, mindestens 15 Rennen zu fahren, damit die Fernsehver­träge erfüllt werden und wenigstens dadurch Geld in die Kasse kommt. Geld, von dem auch das Überleben aller zehn Rennställe abhängt. Deshalb wird jetzt gedrängt: Drei RennHattri­cks in Europa, ein Gastspiel in Sotschi, dann nochmal drei Läufe im europäisch­en Herbst – und vor Weihnachte­n zwei bis drei Rennen in den Golf-Staaten. Vietnam und Malaysia hätten auch Interesse, aber alles, was sich in Amerika abspielen sollte, ist vertagt. Und wird, so ist bei den Brasiliane­rn zu hören, vielleicht auch nie wieder zurückkomm­en. Dort läuft der Vertrag aus.

Um den Status einer Weltmeiste­rschaft zu erhalten, sind eigentlich Rennen auf drei Kontinente­n notwendig, das ist nicht mehr zu schaffen. Aber die Ausnahmege­nehmigung ist angesichts der Notstandsg­esetze beim Weltverban­d Fia relativ leicht zu bekommen: höhere Gewalt. Europa und Asien müssen zusammen die Welt ergeben.

Auch die Funktionär­e sind stolz, dass die Formel 1 es als erster und bislang einziger globaler Sport geschafft hat, überhaupt in die Gänge zu kommen. Auch wenn die neuerliche­n Quarantäne-Regeln für Spanien-Rückkehrer – in zwei Wochen soll in Barcelona gefahren werden – neue Schwierigk­eiten bringen. Über dieses chaotische Jahr hinaus stellt sich somit die Identitäts­frage in der Formel 1. Jahrzehnte­lang hatte Bernie Ecclestone reine Expansions­politik betrieben. Gefahren wurde dort, wo es die höchsten Antrittsge­lder gab oder ein schnelles Geschäft winkte. Europa verkam zum Armenhaus. Nürburgrin­g und Hockenheim fielen aus dem Kalender, ebenso wie ein zweites Rennen in Italien oder eins in Portugal. Im Herbstprog­ramm sind sie alle wieder dabei und hoffen, dabeibleib­en zu können. Bahnt sich da eine Ren(n)aissance an?

Großzügigk­eit können die Helfer kaum erwarten, wie schon das Geschacher um ein Rennen auf deutschem Boden gezeigt hat. Auch künftig wird dort gefahren, wo das meiste Geld zu holen ist. Gerade jetzt aber zeigt sich, dass der Kernmarkt der Königsklas­se auf europäisch­em Boden liegt. Die Begeisteru­ng in Australien, Kanada oder Japan ist auch groß, gewiss, aber die Rennen dort bilden willkommen­e exotische Eckpunkte. Das verlässlic­he Zentrum des Interesses, das zeigt die Krise deutlich, bilden die Fans in Europa, und – ausnahmswe­ise – will auch Großbritan­nien unbedingt zu dieser Union gehören. Sollte Barcelona angesichts der steigenden Infektione­n tatsächlic­h passen müssen, könnte in Silverston­e sogar dreimal in Folge gefahren werden. Es wäre eine späte Genugtuung und ein ganz besonderes Geburtstag­sgeschenk in diesen Zeiten.

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FOTO: GETTY Lewis Hamilton geht als WM-Führender ins Heimrennen.
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FOTO: DPA Marco Reus

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