Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
In fremden Betten
Beim Haustausch machen Gäste Urlaub im Zuhause von anderen. Eine Familie aus dem Weimarer Land ist dabei
Weiden. Sie lebt dort, wo andere Urlaub machen. Und zwar wörtlich, nicht an einem Traumstrand in der Karibik oder mit Blick auf ein Bergpanorama. Julia Schlegel lebt mit ihrer Familie im Weimarer Land. Als Haustauscherin öffnet sie ihr Haus für fremde Urlauber.
Beim Haustausch tauschen Reisewillige – der Name sagt es schon – ihr Zuhause, um Urlaub zu machen im Haus oder der Wohnung des jeweils anderen. Das funktioniert über eine Internetseite, bei der die Urlauber in spe einen Ort oder eine Wohnung auswählen, nur eben nicht mieten, sondern tauschen, wenn die Tauschpartner einverstanden sind. Julia Schlegel nutzt dafür die Seite Homeexchange, andere Portale funktionieren ähnlich. Und dann wird geurlaubt, im selben Zeitraum, an getauschten Orten.
Julia Schlegel und ihr Mann Nikolaus Franz stammen beide aus dem Weimarer Land. Was Urlauber aus dem In- und Ausland in den hintersten Winkel der Region verschlägt – hierher, wo die Straßen für zwei Autos zu eng sind und die Hühner auf der Straße spazieren gehen – das können sich auch nicht so recht erklären. Die Ruhe müsse es wohl sein, sagt Nikolaus Franz, und dass das Haus so kinderfreundlich eingerichtet ist. Vielleicht ist es auch die Nähe zu Weimar, Jena und Erfurt.
Gerade ist die Familie aus dem getauschten Sommerurlaub in der Bretagne zurück. Auch während der Corona-Pandemie habe alles problemlos geklappt: „Es war, als wären wir zu Hause gewesen, nur woanders“, sagt Julia Schlegel.
Ein Trend, den auch Zann Cham von der Plattform Homeexchange beobachtet, bei internationalen Zielen, aber auch in Deutschland. In diesem Jahr habe sich die Nachfrage für deutsche Haustauscher, die Unterkünfte in Deutschland suchen, im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht, sagt sie. Vielleicht ein Nebeneffekt der Coronapandemie, flexiblen Urlaub machen zu können, trotz geschlossener Grenzen und unsteten Zeiten.
In Thüringen gibt es 71 Tauschangebote
11.515 Tauschwohnungen und -häuser in ganz Deutschland werden auf der Tauschplattform angeboten. In Thüringen sind es 71, sagt Cham. Besonders gefragt bei deutschen Haustauschern sind laut Cham Unterkünfte in Berlin, Hamburg, München, Dresden und Lübeck.
Ist die Familie von Julia Schlegel im Urlaub, nimmt auch ihr ganzes Dorf an dem Haustausch teil. Nachbarn verleihen Luftpumpen und geben Rat, verkaufen frische Eier und schauten bei der vergangenen Fußball-EM sogar gemeinsam die Spiele. „Das Dorf profitiert, wenn neue, fremde Leute kommen“, findet Julia Schlegel.
Das Haus, das Julia Schlegel, ihr Mann und die drei Kinder bewohnen und zum Tausch anbieten, ist ein Erlebnis. Der Begriff Haus wird dem Anwesen, einem alten Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert, kaum gerecht. 2012 kauften die Kita-Leiterin und der selbstständige Handwerker den Hof, entkernten und renovierten ihn zwei Jahre lang fast ausschließlich in Eigenregie. Vor vier Jahren öffnete die Familie die Türen dann für Fremde, die Erholung auf dem Land suchen.
Trotz Absprachen und Kontakt zu den Haustauschern sei nicht immer klar, was genau das eigentlich für Menschen seien. „Ich finde es schon interessant, im Tauschhaus zu rätseln, was die Leute eigentlich so machen“, sagt die 36-Jährige. In den fremden Räumen sucht sie nach Puzzlestücken, die ein Bild der dort lebenden Menschen zusammensetzen. So kommt es, dass Julia Schlegel bei der Suche auch schon neue Rezepte in den Tauschküchen entdeckt und ausprobiert hat. Und schließlich sei man mit den Tauschern verbunden, wenn man im Haus des anderen lebe, sagt sie. Viel persönlicher ginge es ja nicht.
Dass Menschen mit dem Haustausch Geld sparen wollen, glaubt Julia Schlegel nicht. Eine Mitgliedschaft auf dem Tauschportal kostet jährlich 130 Euro, der Haustausch selbst ist kostenlos. Es sei eher eine menschliche Entscheidung, so zu reisen, sagt die 36-Jährige. Es sei nachhaltig und komfortabel, schließlich sei kein Ferienhaus mit einem so guten Standard ausgestattet wie ein bewohntes Zuhause.
Dass etwas passiert beim Haustauschen, kann Nikolaus Franz sich nicht vorstellen. „Aber wir sind auch Optimisten und gehen immer vom Besseren statt vom Schlechteren aus“, sagt seine Frau. Vielleicht kommt das Vertrauen, erzählt Nikolaus Franz, auch von früher. Er stammt aus einer Pfarrerfamilie, „unsere Türen waren immer offen“. Er und seine Frau fühlen sich abgesichert durch den Tausch, man vertraue sich ja gegenseitig das eigene Heim an. Am Anfang hätten sie wichtige Unterlagen im Arbeitszimmer weggeschlossen, aber das machten sie nun auch nicht mehr: „Was sollen Fremde mit unseren Steuerunterlagen? Die Steuererklärung machen? Wäre ja auch nicht schlecht“, scherzt Julia Schlegel.
Verbraucherzentrale rät, Bedingungen vorab zu prüfen
Von Problemen, die bei dieser Art des Urlaubs auftreten, hat auch die
Verbraucherzentrale Thüringen noch nicht gehört. „Wir sehen das unkritisch, würden aber dazu raten, die Bedingungen genau zu prüfen und darauf zu achten, was genau beim Tausch beinhaltet ist“, rät Katrin Braun von der Verbraucherzentrale. Ob beispielsweise das Auto auch genutzt werden darf, sollte vorher klar abgesprochen werden. Anmeldepflichtig, wie etwa eine Ferienwohnung, sei das Tauschhaus nicht, „es ist eine private Angelegenheit“, so Braun. Abgesichert sind Schäden, die während des Aufenthaltes der Tauschurlauber im eigenen Haus entstehen, auch über die Internetplattform.
Zehn Mal haben Julia Schlegel, Nikolaus Franz und die drei Kinder im Alter zwischen drei und neun Jahren ihr Haus für den Urlaub eingetauscht. Sie sind unter anderem nach Tschechien, Frankreich und in die Niederlande verreist. Sie haben in einem schicken und modernen Architektenhaus gewohnt und unter einem gemütlichen Spitzdach geschlafen. Orte und Unterkünfte, die sie ohne Haustausch nie kennengelernt hätten.