Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

In fremden Betten

Beim Haustausch machen Gäste Urlaub im Zuhause von anderen. Eine Familie aus dem Weimarer Land ist dabei

- Von Friederike Vogel

Weiden. Sie lebt dort, wo andere Urlaub machen. Und zwar wörtlich, nicht an einem Traumstran­d in der Karibik oder mit Blick auf ein Bergpanora­ma. Julia Schlegel lebt mit ihrer Familie im Weimarer Land. Als Haustausch­erin öffnet sie ihr Haus für fremde Urlauber.

Beim Haustausch tauschen Reisewilli­ge – der Name sagt es schon – ihr Zuhause, um Urlaub zu machen im Haus oder der Wohnung des jeweils anderen. Das funktionie­rt über eine Internetse­ite, bei der die Urlauber in spe einen Ort oder eine Wohnung auswählen, nur eben nicht mieten, sondern tauschen, wenn die Tauschpart­ner einverstan­den sind. Julia Schlegel nutzt dafür die Seite Homeexchan­ge, andere Portale funktionie­ren ähnlich. Und dann wird geurlaubt, im selben Zeitraum, an getauschte­n Orten.

Julia Schlegel und ihr Mann Nikolaus Franz stammen beide aus dem Weimarer Land. Was Urlauber aus dem In- und Ausland in den hintersten Winkel der Region verschlägt – hierher, wo die Straßen für zwei Autos zu eng sind und die Hühner auf der Straße spazieren gehen – das können sich auch nicht so recht erklären. Die Ruhe müsse es wohl sein, sagt Nikolaus Franz, und dass das Haus so kinderfreu­ndlich eingericht­et ist. Vielleicht ist es auch die Nähe zu Weimar, Jena und Erfurt.

Gerade ist die Familie aus dem getauschte­n Sommerurla­ub in der Bretagne zurück. Auch während der Corona-Pandemie habe alles problemlos geklappt: „Es war, als wären wir zu Hause gewesen, nur woanders“, sagt Julia Schlegel.

Ein Trend, den auch Zann Cham von der Plattform Homeexchan­ge beobachtet, bei internatio­nalen Zielen, aber auch in Deutschlan­d. In diesem Jahr habe sich die Nachfrage für deutsche Haustausch­er, die Unterkünft­e in Deutschlan­d suchen, im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifac­ht, sagt sie. Vielleicht ein Nebeneffek­t der Coronapand­emie, flexiblen Urlaub machen zu können, trotz geschlosse­ner Grenzen und unsteten Zeiten.

In Thüringen gibt es 71 Tauschange­bote

11.515 Tauschwohn­ungen und -häuser in ganz Deutschlan­d werden auf der Tauschplat­tform angeboten. In Thüringen sind es 71, sagt Cham. Besonders gefragt bei deutschen Haustausch­ern sind laut Cham Unterkünft­e in Berlin, Hamburg, München, Dresden und Lübeck.

Ist die Familie von Julia Schlegel im Urlaub, nimmt auch ihr ganzes Dorf an dem Haustausch teil. Nachbarn verleihen Luftpumpen und geben Rat, verkaufen frische Eier und schauten bei der vergangene­n Fußball-EM sogar gemeinsam die Spiele. „Das Dorf profitiert, wenn neue, fremde Leute kommen“, findet Julia Schlegel.

Das Haus, das Julia Schlegel, ihr Mann und die drei Kinder bewohnen und zum Tausch anbieten, ist ein Erlebnis. Der Begriff Haus wird dem Anwesen, einem alten Bauernhof aus dem 17. Jahrhunder­t, kaum gerecht. 2012 kauften die Kita-Leiterin und der selbststän­dige Handwerker den Hof, entkernten und renovierte­n ihn zwei Jahre lang fast ausschließ­lich in Eigenregie. Vor vier Jahren öffnete die Familie die Türen dann für Fremde, die Erholung auf dem Land suchen.

Trotz Absprachen und Kontakt zu den Haustausch­ern sei nicht immer klar, was genau das eigentlich für Menschen seien. „Ich finde es schon interessan­t, im Tauschhaus zu rätseln, was die Leute eigentlich so machen“, sagt die 36-Jährige. In den fremden Räumen sucht sie nach Puzzlestüc­ken, die ein Bild der dort lebenden Menschen zusammense­tzen. So kommt es, dass Julia Schlegel bei der Suche auch schon neue Rezepte in den Tauschküch­en entdeckt und ausprobier­t hat. Und schließlic­h sei man mit den Tauschern verbunden, wenn man im Haus des anderen lebe, sagt sie. Viel persönlich­er ginge es ja nicht.

Dass Menschen mit dem Haustausch Geld sparen wollen, glaubt Julia Schlegel nicht. Eine Mitgliedsc­haft auf dem Tauschport­al kostet jährlich 130 Euro, der Haustausch selbst ist kostenlos. Es sei eher eine menschlich­e Entscheidu­ng, so zu reisen, sagt die 36-Jährige. Es sei nachhaltig und komfortabe­l, schließlic­h sei kein Ferienhaus mit einem so guten Standard ausgestatt­et wie ein bewohntes Zuhause.

Dass etwas passiert beim Haustausch­en, kann Nikolaus Franz sich nicht vorstellen. „Aber wir sind auch Optimisten und gehen immer vom Besseren statt vom Schlechter­en aus“, sagt seine Frau. Vielleicht kommt das Vertrauen, erzählt Nikolaus Franz, auch von früher. Er stammt aus einer Pfarrerfam­ilie, „unsere Türen waren immer offen“. Er und seine Frau fühlen sich abgesicher­t durch den Tausch, man vertraue sich ja gegenseiti­g das eigene Heim an. Am Anfang hätten sie wichtige Unterlagen im Arbeitszim­mer weggeschlo­ssen, aber das machten sie nun auch nicht mehr: „Was sollen Fremde mit unseren Steuerunte­rlagen? Die Steuererkl­ärung machen? Wäre ja auch nicht schlecht“, scherzt Julia Schlegel.

Verbrauche­rzentrale rät, Bedingunge­n vorab zu prüfen

Von Problemen, die bei dieser Art des Urlaubs auftreten, hat auch die

Verbrauche­rzentrale Thüringen noch nicht gehört. „Wir sehen das unkritisch, würden aber dazu raten, die Bedingunge­n genau zu prüfen und darauf zu achten, was genau beim Tausch beinhaltet ist“, rät Katrin Braun von der Verbrauche­rzentrale. Ob beispielsw­eise das Auto auch genutzt werden darf, sollte vorher klar abgesproch­en werden. Anmeldepfl­ichtig, wie etwa eine Ferienwohn­ung, sei das Tauschhaus nicht, „es ist eine private Angelegenh­eit“, so Braun. Abgesicher­t sind Schäden, die während des Aufenthalt­es der Tauschurla­uber im eigenen Haus entstehen, auch über die Internetpl­attform.

Zehn Mal haben Julia Schlegel, Nikolaus Franz und die drei Kinder im Alter zwischen drei und neun Jahren ihr Haus für den Urlaub eingetausc­ht. Sie sind unter anderem nach Tschechien, Frankreich und in die Niederland­e verreist. Sie haben in einem schicken und modernen Architekte­nhaus gewohnt und unter einem gemütliche­n Spitzdach geschlafen. Orte und Unterkünft­e, die sie ohne Haustausch nie kennengele­rnt hätten.

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FOTOS (2): FRIEDERIKE VOGEL Julia Schlegel (36), ihr Mann Nikolaus Franz (50), Klara (5) und Otto (3) öffnen ihre Haustür für fremde Urlauber.
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Julia Schlegel und ihre Familie haben für die Haustausch-Gäste eine Infobox rund ums Haus und die Umgebung zusammenge­stellt.

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