Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Joe Biden: So wäre er als Präsident
Der Kandidat der US-Demokraten will zahlreiche Entscheidungen Trumps zurücknehmen – aber nicht alle
Washington. Hier der gute Hirte unter der Sonne – dort der Fürst der Finsternis? Als Joe Biden zum Abschluss des Demokraten-Parteitages, der ihn am 3. November ins Weiße Haus tragen soll, in Abgrenzung zu Donald Trump sagte, er werde „ein Verbündeter des Lichts sein, nicht der Dunkelheit“, ging vielen Parteigängern das Herz auf. Aber was bedeutet die pastoral klingende Prosa, die Inklusion und zivilisierten Umgangston verheißt, im Alltag? Wie würde Joe Biden im Fall eines Siegs regieren?
Bereits angekündigt sind an breiter Front Korrekturen der auf Isolationismus zielenden Maßnahmen und Drohungen Trumps: Rückkehr ins Pariser Klimaschutzabkommen. Rückkehr der USA in die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Rückkehr in die Welthandelsorganisation (WTO). Rückversicherung an die Nato-Partner, dass die Zeit des Herumschubsens vorbei ist.
Amerika, schrieb Biden gerade in der Außenpolitik-Bibel „Foreign Affairs“, müsse „wieder führen“. Aber im engen Schulterschluss mit Verbündeten, die auf neue Freundlichkeit setzen könnten. Auch der von Trump geschredderte Atomdeal mit Teheran bekäme unter Biden eine (reformierte) neue Chance.
Die Bekämpfung der Corona-Krise hat für Biden oberste Priorität
Im Umgang mit dem Gegenspieler China werde Biden die Zusammenarbeit mit der EU, hier vor allem Deutschland, suchen, sagen seine Berater. Dass Biden Trumps Regime der weltweit Erschütterungen auslösenden Strafzölle gegen Peking zurücknimmt, sei aber „vorläufig nicht zu erwarten“.
Biden ist überzeugt, dass der Klimawandel die „größte Bedrohung für die nationale Sicherheit“Amerikas ist. Eine grüne „Revolution“, die den Bau energiesparender Häuser und den Ausbau des Ladestationsnetzes für E-Mobilität vorantreibt, soll mit zwei Billionen Dollar unterstützt werden und Hunderttausende Arbeitsplätze bringen. Biden will zudem Amerikas Energiebilanz bis 2050 CO2-neutral gestalten.
In der Außenhandelspolitik ist nach Einschätzung Washingtoner Denkfabriken nicht mit einem Kurswechsel zu rechnen. Biden ist kein Verfechter des Freihandels. Er verfolgt Trumps „Buy American“Strategie.
So sollen 400 Milliarden Dollar in den Kauf von in den USA hergestellten Produkten fließen.
Innenpolitisch hat für Biden die Bekämpfung der Corona-Pandemie Priorität. Flächendeckende Schnelltests und ein zwischen Zentralregierung und Bundesstaaten abgestimmtes Verfahren bei Einschränkungen und Lockerungen seien das A und O, sagt Biden.
Biden ist die Anhebung der Steuern für Unternehmen und Topverdiener ein zentrales Anliegen. Binnen zehn Jahren soll sich der USFiskus knapp vier Billionen Dollar zurückholen. Bei der Körperschaftssteuer zeigt sich, dass Biden für den Mittelweg steht. Trump senkte sie von 35 auf 21 Prozent. Biden will auf 28 Prozent erhöhen.
Trotz geplanter Investitionen von zwei Billionen Dollar in das Gesundheitssystem ist eine Umstellung auf eine staatliche Krankenversorgung nicht vorgesehen.
Die Aufhebung des Einreisebanns für Reisende aus bestimmten muslimischen Ländern ist beschlossene Sache. Auch die von den Republikanern blockierte Aufhebung der Haftungsfreiheit für Waffenhersteller
steht auf der Agenda. Biden hat angekündigt, den elf Millionen illegalen Einwanderern einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu bahnen.
Welchen Spielraum Joe Biden hätte, hängt davon ab, ob die Demokraten im Senat die Mehrheit gewinnen. Dann könnten sie im Dreieck Weißes Haus – Repräsentantenhaus – Senat bis zu den Zwischenwahlen 2022 durchregieren.
Jill Biden, die als First Lady die Unnahbarkeit Melania Trumps durch Herzenswärme ersetzen würde, nahm die Regierungsmethode ihres Gatten mit einem sehr persönlichen Vergleich vorweg.
Als sie Biden 1977 kennenlernte, war der junge Senator seit fünf Jahren Witwer. Seine erste Frau Neilia war mit den drei Kindern unterwegs gewesen. Ein Lastwagen prallte gegen ihr Auto. Neilia und die 15 Monate alte Tochter Naomi starben. Die Söhne Beau (3) und Hunter (2) überlebten schwer verletzt. Biden dachte an Selbstmord. Dann rief er sich zur Ordnung, blieb im Senat. Um seine Söhne abends ins Bett zu bringen, pendelte er fünf Tage die Woche zwischen Wilmington und Washington, 90 Minuten eine Strecke. 2015 starb Beau Biden mit 46 an einem Gehirntumor. Auf dem Sterbebett nahm er seinem Vater das Versprechen ab, für das Weiße Haus zu kandidieren.
„Wie heilt man eine zerbrochene Familie?“, fragte Jill Biden in ihrer bewegenden Parteitagsrede. „Auf dieselbe Art und Weise, wie man ein Land heilt: mit Liebe und Verständnis, mit kleinen Gesten der Herzlichkeit, mit Mut, mit unverrückbarem Zusammenhalt.“