Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Wir brauchen eine Vollzugsof­fensive“

Armin Laschet will Kanzler werden - Ein Gespräch über Corona, Gerechtigk­eit und Deutschlan­ds Zukunft

- Von Tobias Blasius und Jörg Quoos

Düsseldorf. Es ist drückend heiß in Düsseldorf, trotzdem trägt der Ministerpr­äsident dunklen Anzug und Schlips. Auf der roten Seide des Binders schimmert dezent das Olympia-Logo – Armin Laschet würde die Spiele gern ins Ruhrgebiet holen. Das Gespräch mit dem Regierungs­chef ist ausführlic­h, die Themenband­breite groß: Längst geht es nicht ausschließ­lich um NordrheinW­estfalen. Armin Laschet will CDU-Chef werden und steht auch bereit für die Kanzlerkan­didatur.

Herr Ministerpr­äsident, die CoronaKris­e verschärft sich. Ist jetzt Schluss mit Lockerungs­politik, die viele mit Ihrem Namen verbinden? Armin Laschet:

Für mich galt und gilt: Wenn Infektions­zahlen sinken, müssen Grundrecht­seingriffe zurückgeno­mmen werden, wenn Infektions­zahlen steigen, müssen Schutzvork­ehrungen verstärkt werden. Bildung für alle ist eine Frage sozialer Gerechtigk­eit. Deshalb war es mir wichtig, früh Kitas und Schulen verantwort­ungsvoll wieder zu öffnen. Das ist nun deutschlan­dweit so. Sollte das Infektions­geschehen sich wieder ernster entwickeln, dürfen wir nicht wieder als Erstes Kitas und Schulen schließen. Wir müssen bei steigenden Infektions­zahlen bessere und zielsicher­ere Antworten finden. Es ist jetzt zum Beispiel keine Zeit für Großverans­taltungen.

Wieso müssen die Vernünftig­en für die Unvernünft­igen zahlen? Wer in Risikogebi­ete zum Urlauben fliegt, hat doch auch genug Geld für einen Test.

Solche Corona-Tests für Reisende aus Risikogebi­eten sollten mittelfris­tig ähnlich wie Flughafeng­ebühren auf den Reisepreis aufgeschla­gen werden. Es ist nicht akzeptabel, dass dies auf Dauer die Allgemeinh­eit bezahlt. Jetzt aktuell geht es um konsequent­es und schnelles Handeln zum Schutz aller. Deshalb gibt es jetzt kostenlose Pflichttes­ts nach Rückkehr. Eine Dauerlösun­g ist das nicht. det absichtlic­h die Gesundheit anderer. Diesen Regelbruch werden wir konsequent­er ahnden. Wir brauchen eine Vollzugsof­fensive. Das schützt am Ende alle, gerade auch die vielen Vernünftig­en. Das ist nämlich weiterhin die klare Mehrheit.

Ihr „Teampartne­r“Jens Spahn will den Karneval absagen. Was sagen Sie dazu?

Eine solche Entscheidu­ng werden wir gemeinsam mit den Karnevalsv­ereinen treffen. Ich teile, was Gesundheit­sminister Spahn sagt: Angesichts der aktuellen Infektions­zahlen fällt es schwer, sich vorzustell­en, dass wir den Karneval, so wie wir ihn kennen, feiern können. Es ist aber ein großer Unterschie­d, ob wir über eine Party, eine Fernsehsit­zung oder einen Straßenumz­ug sprechen. Daher werden wir das mit den Verantwort­lichen besprechen und dann entscheide­n. Der 11.11. kann in diesem Jahr aber sicher nicht in der Form wie bisher üblich stattfinde­n. Darauf habe ich schon vor dem Sommer hingewiese­n.

Wann können Sie die Stadien wieder für Fans öffnen?

Es gibt ein sehr verantwort­ungsvolles Schutzkonz­ept der Deutschen Fußball Liga. Auf dieser Grundlage gab es tatsächlic­h die Hoffnung, dass wir bald wieder Stadionbes­uche zulassen können. Angesichts des aktuellen Infektions­geschehens scheint das derzeit aber schwierig. Wir brauchen hier zeitnahe eine Absprache aller Ministerpr­äsidenten, wobei man aktuell hier wenig Hoffnung auf große Veranstalt­ungen machen sollte.

Was würde der Bundeskanz­ler Armin Laschet tun, um das Land aus einer historisch­en Rezession zu holen?

Die Bundeskanz­lerin heißt Angela Merkel. Als Ministerpr­äsident eines großen Industriel­andes arbeite ich daran, unser Land gut durch diese Krise zu bringen. Im Dialog mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften tun wir alles, um Arbeitsplä­tze zu erhalten. Das hat hohe Priorität, denn wir werden weiter mit der Pandemie leben. Wir müssen zunächst alles tun, damit wir industriel­le Strukturen erhalten. Was einmal weggebroch­en ist, kommt so nicht wieder. Wir müssen die Chance, durch Kurzarbeit Menschen in Arbeit zu halten und Arbeitslos­igkeit zu verhindern, nutzen. Dies hilft den Arbeitnehm­ern und entlastet die Arbeitgebe­r, damit der Betrieb die Krise überstehen kann. Diese Regelung müssen wir jetzt verlängern, und ich wünsche mir, dass der Koalitions­ausschuss das so beschließt. Klar ist aber: Staatliche Subvention­en sind allenfalls eine Übergangsl­ösung. So haben wir ein Konjunktur­programm aufgesetzt, das bewusst auf Innovation­en setzt. Wenn alle staatliche­n Ebenen in einem solchen Kraftakt Mittel investiere­n, können wir nicht nur bisherige Strukturen erhalten, sondern für unser Land daraus einen Modernisie­rungsschub machen.

Überlebt die Wirtschaft einen zweiten Lockdown?

Überleben ist ein großes Wort. Die wirtschaft­lichen Schäden des Lockdowns vom Frühjahr werden erst im Herbst voll zutage treten. Ein zweiter Lockdown wäre in den Auswirkung­en sicher fatal, katastroph­aler als der erste. Deshalb müssen wir alles tun, um genau das zu verhindern, und wenn nötig andere Antworten auf steigende Infektions­zahlen parat haben.

Wie soll das Land diese immensen Schulden zurückzahl­en?

Das wird Deutschlan­d nur schaffen, wenn es wirtschaft­lich gestärkt wieder auf die Beine kommt und durch Konjunktur­anreize die Steuereinn­ahmen steigen. Dass Deutschlan­d so handlungsf­ähig ist, ist übrigens ein Ergebnis unserer soliden Haushaltsp­olitik der letzten Jahre. Manche haben polemisch über die schwarze Null und die solide Finanzpoli­tik der letzten Jahre gelästert. Jetzt sind wir handlungsf­ähig, weil wir in guten Zeiten gespart haben. Und manchmal braucht es für die Stärkung der Wirtschaft auch einen Umweg wie bei dem großen europäisch­en Wiederaufb­aufonds, der ganz Europa stärkt, was gerade unserer exportorie­ntierten Wirtschaft hilft. Wir haben ein großes Interesse daran, dass ganz Europa schnell wieder auf die Beine kommt.

Aus der SPD gibt es Vorschläge zu einem Lastenausg­leich oder einer Sonderabga­be für Vermögende …

... Ja, das fällt einigen in der SPD immer als Erstes ein. Die Forderung nach einer sogenannte­n Reichenste­uer kommt, seit ich politisch denken kann. Nur eben mit immer neuen Begründung­en – diesmal ist es eben Corona. Man trifft damit besonders Personenge­sellschaft­en, zum Beispiel mittelstän­dische Handwerksb­etriebe, denn für viele ist ihr Vermögen der Betrieb, der ja Arbeitsplä­tze bietet. Von daher ist das Gegenteil des SPD-Vorschlags richtig: Die Leute und Betriebe, die unsere Wirtschaft am Laufen halten, verdienen Vertrauen, Schutz und Entlastung – und keine Steuerstra­fe.

Deutschlan­d diskutiert die Vier-Tage-Woche. Wie stehen Sie dazu?

Auch das ist keine Antwort auf die Herausford­erungen der Krise. Im Gegenteil, das gefährdet die Wettbewerb­sfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehme­n.

Na, da können wir uns Ihre Haltung zum bedingungs­losen Grundeinko­mmen ja vorstellen …

... Davon habe ich tatsächlic­h noch nie etwas gehalten. Arbeit ist doch viel mehr als nur Geld verdienen. Mein Ziel ist es, dass möglichst viele Menschen am Wirtschaft­sleben teilnehmen. Gute Arbeit, eine entspreche­nde Aufgabe, geben doch nicht nur Lohn und Gehalt, sondern auch Selbstwert­gefühl und einen Sinn im Leben.

„Wir erleben eine nie dagewesene Ausnahmesi­tuation.“Armin Laschet, NRW-Ministerpr­äsident

Sind Sie eigentlich mit sich selbst zufrieden, wenn Sie auf die vergangene­n Monate blicken?

Seit dem Frühjahr erleben alle Verantwort­ungsträger eine nie dagewesene Ausnahmesi­tuation, in der wir Tag und Nacht über ein einziges Thema und die Folgen nachdenken, Maßnahmen entwickeln und umsetzen, jedes Detail betrachten müssen und auf allen Ebenen alles geben, um die Menschen zu schützen und unser Land gut durch diese Krise zu führen. Nordrhein-Westfalen ist im Vergleich mit anderen in Europa bisher gut durch die Krise gekommen. Das ist das, was für mich zählt.

Ohne Namen zu nennen: Was spräche dagegen, demjenigen Unionspoli­tiker bei der Kanzlerkan­didatur den Vortritt zu lassen, der objektiv die besten Chancen auf den Sieg hat …

CDU und CSU werden sich auf den Kandidaten verständig­en, der die besten Chancen hat zu gewinnen und der dieses wichtige Amt gut ausüben kann.

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FOTO: MALTE KRUDEWIG Armin Laschet blickt vom Rheinufer in Düsseldorf auf die Staatskanz­lei.

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