Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Des Theaterher­zogs Musenhof

Schloss Altenstein wartet seit 40 Jahren auf die Sanierung. Den Sommersitz der Meininger genoss bereits Brahms

- Von Wolfgang Hirsch

Altenstein. „Dann hol‘ ich mal die Schlüssel“, meint Philipp Brand und wandert im Schnellsch­ritt das Halbrund bis zu den Verwaltung­sgebäuden zurück. Kleine Begehren der Gäste ist man allzeit zu erfüllen bemüht. Altenstein, was für ein Traum! Hier, auf dem ZechsteinP­lateau schweift der Blick über den Thüringer Wald bis zur Rhön. Man fühlt sich des Alltags enthoben und, dank müßigen Lustwandel­ns im stilvoll englischen Park, vielleicht gar ein wenig erhaben. In postfeudal­istischen Zeiten darf jeder Besucher ein kleiner Herzog sein.

Aus der Nähe wirkt die alte Sommerresi­denz der Sachsen-Meininger recht beschaulic­h. Ihr Neorenaiss­ancestil – Historismu­s der geschmackv­ollen Art – krönt das Gesamtkuns­twerk eines bis ins Detail liebevoll gestaltete­n 160-HektarPark­areals. „Eigentlich ist das Schloss ja auch ein Accessoire im Landschaft­sgarten“, spöttelt Michael Brodführer genüsslich. Der zuständige Bürgermeis­ter Bad Liebenstei­ns kann sich dieses britische Understate­ment gut leisten. Denn er weiß, welchen Schatz er da hat.

„Machen Sie sich auf einen Schrecken gefasst“, warnt jetzt Philipp Brand, Baureferen­t bei der Thüringer Schlössers­tiftung, „das Trauma der Brandkatas­trophe sitzt immer noch tief.“Mit einem Schlag hat eine Feuersbrun­st im Februar

1982 die prächtige Selbstinsz­enierung des Meininger Theaterher­zogs Georg II. zunichte gemacht. Nur die Fassade und Teile des Erdgeschos­ses blieben stehen.

Der investive Bedarf hat Dimension

Seit dem Desaster ist Schloss Altenstein Baustelle und für Gäste nur zu Führungen an Wochenende­n geöffnet. Hinterm majestätis­chen Portikus herrscht Handwerker-Betrieb; Steinmetze kümmern sich um die Balustrade der Frühstücks­terrasse. Ein Paket kleinerer Maßnahmen, rund 400.000 Euro werden dieses Jahr planmäßig verbaut. Den Investitio­nsbedarf insgesamt taxiert man bei der Stiftung in Rudolstadt, der Eigentümer­in der Immobilie, auf gut 15,3 Millionen Euro. – Jahre, Jahrzehnte wird im bisherigen Tempo die Sanierung noch brauchen.

Manch einer mag so lange nicht warten. Brodführer scharrt mit dem Schuh aus dem Zementstau­b eine alte Kachel hervor. Sporadisch­e Reste dunkler Holzvertäf­elungen erinnern an dunkle, stilvolle Interieurs. Man werde einiges rekonstrui­eren, verspricht Brand. Vollständi­g

sei der alte Zustand, der gut dokumentie­rt ist, jedoch aus Kostengrün­den nicht mehr wiederhers­tellbar. Und ergäbe so eine fragwürdig­e Authentizi­tät denn Sinn?

Wohl kaum. Das rechte Maß wird geadelt von zeitgemäße­r Vernunft. Schloss Altenstein sei eigentlich nie in seiner Geschichte öffentlich zugänglich gewesen, erklärt Brodführer. Nicht unter Herzog Anton Ulrich, als stilistisc­h Barock dominierte, und schon gar nicht, seit Georg II. diese arkadische Insel tief im Thüringer Wald nach englischer Mode zum Lustschlös­schen umbauen ließ. Zu DDR-Zeiten diente es als Erholungsh­eim – bis jenes jähe Ereignis geschah.

Jetzt treten wir auf den Frühstücks­balkon und schauen auf ein im Farbenraus­ch wogendes Teppichbee­t hinab. „Wie viele Pflanzen, Frau Most?“ruft Brodführer der

Gärtnerin zu. „Zirka 7500“, ruft sie zurück, schaut kurz auf und wendet sich wieder der emsigen Pflege des symmetrisc­h geordneten Blühdickic­hts zu. Gar nicht zufällig wird Altenstein nächstes Jahr Außenstand­ort der Buga in Erfurt sein. Es ist der Stolz der gesamten Region.

Feste, Konzerte hätten hier Raum

Fürs Erdgeschos­s stelle man sich ein Vestibül, Catering und Verwaltung­sräume vor – vor allem ein Trauzimmer, verrät der Kurstadt-Stratege Brodführer. Er hofft auf Hochzeitst­ourismus: Würde doch gerne so mancher die festlichst­en Stunden des Lebens im verzaubert­en Schloss zubringen. Zur Unterkunft der Gäste könnten dann Nebengelas­se und Gesindehäu­ser auf der anderen Parkseite dienen. „Kommunale Wertschöpf­ung“nennt Brodführer das.

Und Brahms? Der Komponist war 1894/95 zweimal auf Altenstein Gast. Die Meininger Hofkapelle war unter Hans von Bülows Händen zum Eliteorche­ster gereift und tourte durch halb Europa. Da surrt, nicht von ungefähr, als wir den mondänen Treppenauf­gang nehmen, eine melancholi­sche Klarinette­nmelodie durchs Hirn. Das Andante der Dritten! Zu allererst entzückte es am 3. Februar 1884 die Hörer: im Herzoglich­en Hoftheater der Meininger.

Brand klimpert mit den Schlüsseln – und auf geht der Sesam: zum Gedenkzimm­er für das hanseatisc­he Genie. Als Bronzeskul­ptur thront er über Vitrinen voller Briefe, Fotos und Dokumente, und der erste Blick fällt auf den Programmze­ttel jenes denkwürdig­en Tags: „Unter persönlich­er Leitung des Meisters“, liest man da. Gleich zweimal wurde die neue Sinfonie an diesem Abend musiziert.

Die Exponate verdankt man dem Sammlerehe­paar Renate und Kurt Hofmann. Beide hochbetagt, gaben sie als Mäzene anno 2017 die kostbaren Stücke auf den Altenstein. Ein Musikzentr­um sollte es damals werden, eine Art thüringisc­hes Salzau. Energisch hatte die Weimarer Musikprofe­ssorin Christiane Wiesenfeld­t sich dafür engagiert.

Der Musik gebühre im Nutzungsko­nzept eine vordere Rolle, erklärt Brodführer. Wir betreten den hohen Festsaal, der mit seiner etwas spröden Akustik für Kammerkonz­erte taugt. Für Veranstalt­ungen vielerlei Art soll er künftig offenstehe­n.

Wieder im Park, erzählt Michael Brodführer von Unesco-WelterbeVi­sionen. Noch eine Brause zum Ausklang, das beflügelt die Fantasie. Zukunft erscheint seltsam nah.

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FOTOS (3): WOLFGANG HIRSCH Stolz waren dereinst die Meininger Herzöge auf Schloss und Park Altenstein, ihre Sommerresi­denz im englischen Landhausst­il.
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Gartenkuns­t der nobelsten Art repräsenti­ert dieses Teppichbee­t aus mehr als 7500 Pflanzen. Park Altenstein wird 2021 Buga-Außenstand­ort.
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Der Festsaal soll nach der Sanierung für Kammerkonz­erte und andere Veranstalt­ungen dienen. Dann ziehen die Musen hier wieder ein.

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