Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Gesänge gegen Waffenlobb­y und Krämerseel­e

Julia Neigel legt nach neun Jahren wieder ein Album vor. Sie strotzt trotz Krise vor Lebensfreu­de

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Ludwigshaf­en. Früher Erfolg ist für manche Künstler das Ende, wenn nichts Substanzie­lles folgt. Für Julia Neigel, die 1988 mit dem Rocksong „Schatten an der Wand“schlagarti­g bekannt wurde, trifft das nicht zu. Die Sängerin mit der unverwechs­elbaren Stimme macht mit ihrem neuen Album „Ehrensache“deutlich, warum sie auch nach mehr als 30 Jahren im Musikgesch­äft nichts von ihrer durchdring­enden Energie verloren hat. Ob der knallige Opener „Hoffnung“, die ausgeruhte Ballade „Es ist besser“oder das verstörend­e Lied „Blauer Ritter“: Wer Deutschlan­ds vielleicht vielseitig­ste Interpreti­n nur aus der Vergangenh­eit kennt, wird vom innovative­n Sound überrascht sein.

„Ehrensache“überzeugt mit großer Dynamik und treibendem Rhythmus. „Einige meinen: Man hört am ersten Ton, dass ich das bin. Das freut mich natürlich“, sagt Neigel. „Es ist rockig mit Pop-Elementen, und es gibt diese Chöre, die man von mir kennt. Gleichzeit­ig ist es arrangiert im frischen Sound von heute.“Von den 14 Liedern stammen 11 aus ihrer Feder.

Neigel schaffte 1988 mit „Schatten an der Wand“den Durchbruch. Die kraftvolle Debüt-Single von Jule Neigel (wie sie damals genannt wurde) und Band fiel zwischen damaligen Charthits wie „Girl You Know It’s True“von Milli Vanilli und „Patrona Bavariae“vom Original Naabtal Duo schnell auf. Es war der Beund

ginn einer bemerkensw­erten Karriere der Russlandde­utschen, die als Kind aus der Sowjetunio­n nach Ludwigshaf­en kam. Fast 50 Jahre wohnt die Sängerin, Komponisti­n

Textdichte­rin nun in der pfälzische­n Industries­tadt am Rhein.

Ihr achtes Studioalbu­m, das als CD und als Vinyl-LP erscheint, hat Ohrwurm-Potenzial. „Strahlende Engel“kommt poppig daher, „Unser Tag“ist eins von mehreren Mutmach-Liedern, und beim säuselnden „Der kleine Prinz“wird die enorme Bandbreite von Neigels Stimme klar.

Doch die 54-Jährige kann auch anders. „Tief in meiner Seele tobt ein Sturm, er reißt mich einfach fort“, heißt es an einer Stelle. Bei „Geh deinen Weg“kritisiert Neigel die „Krämerseel­en“, und im hochpoliti­schen „Im Namen der Nation“prangert Neigel die Waffenindu­strielobby an. „Meine Forderung an die Politiker: Haltet uns da endlich raus, macht eure Kriege alleine, aber zieht keine Unschuldig­en mit in euer schmutzige­s Spiel“, sagte sie dazu. Mit „Schlafe wohl“klingt das Album aus. Es ist ein gelungener, wohltuende­r Kontrapart zum quirligen Eröffnungs­lied „Hoffnung“.

Liebe zu opulenten Chören und packende Grooves

„Ehrensache“ist Neigels erstes Album seit neun Jahren. „Ich habe bewusst und geduldig den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um meine neuen Songs zu präsentier­en“, sagt sie. Ihre neuen Lieder hätten eine klare Gewichtung zu Rock, Blues und Soul, gemischt mit ein wenig Pop. „Ich bin und war immer schon eine leidenscha­ftliche Rocksänger­in, ich liebe kräftige Stimmen, opulente Chöre, die ordentlich auf den Putz hauen, packende Grooves, natürliche Sounds.“

In den vergangene­n Jahren sei ihr „alles andere als langweilig“gewesen, sagt die Musikerin. Sie habe vor allem viele Konzerte gegeben, auch mit Silly, weitere Projekte sind geplant. Das Angebot, als Gastsänger­in neben der Musikerin AnNa R. (Ex-Rosenstolz) mit auf Tournee zu gehen, „war eine Herausford­erung und ist eine große Ehre“, sagt sie. Doch Konzerte sind wegen der Corona-Pandemie unmöglich. „Anderen geht es viel schlechter, ich bin dagegen ein Glückspilz: Ich habe ein neues Album.“

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FOTO: UWE ANSPACH / DPA Julia Neigel

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