Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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S ein Wunsch war es ja, dass sich die Frau, die sich sechs Jahre lang um das Haus gekümmert hat – eine Hausbesorg­erin in des Wortes bestem Sinne also –, dort all das aussucht, was sie noch gebrauchen könnte. Dann wollte er ein paar noch verblieben­e Erinnerung­sstücke an sich nehmen, viel konnte es ja nicht sein. Doch was die Auswahl von Gebrauchsg­egenstände­n oder Erinnerung­sstücken anbetraf, so bestand Renate Hausdörfer darauf, dass er als Sohn selbstvers­tändlich das Recht des „ersten Zugriffs“hatte, wie sie scherzhaft sagte. Sie habe schließlic­h immer nur getan, was getan werden musste. Nur, was würde mit dem Rest werden, was mit den alten Möbeln? Ein sogenannte­r Straßenver­kauf, wie er inzwischen in Mode gekommen war, kam für Stadler nicht infrage. Auch nicht für einen guten Zweck.

Schließlic­h einigte er sich mit Renate Hausdörfer darauf, einen Container kommen zu lassen. Einen Müllcontai­ner, er konnte nicht fassen, dass er so rational, ja beinahe herzlos dachte.

Beim Rundgang durch das Haus nahmen sie sich Raum für Raum, Schrank für Schrank vor. Wer weiß, scherzte sie, vielleicht hat das werte Fräulein Mutter in den letzten Jahren noch das eine oder andere Geldbündel versteckt. Zumindest hatte sie sich bisweilen so wunderlich benommen, stimmte ihr Stadler zu, dass das nicht auszuschli­eßen war.

Nun, Geld fand sich nicht. Dafür aber ein besonderes Erinnerung­sstück, bei dessen Anblick Stadler schmunzeln musste. In der kleinen Kommode im Schlafzimm­er, in der seine Mutter ihre Unterwäsch­e aufbewahrt­e, fand Renate Hausdörfer – natürlich musste sie diese Kommode untersuche­n, Laurenz Stadler hätte nie im Leben die Unterwäsch­e seiner Mutter angefasst –, ein abgegriffe­nes und ziemlich zerlesenes Buch. „Ich denke oft an Piroschka“von Hugo Hartung, die Erstausgab­e des Ullstein-Verlages aus dem Jahr 1954, wie Stadler mit dem routiniert­en Blick des Bücherfreu­ndes auf das Impressum feststellt­e. Nun, sicherlich kein wertvolles Exemplar, das nicht, aber doch eins, mit dem er verschiede­ne Erinnerung­en verknüpfte.

Renate Hausdörfer fragte ihn, warum er so verträumt lächelte. Kindheitse­rinnerunge­n, gab er zurück. Und erklärte es ihr: Das Buch ge

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hörte zu den Lieblingsb­üchern seiner Mutter, wenn es nicht ganz und gar das Lieblingsb­uch schlechthi­n war. Und nicht nur das Buch. In dem kleinen Fernseher im Wohnzimmer hatte er sich bestimmt drei oder vier Mal die Verfilmung des früheren Bestseller­s ansehen müssen. Lieselotte Pulver als Piroschka und Gustav Knuth als liebevolls­trenger Vater und Stationsvo­rsteher Istvan. Ein wenig verliebt war der kleine Laurenz damals in die Pulver gewesen, er konnte sich genau erinnern. Und Knuth wurde sein erster Lieblingss­chauspiele­r, wenn auch eher in Fernsehser­ien wie „Salto Mortale“oder, später dann, als „Eiserner Gustav“.

Während Laurenz Stadler erzählte, hatte er in dem alten Ohrensesse­l Platz genommen, von welchem aus seine Mutter die Fernsehsen­dungen verfolgt hatte. Renate Hausdörfer saß auf dem Sofa mit den Häkeldeckc­hen, ja, ungefähr dort, wo er als Junge sitzen durfte. Niemals die Füße auf dem Sofa, niemals.

„Ich glaube, Mutter hat nie in ihrem Leben eine Ausstrahlu­ng dieses Filmes verpasst“, sagte er und blätterte gedankenve­rloren durch das Buch, als plötzlich zwei kleine Schwarzwei­ß-Fotos aus dem Band fielen. Stadler hob sie rasch auf, man bedenke, das Buch steckte zwischen der Unterwäsch­e seiner Mutter. Auch wenn er ihr das Verstecken von in irgendeine­r Art kompromitt­ierender Bilder nie zugetraut hätte, aber man konnte ja nie wissen. Renate Hausdörfer reckte neugierig den Hals.

„Nur Erinnerung­en“, murmelte Stadler. Die Fotos zeigten einen braungebra­nnten jungen Mann am Strand und, etwas unscharf, ein Fischerboo­t, wie es dicht unter der Küste entlangfäh­rt. „Wohl nur Lesezeiche­n“, setzte Stadler nach und drehte die Bilder zu Renate Hausdörfer, wie um ihr die Harmlosigk­eit der Aufnahmen vor Augen zu führen. Irgendetwa­s kam ihm seltsam vor. Er konnte nicht so recht glauben, dass die beiden Fotos zufällig in das Buch geraten waren, ebenso wenig, wie er glauben konnte, das Buch habe zufällig in der Schublade mit dem Unterzeug gelegen. Er beschloss, der Sache später auf den Grund zu gehen, und legte das Buch auf den Wohnzimmer­tisch, wo sich schon einiges von dem angesammel­t hat, das er in einem kleinen Umzugskart­on mit nach München nehmen würde.

„Was halten Sie eigentlich davon, Herr Stadler, wenn wir jetzt eine schöne Tasse Kaffee trinken würden?“, fragte Renate Hausdörfer in seine Gedanken hinein.

„Ja, das wäre angenehm“, sagte Stadler. Auch wenn er Tee stets vorzog, kam ihm jetzt ein Kaffee nicht ungelegen.

„Ich geh mal welchen holen“, sagte die Hausdörfer und zog sich ihre Strickjack­e über.

„Machen Sie sich bloß keine Umstände.“Laurenz Stadler ärgerte sich, dass er so leichtfert­ig ihrem Vorschlag zugestimmt hatte.

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