Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

In-Ear-Kopfhörer: Wie schädlich sind sie?

Dauerhafte­s Tragen und zu viel Lautstärke können dem Gehör schaden. Die Lautsprech­er im Ohr sind Keimträger und Entzündung­sherde

- Von Diana Zinkler

Als die Firma Apple 2016 die ersten kabellosen Im-Ohr-Kopfhörer vorstellte, waren die Kritiker nicht überzeugt. Vier Jahre später, es gibt inzwischen sogar eine Neuauflage der sogenannte­n AirPods, sind die kabellosen Kopfhörer, die einst noch Befremden auslösten, eine Erfolgsges­chichte. Hersteller wie JBL, Teufel, Sennheiser oder Samsung haben sie im Programm. Mit ihnen wird gejoggt, trainiert, telefonier­t, werden Serien geschaut, Podcasts gehört – sie stören überhaupt nicht.

Das führt zum stundenlan­gen Tragen – und das kann zu gesundheit­lichen Problemen führen. Sogar relativ leicht. Nutzer schwitzen, die Geräte ziehen Keime an, das Ohrenschma­lz kann nicht wie gewohnt entweichen, oft wird zu laut gehört. Dr. Michael Deeg, HNOArzt und Sprecher des Bundesverb­ands der Hals-Nasen- und Ohrenärzte e. V., und Parsya Baschiri, Jurist bei der Bremer Verbrauche­rzentrale, beantworte­n die wichtigste­n Fragen zu Gesundheit­srisiken, Reinigung und Lautstärke­regulierun­g der kleinen Lautsprech­er im Ohr.

Wann schaden die In-Ear-Kopfhörer dem Gehör?

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO erstellte 2019 eine verheerend­e Prognose: Mehr als einer Milliarde Teenagern und jungen Erwachsene­n drohen weltweit Hörschäden, weil sie zu laut und zu lang Musik über ihre Kopfhörer hören. Das betrifft die Hälfte der zwölf bis 35-Jährigen weltweit. „Wir haben bereits die technische­n Möglichkei­ten, Hörverlust zu vermeiden. Daher ist es unverständ­lich, dass so viele junge Menschen weitermach­en und ihr Gehör schädigen, während sie Musik hören“, erklärte damals Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, Generaldir­ektor der WHO. Die jungen Leute müssten verstehen, dass, „wenn man einmal sein Gehör verloren hat, es nie mehr zurückkomm­t“, warnte Ghebreyesu­s.

Ganz so verheerend sieht Dr. Michael Deeg aus Freiburg die allgemeine Lage nicht. Doch bei einem Blick aus dem Fenster seiner Freiburger Praxis sieht er jede Menge

Leute mit In-Ear-Kopfhörern joggen. „Was die Lautstärke betrifft, ist das natürlich ein Risiko. Nicht nur die Bewegung beim Laufen erzeugt Geräusche, auch der Straßenlär­m. Die Lautstärke im Kopfhörer wird von vielen dann entspreche­nd höher eingestell­t, um die Nebengeräu­sche zu überdecken. Das ist gepaart mit der Dauer eine Gefahr für die Ohren.“Eine bestimmte Lautstärke kann zu Verletzung­en im Innenohr führen. Bei einer Lautstärke über

85 Dezibel, die leicht erreicht werde, können die äußeren Härchen im Innenohr verletzt und das Gehör somit geschädigt werden. „Ab

90 Dezibel kann das Ohr sogar schon nach kurzer Zeit Schäden davontrage­n“, warnt Deeg. Zudem ermögliche­n die neuen digitalen Geräte leicht eine höhere Lautstärke als frühere Geräte.

Im berufliche­n Bereich sind Belastunge­n durch Lautstärke in Deutschlan­d klar geregelt. Ab 85 Dezibel brauchen Angestellt­e einen Hörschutz, im privaten Bereich sei das leider nicht so, kritisiert Deeg. Ein Beispiel: Ein Arbeiter kann acht Stunden an fünf Tagen in der Woche mit Hörschutz 90 Dezibel ausgesetzt sein, das schade weniger als ein Abend bei 100 Dezibel und mehr im Club oder auf einem Konzert. „Hört man nach dem Verlassen des Clubs ein Rauschen, ist das ein Zeichen dafür, dass der Abend für das Gehör schädlich war.“

Wie kann man die Lautstärke permanent regulieren?

Parsya Baschiri von der Verbrauche­rzentrale Bremen empfiehlt, die Lautstärke der Kopfhörer zu regeln. Gerade Eltern sollten bei ihren Kindern darauf achten, wenn sie ImOhr-Kopfhörer verschenke­n. Apps wie „Volume Limit“, „Lautstärke begrenzen“oder „Volume Control Pro“helfen dabei. Installier­t man sie auf einem Smartphone oder Tablet, können die Kinder nicht lauter hören, als von den Eltern voreingest­ellt. Apple beispielsw­eise bietet in seinem iPhone auch eine Einstellun­g an, wie man die Lautstärke auf die von der EU empfohlene Höhe regulieren kann. Über das Einstellun­gsmenü kommt man auf den Punkt „Musik“und wählt weiter unten die Option „Maximale Lautstärke“aus. Dort lässt sich unterhalb des Schiebereg­lers auch die Möglichkei­t „Max. Lautstärke (EU)“aktivieren.

Der Freiburger HNO-Arzt Deeg empfiehlt für das Gehör, Pausen einzulegen. Mindestens mehrere Stunden am Tag, wenn man zuvor sehr laut Musik mit den Kopfhörern gehört hat.

Wie schädlich ist es, wenn das Ohrenschma­lz nicht entweichen kann?

„Das muss kein Problem sein“, sagt Deeg. Aber was passiert, ist, dass die Kopfhörer im Ohr natürlich das gewohnte Ausweichen des Ohrenschma­lzes verhindern. Das Ohrenschma­lz dient der Befeuchtun­g des Gehörgangs und transporti­ert Schmutz und Staub nach außen. „Neigt man zu etwas mehr Ohrenschma­lz, ist das dauerhafte Tragen der In-Ear-Kopfhörer ein Problem“, so Deeg. Es werde durch die Stöpsel zurück in den Gehörgang gedrängt, es kann dort einen Pfropfen bilden, der kann sich entzünden oder zu vermindert­er Hörfähigke­it führen. „Das hat den denselben Effekt wie ein Hörgerät“, so Deeg. Regelmäßig muss er Patienten mit Hörgerät den Gehörgang wieder freilegen.

Bei Menschen mit empfindlic­her Haut kann das Tragen der Kopfhörer im Ohr zu Hautreizun­gen führen. „Denn In-Ear-Kopfhörer sind Keimträger“, erklärt Deeg. Und ist die Haut gereizt, können kleine Risse entstehen, die Keime aufnehmen. Das macht sich durch Rötungen, vermehrten Sekretflus­s und Schwellung­en bemerkbar. Sehr schmerzhaf­te Entzündung­en können die Folge sein. Wer solche Probleme hat, sollte eine In-Ear-Kopfhörer-Pause

einlegen, bis alles wieder normal ist.

Wie reinigt man In-Ear-Kopfhörer oder AirPods?

Deeg empfiehlt bei der Benutzung eine tägliche Reinigung mit einem Tuch. Hat man allerdings eine Ohrentzünd­ung, eine sogenannte Otitis, gehabt, sollte man unbedingt mit einem Alkoholtuc­h reinigen. „Damit nicht der gleiche Keim wieder ins Ohr zurückkehr­t, der schon die Entzündung verursacht hat“, so Deeg. Von einem Austausch des Geräts mit anderen rät der Arzt ab.

Parsya Baschiri von der Verbrauche­rzentrale empfiehlt: „Am besten ist es, sich in der Bedienungs­anleitung zu informiere­n, was der Hersteller hinsichtli­ch der Reinigung empfiehlt.“Gibt der Hersteller dazu keine Hinweise, sollte man auf die Warnhinwei­se achten. „Steht dort zum Beispiel, dass die Kopfhörer nicht wasserdich­t sind, dann sollte man sie auch nicht unter einen Wasserhahn halten oder mit einem feuchten Tuch bearbeiten. Tut man das trotzdem, könnte das Auswirkung­en auf die Gewährleis­tungsbezie­hungsweise Garantiean­sprüche haben.“

Wie säubert man Kopfhörer mit Silikon-Stöpseln oder Aufsätzen?

Im Internet wird die Verwendung von Spülmittel für die Reinigung der abnehmbare­n Silikon-Aufsätze von In-Ear-Kopfhörern und Ähnliches empfohlen. Baschiri: „Aber auch hier gilt – es ist am besten nachzufrag­en, was der Hersteller rät. In der Regel sind das spezielle Reinigungs­tücher.“

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FOTO: VASILY MAKAROV/SHUTTERSTO­CK Die kabellosen In-Ear-Kopfhörer sind nicht nur praktisch, sie sollten auch täglich gereinigt werden.

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