Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wandern mit dem Weinglas
Der Fränkische Rotwein-Wanderweg führt durch Sandsteinterrassen und hügelige Landschaften. Ein Besuch bei sechs Winzern
Wanderer müssen so gut informiert sein, dass sie nach drei Schoppen noch den Weg finden“, erläutert Kellermeister Willy Stritzinger in Pfälzer Dialekt seine Erfindung. „Warum haste schon wieder den Kasten laufen?“habe seine Frau den gebürtigen Deidesheimer und leidenschaftlichen Radiohörer gefragt. Da lief eine Reportage über Südtiroler Weinorte, die wie an einer Perlenkette aufgereiht liegen. Willy Stritzingers Idee für den Fränkischen Rotwein-Wanderweg (FRW) war geboren.
Realisiert 1990, feiert der Weg nun 30-jähriges Jubiläum. Heute folgen Wanderer einem Rotweinglas auf dem rund 70 Kilometer langen Weg durch die Reben auf den Terrassen aus rotem Sandstein entlang des Mains. Es ist das Logo des Fränkischen Rotwein-Wanderwegs von Großwallstadt im Norden, bis nach Bürgstadt im Süden. So können sich Wanderer auch nach dem Besuch von Häckerschenken, wie hier die Straußenwirtschaften heißen, gut orientieren.
Den Durchbruch bei der Realisierung des Wanderweges brachte ein Besuch des legendären, 1988 verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in Klingenberg. Damals leitete Willy Stritzinger dort das zwischenzeitlich an chinesische Investoren verkaufte städtische Weingut. Während „zig Millionen“in den Würzburger Weinbau flossen, ärgert er sich heute noch, wurden Fördergelder für den Terrassenweinbau am Untermain stets abgelehnt. Nach dem Besuch habe „FJS“seinen Finanzstaatssekretär angewiesen drei Millionen D-Mark locker zu machen. „Der FRW wurde als einzige Flurbereinigungsmaßnahme vom Bayerischen Ministerrat beschlossen“, erinnert sich Willy Stritzinger an eine seinerzeit schwere Geburt.
Einige der besten deutschen Spätburger wachsen zwischen Spessart und Odenwald entlang des FRWs auf Churfrankens Sandsteinterrassen. „Wanderer schätzen den Weg durch die Weinberge, wo viele Genüsse warten“, weiß Stritzinger. Das ist nicht nur Rotwein, entlang des Mains wachsen nicht minder gute Weißweine. Eine Auswahl der interessantesten Weingüter entlang des Franken-Rotwein-Weges.
1 Weingut Giegerich – Großwallstädter Familienbetrieb:
Den Rebsortenlehrpfad Großwallstadt durch das Lützel- und das Pitztal hat Winzermeister Klaus Giegerich
1993 ins Leben gerufen. Heute ist der Lehrpfad Teil des FRW. Mit
58 Jahren überlässt der umgeschulte, gelernte Kaufmann das Weingut seinen Söhnen Kilian und Philipp. „Wir haben weniger Wein als KunBeispiel den“, lacht der Winzer. „Der rote Sandstein ist mächtig im Lützelberg, für den Spätburgunder ist das Pitztal die beste Lage“, weiß Giegerich. Dort setze die Familie auf alte Züchtungen aus Frankreich, deren Beeren zehnmal kleiner sind als die von Dornfelder-Trauben. Damit die Spitzenweine 20 bis 35 Euro pro Flasche erzielen, soll der Rotwein „hungern“. „Wegen der Erderwärmung“haben Giegerichs begonnen, auf einem Teil ihrer knapp 15 Hektar Bewässerungsschläuche einzuziehen.
2 Weingut Höflich – Innovativ in Großostheim:
Vorbei am Silbersee führt der FRW 16 Kilometer nach Großostheim. Von einer der größten Marktgemeinden Bayerns am historischen ehemaligen römischen Limes genießt Peter Höflich freien Blick auf die Frankfurter Skyline und das Aschaffenburger Schloss. Als Erster in Franken pflanzte der Winzermeister mit einer Sondergenehmigung Merlot und Cabernet Franc. Ähnlich innovativ ist auch Sohn Frank. Mit Winzerkollegen aus Italien hat er die Cuvée Teste Matte (Verrückte Köpfe) kreiert, auf deren ersten Roten sich der Senior schon freut. „Frankens Winzerkollegen hatten 2019 Frostschäden bis 100 Prozent, wir nicht“, preist Höflich seine Südlagen. Bereits seit zwei Jahrzehnten verzichte der Familienbetrieb in vierter Generation zugunsten von Nützlingen auf Insektizide. Schonendes Verarbeiten ist bei Höflichs also Programm. Mit 14 Prozent Alkohol sind ihre in Barriques ausgebauten hochwertigen Rotweine ausgesprochen lange lagerfähig.
3 Weingut Waigand – Erlenbacher Frauenpower:
„Wenn sich die Trockenmauern wölben, sagen wir, sie sind schwanger“, schildert Verena Waigand-Sacher die Mühsal des Terrassenweinbaus am Main. Damit kennt sich die vierfache Mutter aus. Während sich ihre Eltern um die zwei Hektar am Erlenbacher Hochberg kümmern, „tätschelt“die Weinküferin und Weinbetriebswirtin „lieber bei 16 Grad im Keller meine Tanks“. Deren größter fasst ganze 3000 Liter, also darf sie sich keine Fehler erlauben. Spätburgunder nennt die Weinprinzessin von 2008 „unsere Leidenschaft“, vor allem als kräftige „S-Klasse“im Bocksbeutel voll trockener Spätlese. Hingegen hat Verena lange gebraucht, den Portugieser ins Herz zu schließen: „Dann habe ich ihn ins Barriquefass gepackt und eine
Goldmedaille gewonnen.“Solange man nicht zu viel ernte, suchten sich „die alten Rebstöcke ihren Weg zum Wasser“, verrät sie am Aussichtspunkt Terroir F, den sich Erlenbach und Klingenberg teilen.
4 Weinbau Stritzinger – Biologisch trifft Tradition:
„Die hüpfen hier rum wie Dopsbälle“– mit dieser fröhlichen Wendung beschreibt Anja Stritzinger, die Tochter des FRW-Erfinders Willy, ihre jüngste Begegnung mit einem Rehbock zwischen den Reben am Klingenberger Schlossberg. Am ältesten Weinberg des Städtchens wachsen insgesamt stolze zwanzig verschiedene Rebsorten im gemischten Satz, also durcheinander, werden gemeinsam gelesen, gekeltert und vergoren. „Jedes Jahr übernimmt eine andere Sorte die Führung, zum
der Muskat-Trollinger – da kommt es beim Lesen auf den richtigen Zeitpunkt an“, sagt die erfahrene Winzermeisterin. „Alter Satz“steht dann auf dem dazugehörigen Etikett, weil die Europäische Union den „gemischten“für Österreich geschützt hat. Seit dem Jahr 1990 ist das Familienweingut zertifizierter Bioland-Betrieb. Bereits Mitte der 1980er-Jahre wirtschafteten Anjas Eltern nach den Prinzipien des ökologischen Weinbaus. Besonders stolz ist Anja auf ihren 2015er Spätburgunder Barrique, ausgezeichnet mit der Silbermedaille des Internationalen Bioweinpreises 2018.
5 Kremers Winzerhof – Der Jungwinzer aus Großheubach:
Mit 240 Millionen Jahren ist der Großheubacher Bischofsberg, „einer der ältesten Böden Frankens“, erzählt Jungwinzer Ulli Kremer. Seine Reben wachsen am FRW auf kargen, steinigen Böden, dominiert vom roten Sandstein. Bis zu 50 Prozent neigen sich die Hänge. Nach Praktikum am Kaiserstuhl und dem Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg hat er an der Technikerschule Volkach seinen Meister gemacht und den Familienbetrieb übernommen. Ulli bewirtschaftet inzwischen über zehn Hektar, seit 2009 biologisch. Bald möchte er sich zertifizieren lassen. Um Wasser zu sparen, lässt Ulli mulchen. Für den Herbst wird jede zweite Rebenreihe mit einer Weizen-Kräuter-Mischung eingesät. „Der Regenwurm hat hier alles, was er braucht“, freut sich der 29-Jährige. Von seinem 2017er „Pinot Noir Fass 29“hat er ganze 1500 Liter geerntet, auf drei Grad runtergekühlt,
14 Tage stehengelassen, dann in der Sonne das Gären gestartet, den Saft entzogen und unfiltriert im französischen Eichenfass reifen lassen.
6 Weingut Rudolf Fürst – Familienbetrieb mit Adel:
„Wir produzieren teurer als manche Kollegen ihren Wein verkaufen“. Das sagt Paul, Fürst vom Bürgstadter Centgrafenberg. Mit Sohn Sebastian bewirtschaftet der Winzer 32 Hektar, davon 17 eigene: „Das meiste Kapital steckt im Weinberg.“Reife Trauben, schonende Verarbeitung im vollen Fass, das wöchentlich aufgefüllt wird, sind das Erfolgsrezept des Familienunternehmens. Das Weingut exportiert in 35 Länder und beliefert Spitzengastronomie wie den Amorbacher Schafhof. Pauls Prunkstück ist der „Hundsrück“, ein würzig-kräftiges Großes Gewächs vom Spätburgunder, das in Bürgstadt auf 2,5 Hektar, teils terrassiertem Südhang wächst. Eine Flasche vom 2018er Jahrgang kostet 129 Euro. Generell setzen Fürsts auf „manuelle Lese mit Auslese“, arbeiten „herbizidfrei und biologisch, aber nicht zertifiziert“. Dafür setzt das Weingut „eigenen Kompost aus Rinder- und Pferdemist“zur Düngung ein, verrät Paul.