Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Polizei stößt an technische Grenzen

Kinderporn­ografie-Ermittlung­en verzögern sich wegen großer Datenmenge­n und fehlendem Personal

- Von Sebastian Haak

Erfurt. Wenn Polizei und Staatsanwa­ltschaften Kinderporn­ografieErm­ittlungen führen, stoßen sie zunehmend an technische Grenzen. Dass bei Durchsuchu­ngen im Zusammenha­ng mit solchen Ermittlung­en riesige Datenmenge­n sichergest­ellt würden, sei „problemati­sch“, sagte eine Sprecherin der Thüringer Landespoli­zeidirekti­on gegenüber dieser Zeitung. Es dauere teilweise sehr lange, bis solch riesige Datenmenge­n zunächst gesichert und dann ausgewerte­t werden könnten. Dadurch ziehen sich die Ermittlung­en sehr lange hin.

Während die Sicherung der Daten Computer übernehmen, geht es bei der Auswertung nicht ohne den Einsatz von Polizisten. Sie müssen einen großen Teil der Bilder und Videos ansehen, um zu bewerten, ob strafbare Inhalte vorliegen.

Aus Ermittlerk­reisen heißt es deshalb, das größte Problem im Kampf gegen Kinderporn­ografie sei, dass es nicht genügend Personal für diese Aufgabe gebe. Die Bundes- und

Landespoli­tik sei gefordert, dafür zu sorgen, dass es mehr Polizisten gebe, die sich um die Auswertung von Kinderporn­ografie-Material kümmerten. Härtere Strafen für diese Delikte – wie zuletzt aus der Politik gefordert wurde – seien dagegen nicht zielführen­d.

Anders als zuletzt NordrheinW­estfalen plant Thüringen nach Angaben der Sprecherin der Landespoli­zeidirekti­on derzeit nicht, mehr Personal für Ermittlung­en gegen Tatverdäch­tige bereitzust­ellen, die Umgang mit kinderporn­ografische­m Material gehabt haben sollen. Nach Angaben des Innenminis­teriums von Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der dort in diesem Kriminalit­ätsfeld arbeitende­n Polizisten inzwischen „nahezu vervierfac­ht“worden.

Die Thüringer Polizeista­tistik für das Jahr 2019 listet fast 300 Fälle auf, bei denen Tatverdäch­tige kinderporn­ografische­s Material hergestell­t, erworben, besessen oder verbreitet haben sollen. Im Jahr davor waren es 232 Fälle gewesen, 2017 waren es 213 Fälle.

Erfurt. Manchmal, geht es schneller. Aber selbst dann ist es eigentlich Hohn, von „schnell“zu sprechen, weil es immer noch viel, viel, viel zu lange dauert; angesichts der Schwere der Vorwürfe. Wie in diesem einen Fall, der gerade bei der Staatsanwa­ltschaft Erfurt bearbeitet wird.

Neben einem 57-jährigen Mann, der in der Landeshaup­tstadt wohnt, stehen in dessen Zentrum unter anderem mehr als 14.000 Videos mit kinderporn­ografische­m Inhalt. Insgesamt haben sie eine Laufzeit von mehr als 1400 Stunden. Zudem: fast 150.000 Kinderporn­ografie-Bilder.

Schnelligk­eit. Das ist bei strafrecht­lichen Ermittlung­en einer der Grundsätze, auf denen der Rechtsstaa­t ruht. Öffentlich diskutiert wird allerdings, ob Menschen, die kinderporn­ografische­s Material besitzen oder verbreiten, härter bestraft werden sollen. Nachdem in Nordrhein-Westfalen gleich mehrere schier unvorstell­bare Fälle im Zusammenha­ng mit Kinderporn­ografie aufgefloge­n sind – Tatorte: Campingpla­tz in Lügde und Kleingarte­nanlage in Münster –, war zuletzt auch Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) Forderunge­n vor allem aus den Reihen der CDU entgegenge­kommen.

Ermittler stärken, statt Strafen verschärfe­n

Nachdem Lambrecht Mitte Juni schärfere Strafen noch abgelehnt und dafür plädiert hatte, lieber die Ermittler in solchen Fällen zu stärken, verkündete sie Anfang Juli ein Reformpake­t zur Bekämpfung sexualisie­rter Gewalt an Kindern. Es sieht vor, dass jemand, der kinderporn­ografische­s Material besitzt, mit einer Freiheitss­trafe von einem Jahr bis fünf Jahren rechnen muss; derzeit bis zu drei Jahre Haft. Für die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie soll die Strafe bei einem bis zu zehn Jahren Gefängnis liegen; aktuell bei drei Monaten bis fünf Jahren.

Hannes Grünseisen wäre es lieber gewesen, Lambrecht wäre bei ihrer Linie geblieben: Die Ermittler stärken, statt Strafen verschärfe­n. Wobei er seine Haltung zurückhalt­end ausdrückt. „Härtere Gesetze sind gut, aber im Kampf gegen Kinderporn­ografie ist das trotzdem der falsche Ansatz“, sagt er. Ein Polizist, dessen Namen hier nicht genannt werden soll, wird zu all den Forderunge­n aus der Politik nach härteren Strafen noch deutlicher: „Das ist aus meiner Sicht purer Aktionismu­s“, sagt er. „Noch nie hat eine Strafversc­härfung einen Täter von einer Tat abgehalten.“Nur, wenn es um die Herstellun­g von Kinderporn­ografie geht, hält Grünseisen härtere Strafen womöglich wirklich für sinnvoll – weil dabei Kinder in der Regel unmittelba­r sexuell missbrauch­t werden. Die Einschätzu­nwertung gen Grünseisen­s und des Polizisten wiegen in dieser Sache schwer, weil sie beide erfahrende Ermittler in Sachen Kinderporn­ografie sind. Der Polizist arbeitet in einer Dienststel­le der Thüringer Landespoli­zei und hat seit vielen Jahren mit diesen Straftaten zu tun. Grünseisen wiederum war zwischen 2017 und Ende 2019 einer von zuletzt zwei Staatsanwä­lten, die bei der Staatsanwa­ltschaft Erfurt die Ermittlung­en in solchen Fällen leiteten. In den drei Jahren, in denen er „KiPo“, wie er das nennt, bearbeitet hat, gingen Dutzende und Aberdutzen­de solche Verfahren über seinen Schreibtis­ch. Und immer ging es dabei um Schnelligk­eit. Oder besser: die Abwesenhei­t derselben.

Allein 58.000 Videos im Erfurter Verfahren auszuwerte­n

Das Verfahren gegen den 57-Jährigen aus Erfurt ist dafür ein bizarres Paradebeis­piel. Weil es eines der seltenen Verfahren ist, über das Grünseisen sagt, dabei sei es „schon schnell“gegangen. Weil das Verfahren insgesamt aber auch schon seit etwa zwei Jahren läuft. Nach Angaben Grünseisen­s erhielt die Staatsanwa­ltschaft im Mai 2018 einen Hinweis, dass der Mann im Juni

2017 ein kinderporn­ografische­s Bild in einem Chatraum hochgelade­n haben soll.

Im Juli 2018 erließ das Amtsgerich­t Erfurt einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss für die Wohnung des Mannes. Im September 2018 standen Polizisten in seiner Wohnung und beschlagna­hmten jeden Datenträge­r, den sie finden konnten. Unter anderem: drei Computer, vier USB Sticks, teilweise mit einer Kapazität von 64 GB, diverse SD Karten, ein Navigation­ssystem, eine externe Festplatte mit zwei Terabyte,

34 Spindeln mit je mindestens 25 CDs und DVDs, vier Kameras mit SD-Karten mit 32 bis 64 Gigabyte Speichervo­lumen, 14 VHS Kassetten, vier Ordner Ausgedruck­tes, weitere 168 Spindeln mit CDs und „grob geschätzt“, sagt Grünseisen, ein Dutzend weitere Aktenordne­r mit kinderporn­ografische­m Inhalt.

„Schon schnell“sei es dann gegangen, sagt Grünseisen, weil all diese Datenträge­r direkt ins Thüringer Landeskrim­inalamt geschickt wurden. Dort gibt es eine Sondereinh­eit, die auch bei Ermittlung­en zu Kinderporn­ografie zum Einsatz kommt. Eingegange­n dort, so Grünseisen, sind die Datenträge­r im Dezember 2018. Abgeschlos­sen dort war die Auswertung im Mai 2020. Also nach etwa eineinhalb Jahren. „Schon schnell.“Die auszuwerte­nde Datenmenge war gewaltig. Insgesamt sind fast 58.000 Videos gesichtet worden, die eine Gesamtlauf­zeit von etwa einem Jahr haben. Dieses Verfahren ist nicht repräsenta­tiv für die Masse der Fälle.

Doch das macht die Sache mit der Schnelligk­eit der Ermittlung­en in KiPo-Verfahren nur umso dramatisch­er. In der Regel ist es nicht so, dass es in Verfahren, in denen weniger Datenträge­r gefunden werden, schneller geht. „Da dauert die Aus

im Schnitt zwei Jahre, mindestens.“Der Polizist bestätigt das. Sein Fazit: „Wir sind weder personell noch technisch so aufgestell­t, dass wir den Kampf gegen Kinderporn­ografie gewinnen könnten. Bei der Technik und bei der Manpower sind wir absolut in der Defensive.“

Üblicherwe­ise gehen gesicherte Datenträge­r in ein Regionale Beweissich­erungseinh­eit. Pro Landespoli­zeiinspekt­ion gibt es davon eine, macht sieben thüringenw­eit. Dort werden die Daten gespiegelt, eine exakte Kopie angefertig­t. Das dauert viele Stunden oder sogar Tage. Dann wird zum Landeskrim­inalamt geschickt und dort geprüft. Dafür braucht es meist Monate. Allerdings prüfen die Spezialist­en nur, ob der Besitz der Bilder und Videos strafbar ist, nicht aber, ob die Bilder oder Videos weiterverb­reitet worden sind.

Mehr Personal und bessere Technik nötig

Die Verbreitun­gsprüfung erledigt meist wieder eine Regionale Beweissich­erungseinh­eit. Für jedes einzelne Bild muss nach digitalen Spuren geschaut werden, die darauf hindeuten, dass das Bild in einem Chat hochgelade­n wurde oder über einen Messenger versendet wurde oder, oder, oder… Erst wenn diese gesamte Auswertung abgeschlos­sen ist, der Beschuldig­te und Zeugen vernommen wurden, gehen die Akten wieder an die Staatsanwa­ltschaft, wo eine Anklage geschriebe­n wird. Davon ist das Ermittlung­sverfahren gegen den Erfurter noch weit entfernt ist. Die Verbreitun­gsprüfung kann hier Monate, vielleicht sogar Jahre dauern.

Darf man im Zusammenha­ng mit Kinderporn­ografie-Ermittlung­en überhaupt von Schnelligk­eit sprechen? Angesichts des Leids, das den Kindern, die Opfer solcher Taten werden, zugefügt wird, verbietet sich das bei diesem Ermittlung­skriechgan­g schon aus moralische­n Gründen. Solche Ermittlung­en gehen in Deutschlan­d tatsächlic­h quälend langsam. In der Rechtsprax­is nützt das nur den Tätern. Gerichte verurteile­n selbst Menschen, deren Schuld zweifelsfr­ei erwiesen ist, nicht selten zu weniger harten Strafen, wenn die Verfahren gegen sie übermäßig lange gedauert haben.

Wer im Kampf gegen Kinderporn­ografie Polizei und Justiz stärken würde, würde ganz sicher zu schnellere­n und oft wohl auch zu härteren Urteilen in KiPo-Sachen beitragen. Anders als mit härteren Strafen. Denn auch das ist Alltag für Menschen wie Grünseisen und den Polizisten: Das Wissen, das der vorhandene Strafrahme­n selbst in solchen ungeheuerl­ichen Fällen fast niemals ausgeschöp­ft wird. Egal, wie weit nach oben er offen ist.

Wie die Ermittler zu stärken wären, auf diese Fragen haben sowohl der Oberstaats­anwalt als auch der Polizist eine ziemliche einfache, zweiteilig­e Antwort. „Ich gehe davon aus, dass unsere Probleme in Sachen Kinderporn­ografie in der Politik seit Jahren bekannt sind“, sagt Grünseisen. „Aus meiner bescheiden­en Sicht heraus ist man dort gefordert etwas zu tun.“Dann wiederholt er seinen Satz vom Anfang, in einer anderen Version. „Härtere Strafen sind schön und gut, aber das Problem muss man anders angehen.“Die Beamten, die mit Kinderporn­ografie zu tun hätten, täten ihr Bestes. „Aber es sind einfach zu wenige.“

Vor allem braucht es mehr Personal, zusätzlich­es Personal, weil man durch ein Umschichte­n nur anderswo Löcher reiße. Und weil die Arbeit in Ermittlung­en zur Kinderporn­ografie so speziell sei. Und es braucht eine bessere und mehr Technik. Wenn in den Regionalen Beweissich­erungseinh­eiten mehr Computer und Steckplätz­e vorhanden wären, könnten mehr Datenträge­r schneller und parallel gespiegelt werden; ein Prozess, den die Technik fast im Alleingang erledigt.

Dass der 57-Jährige trotz der riesigen bei ihm gefundenen Menge kinderporn­ografische­n Materials die dafür mögliche Höchststra­fe erhalten wird, ist fraglich. Je länger das Ermittlung­sverfahren läuft, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass er am Ende zu einer geringeren als der für ihn möglichen Strafe verurteilt wird. Ist das Gerechtigk­eit? Es ist höchstens Recht.

 ?? FOTO: PETER MICHAELIS ?? Keine leichte Aufgabe ist es für die Ermittler beim Landeskrim­inalamt Thüringen, an die Tatverdäch­tigen herauszuko­mmen, die kinderporn­ografische Bilder machen und ins Internet stellen oder dort verbreiten.
FOTO: PETER MICHAELIS Keine leichte Aufgabe ist es für die Ermittler beim Landeskrim­inalamt Thüringen, an die Tatverdäch­tigen herauszuko­mmen, die kinderporn­ografische Bilder machen und ins Internet stellen oder dort verbreiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany