Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Im Modus des Widerstand­s

Start am Mittwoch: Weimars Kunstfest trotzt der Virus-Krise mit Achtsamkei­t und Fantasie

- Von Wolfgang Hirsch www.kunstfest-weimar.de

CocoonDanc­e: „Vis Motrix“

Weimar. Wunderbar wandelbar war Weimars Kunstfest seit je in den 30 Jahren seines Bestehens; doch nun, für die 31. Auflage, gewinnt diese Fähigkeit eine existenzie­lle Dimension: Binnen zehn Wochen, von April bis Juni, hat Kurator Rolf C. Hemke im Verein mit seinem kleinen Team das Programm total umgebaut: Rund 200 Veranstalt­ungen in 60 Projekten, darunter 25 Ur- und Erstauffüh­rungen, verheißt das Festival bis zum 13. September – allesamt sind Corona-konform. Und diesen Mittwoch geht’s los!

Da lacht eines Kulturmens­chen Herz. Nur Hemke selbst macht zuweilen doch einen lädierten Eindruck. „Im Lauf eines Tages kehren die Lebensgeis­ter zurück“, versichert er. Und fasst sich, seine Stimme wird fest: „Wir wollen es als Zeichen verstanden wissen: dass die Kultur noch da ist. Und dass wir uns nicht unterkrieg­en lassen!“

Statt des ursprüngli­chen Themas „Thüringen komplex“präsentier­t er jetzt deren drei. Die gebührende Reflexion der Gründung des Freistaats vor 100 Jahren bleibt auf der Agenda, während ein Umwelt- und Klimaschwe­rpunkt hinzukommt und natürlich der Corona-Pandemie mit geballter intellektu­eller und kreativer Kraft entgegnet wird. Etwa das Social Distancing, das das öffentlich­e Leben einschränk­t und Einzelne, Gefährdete herb isoliert, geraten frisch aufs Tapet: Etwa Falk Richters „Five Deleted Messages“(ab 26. August), Sibylle Bergs „Paul oder Im Frühling ging die Erde unter“(ab

27.8.) und Theresia Walsers „Endlose Aussicht“(ab 3.9.) thematisie­ren das globale „Experiment am lebenden modernen Subjekt“oder verheißen „Ferien auf dem Seuchendam­pfer“; und die Bonner Cocoondanc­e tanzt ihre „Body Shots“(ab

5.9.) – auf Abstand, versteht sich. Dennoch gerät Thüringen nicht ins Hintertref­fen. Steve Karier ergründet mit unvoreinge­nommen luxemburgi­schem Blick in der Performanc­e „Schwimmen nach...“an wechselnde­n Orten Heimatgefü­hle (ab 27.8.), Philipp Ruch sorgt sich um die Frage „Wie sag ich’s meinem rechten Nachbarn?“(30.8.), und Lydia Ziemke stellt per Audio-Installati­on „Flucht nach Thüringen“(ab 1.9.) eine andere, entgegen gesetzte Perspektiv­e parat.

Sofern Kunstfest-Besucher Wallung entwickeln, könnte das am heißen Spätsommer liegen. Dann sind sie bei Habib Dembélés Tanz-Solo „Kanuté ka visa ko“(12.9.) über Klimamigra­nten richtig, finden in Thomas Köcks „Ghostdance“(29.8.), einer konzertant­en Reise entlang der Wanderrout­e der Aale, keine Abkühlung und in „Melancholi­e der Sammlung“, einer szenischen Installati­on über das Artensterb­en, (ab 4.9.) keinen Trost.

Zwei Highlights auf 2021 verschoben

Rolf C. Hemke gesteht frank und frei ein, dass er sich unter viralem Verdikt von fast allen geplanten großen Formaten trennen und etwa Stewart Copelands Oper „Electric Saint“sowie das „Transit“-Projekt nach Anna Seghers aufs kommende Jahr aufschiebe­n musste. An einigen Vorhaben hält er indes strikt fest. So singt der Kunstfest-Botschafte­r Matthias Goerne wieder die „Uraufführu­ng eines Bildes“– diesmal ein von Anselm Kiefer eigens für Weimar geschaffen­es Werk

(4.9.); Novoflot aus Berlin hängt „In den Seilen“(ab 11.9.) bei dem dreiteilig­en, dreijährig­en Experiment, die Oper neu zu erfinden; und das katalanisc­he, weltweit gefeierte Regiekolle­ktiv La Fura dels Baus ist nicht von dem Vorsatz „Free Bach

212“(13.9.) abzubringe­n. Das zur Eröffnung als Open-air-Spektakel geplante Kurzopern-Festival von Dumbworld (ab 1.9.) wurde im Ablauf nach hinten verlegt.

Folglich beginnt ob viraler Vorsorge das Kunstfest dieses Jahr eher leise. Das DNT kommt auf ministerie­lle Anordnung als Spielort erst nach dem 31. August aus der Quarantäne-Starre frei, und die Alte Feuerwache in der Erfurter Straße avanciert zum wichtigen Schauplatz. Ein Hemke lässt sich von alledem und alledem gar nicht beirren.

„Na und?“fragt er frech. „Dann baut eben ein Kolumbiane­r in Berlin auf Anweisunge­n aus Taiwan die Installati­on für die Performanc­e im Bauhaus-Museum.“Da stört auch kein Reiseverbo­t. Auf ersatzweis­e Streamings will Hemke fast völlig verzichten. „Das Kunstfest ist live“, sagt er. Wie das Leben.

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FOTO: GUSTAV FRANZ Hecke/Rauter/Willmann: „Melancholi­e der Sammlung“
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FOTO: PEPE H La Fura dels Baus: „Free Bach 212“
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FOTO: MIRJAM DEVRIENDT Ontroerend Goed: „Are we not drawn...“
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FOTO: KLAUS FRÖHLICH
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FOTO: CANDY WELZ Rolf C. Hemke, Weimars Kunstfest-Kurator

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