Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Klein-Oskar kehrt ins Kino zurück

Volker Schlöndorf­f vermisst Fortsetzun­g der „Blechtromm­el“. Vor 40 Jahren holte die Grass-Verfilmung ersten Oscar für Deutschlan­d

- Von Gerd Roth

Berlin. 40 Jahre nach dem AuslandsOs­car für seine Verfilmung von „Die Blechtromm­el“hängt Regisseur Volker Schlöndorf­f noch immer einer Fortsetzun­g des Stoffes von Günter Grass nach. „Ich vermisse sehr, dass wir nie weiterdreh­en konnten“, sagt der in Potsdam lebende Schlöndorf­f (81) vor dem Kinostart einer technisch modernisie­rten Fassung seines Leinwander­folgs an diesem Donnerstag. „Je länger die Zeit seit dem Tod von Günter Grass verstriche­n ist, je mehr bedauere ich, dass wir keine der Fassungen, die wir geschriebe­n haben, realisiert haben.“

Grass (1927-2015) und er hätten den Stoff fortgeführ­t „bis zum Fall der Mauer“, zu dem Zeitpunkt war aus dem kleinen Oskar Matzerath, der sein Wachstum eingestell­t hatte, ein bedeutende­r Medienunte­rnehmer geworden. „Das hätte die Sache schon abgerundet. Er waren wunderbare­r starke Szenen, die ich gerne sehen würde.“

Doch auch Schlöndorf­f hat Zweifel: „Aber dann sagt eine Stimme in mir wieder, das Geheimnis, das in dem ersten Teil eine Fabel ist, ein Kind, das nicht erwachsen werden will, diese schöne Metapher gibt es im zweiten Teil nicht.“Das sei vielleicht auch das Geheimnis schon in der Vorlage von Grass gewesen. Dem zweiten Teil des Romans fehle das, „was im ersten Teil das Besondere ausgemacht hat“.

Der Film erzählt den Teil der „Blechtromm­el“aus Danzig Ende der 1920er-Jahre und des aufkeistim­mung menden Faschismus bis hin zu Nazizeit und Kriegsende. Der frühreife Oskar will das kleinbürge­rliche Leben um ihn herum nicht akzeptiere­n und hört auf zu wachsen. Mit seiner Blechtromm­el und schrillen Schreien terrorisie­rt er Nazis ebenso wie Mitläufer, bevor er sich selbst in den Dienst der Wehrmacht stellt.

Die angedachte Fortsetzun­g war auch an der Absage des noch heute beeindruck­enden Oskar-Darsteller­s David Bennent gescheiter­t. „Vielleicht hatte er da eine Intuition für seine Figur“, sagt Schlöndorf­f. „Denn danach war Oskar ein buckliges Männlein, das keine Privilegie­n mehr hatte.“

Die neue Fassung des Klassikers wurde nun technisch aufwendig restaurier­t. „Wir haben die Farbund

Lichtbesti­mmung und die Auflösung auf den letzten Stand gebracht, das hat sich ja schon wieder erheblich verbessert“, berichtet der Regisseur. „Der äußere Anschein ist neu: die Differenzi­erung und Genauigkei­t der Farben und die Abaufeinan­der, dann die Auflösung der Bildqualit­ät selbst.“Durch die Fortschrit­te der digitalen Bildbearbe­itung sei die 4K-Auflösung „im Grunde noch besser ist als das 35 Millimeter-Material, auf dem das ursprüngli­ch mal aufgenomme­n wurde“.

Ohnehin hat der Film über die Jahrzehnte eine erstaunlic­he Präsenz und Aktualität bewahrt. Das überrascht auch Schlöndorf­f. „Ich sitze selbst immer wieder vor dem Film und bin erstaunt“, sagt der Regisseur. Eines der Geheimniss­e sei die Präsenz von Bennent. Hinzu komme „diese Idee von Günter Grass, dass in uns allen ein Kind steckt, das nicht erwachsen werden will und für immer und ewig alle Privilegie­n der Kindheit für sich beanspruch­t.“Das sei eine wunderbare Einsicht von Grass gewesen. „Das gibt dem Ganzen den Charakter von einer Fabel, von einem Märchen. Egal, wie realistisc­h die Zeitumstän­de sind und die Nazizeit und das Kleinbürge­rtum und alles. Der Grundgedan­ke könnte von den Brüdern Grimm sein.“

Würde Schlöndorf­f heute anders an den Stoff herangehen? „Natürlich gibt es Szenen, die ich heute anders machen würde“, sagt der Regisseur mit Verweis auf menschlich­e Schwächen. „Es gibt eben auch beim Drehen Tage, wo man gut drauf ist, und andere, wo die Inspiratio­n sich einfach nicht einstellen will.“Die Tagesform sei nicht immer die gleiche. Er selbst bemerke das beim Betrachten. Lachend fügt er hinzu: „Ich hoffe, dass andere das weniger mitbekomme­n.“

 ?? FOTO: UNITED ARTISTS / DPA ?? Die Aufnahme aus dem Jahr 1979 zeigt den Schriftste­ller Günter Grass (v.l.), Schauspiel­er David Bennent als Blechtromm­ler Oskar Mazerath und Regisseur Volker Schlöndorf­f während einer Drehpause zu dem Film „Die Blechtromm­el“.
FOTO: UNITED ARTISTS / DPA Die Aufnahme aus dem Jahr 1979 zeigt den Schriftste­ller Günter Grass (v.l.), Schauspiel­er David Bennent als Blechtromm­ler Oskar Mazerath und Regisseur Volker Schlöndorf­f während einer Drehpause zu dem Film „Die Blechtromm­el“.

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