Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Familie Sevilla im Freudentaumel
Der „FC Europa League“macht seinem Namen mit dem sechsten Titel im sechsten Finale alle Ehre. Inter Mailands Durststrecke hält nach zehn Jahren an
Köln. Bei der Rückkehr nach Spanien wurde deutlich, wie besonders diese Liebesbeziehung des FC Sevilla zur Europa League ist. Stolz reckten die frischgebackenen Champions die Trophäe in die Kamera, noch auf der Landebahn entrollten sie ein passendes Banner. „Niemand will sie so wie wir“, stand dort geschrieben. Die Fans ließen es sich nicht nehmen, ihre Helden nach dem 3:2 (2:2)-Finalsieg in Köln gegen Inter Mailand am Flughafen zu empfangen, in der Stadt wurden die Gebäude mit „Campe6nes – Reyes de Europa“angestrahlt.
Wie die „Könige Europas“fühlten sich die Andalusier, die ihren bereits sechsten Titel in der Europa League ausgelassen feierten. Es zeigte sich mal wieder, wie viel der von Franz Beckenbauer einst als „Cup der Verlierer“titulierte Wettbewerb dem FC Sevilla bedeutet.
Sportdirektor Monchi schwärmte nach dem sechsten Erfolg im sechsten Finale: „Das mit der Europa League ist nicht nur eine Romanze, sondern eine dauerhafte Beziehung.“Trainer Julen Lopetegui schossen die Tränen in die Augen. „Ich bin überwältigt“, sagte der 53Jährige: „Wir haben so hart dafür gearbeitet. Wir haben es verdient, gegen so ein fantastisches Team wie Inter zu gewinnen.“
Für Lopetegui dürfte der krönende Abschluss seiner ersten Saison beim Europa-League-Rekordsieger eine besondere Genugtuung sein, liegen doch schwere Zeiten hinter ihm. Er galt als größte spanische Trainerhoffnung, dann stürzte er in Rekordzeit ab.
Lopetegui vor WM-Start entlassen
Wegen seines bevorstehenden Wechsels zu Real Madrid wurde Lopetegui wenige Tage vor Beginn der WM 2018 in Russland vorzeitig als Nationaltrainer der Iberer entlassen. Und das Engagement bei den Königlichen dauerte wegen zahlreicher Misserfolge dann auch nur vier Monate. Alles abgehakt: „Ich blicke nicht zurück. Ich habe das Glück, in einem Klub zu sein, der mir die Chance mit einer richtigen Mannschaft
gegeben hat. Mit allem, was dieses Wort bedeutet.“
Tatsächlich war Sevillas Teamgeist wie schon so oft der Schlüsselfaktor im zweithöchsten europäischen Wettbewerb. Sowohl im Halbfinale gegen Manchester United als auch im Endspiel gegen Inter setzte sich das perfekt funktionierende Kollektiv dank großer Hingabe gegen die höhere individuelle Qualität des Gegners durch.
„Seit dem ersten Tag sind wir ein richtig verschworenes Team, und das hilft uns an solchen Abenden“, betonte Lopetegui. Doppeltorschütze Luuk de Jong (12., 33.) kann dem beipflichten. „Wir haben das Gefühl, dass wir eine große Familie sind“, so der Ex-Gladbacher.
Er selbst ragte mit seinen beiden Kopfballtreffern heraus. Der in seiner Bundesliga-Zeit in Mönchengladbach meist unglückliche Angreifer erlebte die größte Sternstunde seiner Karriere – zum Leidwesen von Inter, für das Romelu Lukaku per Foulelfmeter (5.) und Diego Godin (36.) vor der Pause trafen.
Die zehnjährige internationale Titel-Durststrecke der Nerazzurri geht wegen Pechvogel Lukaku, der nach Fallrückzieher von Diego Carlos den Ball zum entscheidenden 2:3 (74.) ins eigene Tor abfälschte, weiter. Trotz der besten Saison seit zehn Jahren steht die Zukunft von Coach Antonio Conte bei Inter angesichts der hohen Ansprüche der chinesischen Besitzer in Frage.