Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Schlimmer als Corona
Neurologe Florian Rakers: Die größte medizinische Herausforderung ist der Klimawandel
Jena. Für den Neurologen Florian ist nicht die Corona-Pandemie, sondern der Klimawandel die größte medizinische Herausforderung des neuen Jahrtausends. „Corona dürften wir in absehbarer Zeit im Griff haben, den Klimawandel aber nicht. Er wird uns die nächsten hunderte Jahre beschäftigen“, ist der Mediziner vom Universitätsklinikum Jena (UKJ) überzeugt. Rakers erwartet deshalb, dass sich die Politik „nicht nur auf das Thema Corona fokussiert“: „Corona ist schlimm, aber der Klimawandel ist noch viel schlimmer.“
Das haben schon die Hitzewellen seit 2003 gezeigt, auf deren Konto europaweit Zehntausende zusätzliche Tote kamen. Solche Hitzewellen könnten sich in Zukunft noch häufen. Dabei seien vor allem die Patienten gefährdet, die auch im Zusammenhang mit Corona als Risikogruppen gelten: Patienten mit Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen, Patienten mit Lungenkrankheiten und Patienten, die schon einen Schlaganfall erlitten haben. Um sie effektiv zu schützen, müssten entsprechende Vorkehrungen
getroffen werden: „Österreich hat zum Beispiel schon einen nationalen Hitzeschutzplan, Deutschland leider nicht.“
Doch ein solcher Plan bündele lebensrettende Maßnahmen wie etwa die frühzeitige Warnung von Seniorenund Pflegeheimen: „Dort muss dann an solchen Tagen das Personal verstärkt werden, um sicherzustellen, dass die Bewohner ausreichend trinken. Besonders geschwächte Bewohner könnten zudem auf die kalte Seite der Gebäude verlegt werden – so, wie wir das bei uns im Krankenhaus auch schon praktizieren“, sagt Rakers. Nur einen Ventilator ins Zimmer zu stellen, sei eine genauso schlechte Idee wie die, Klimaanlagen einzusetzen. „Denn Klimaanlagen befeuern den Klimawandel noch. Das ist aber genau das, was wir nicht wollen.“
Auf lokaler Ebene gebe es solche Wärmeschutzpläne mitunter schon, die Stadt Jena etwa entwickelte gerade eine Klima-Anpassungsstrategie. Rakers: „Aber das ersetzt das koordinierte Vorgehen auf nationaler Ebene nicht. Deshalb sollten wir einen nationalen Hitzeschutzplan als einen ersten Schritt an die Anpassung entwickeln.“
Den Zusammenhang zwischen Wetterlagen und dem gehäuften Auftreten bestimmter Erkrankungen erforschen er und seine Kollegen sowohl am UKJ als auch an anderen deutschen Kliniken seit Jahren: „Wir wissen heute zum Beispiel, dass bei Temperaturstürzen vermehrt Schlaganfälle auftreten. Es gibt ein regelrechtes Schlaganfallwetter.“Das belegten Datenreihen, die bis zurück ins Jahr 2003 reichten. Rakers: „Wir schauen uns seit Jahren an, mit welchen Erkrankungen bei welchem Wetter Patienten zu uns in die Notaufnahme kommen, und bringen das in einen statistischen Zusammenhang.“
Weil man inzwischen belegen könne, dass zum Beispiel das Schlaganfallrisiko nach Temperaturstürzen ansteigt und zwei Tage erhöht bleibt, sei man auch in der Lage, Risikogruppen besser zu schützen: „Wenn mir eine Omi an einem solchen Tag erzählt, dass ihr Arm kribbelt, bringe ich sie lieber einmal zu viel als einmal zu wenig in die Notaufnahme.“Ärzte müssten in der Lage sein, solche Warnzeichen wahrzunehmen und mit Blick auch auf das Wetter richtig zu deuten. Inzwischen, so Rakers, sei das Interesse an solchen Zusammenhängen riesengroß, er erhalte täglich zahlreiche E-Mails von Ärzten wie Patienten.
Wegen des Klimawandels werden aus Rakers Sicht aber nicht nur internistische und neurologische Erkrankungen zunehmen, sondern auch tropische Infektionskrankheiten, die etwa durch neue Mückenarten in unseren Breiten übertragen werden. Die deutschen Ärzte, findet er, müssten auch solche Erreger mehr und mehr auf dem Schirm haben. „Leider kommt das bisher auch im Studium viel zu kurz.“
Anlässlich der ARD-Themenwoche „Wie wollen wir leben?“(bis 21. November) haben Florian Rakers und sein Kollege Eckart von Hirschhausen über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels gesprochen. Den Beitrag „Krank vor Hitze“gibt’s in der MDR-Mediathek.