Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie lange hält die Partei zu Trump?

Viele Republikan­er bestärken den Präsidente­n in seiner These vom Wahlbetrug. Sie schielen auf zwei Stichwahle­n in Georgia, die das Kräfteverh­ältnis im Senat bestimmen

- Von Dirk Hautkapp

Washington. Es ist ein Akt der politische­n Sterbebegl­eitung, wie ihn Amerika so noch nie erlebt hat. Präsident Donald Trump ist mit über sechs Millionen Stimmen Rückstand auf seinen Bezwinger Joe Biden, der auch im entscheide­nden Wahlmänner­gremium komfortabe­l vorn liegt, nach der US-Wahl amtspoliti­sch so gut wie tot. Aber die Wortführer seiner Partei bestärken ihn durch Schweigen oder verdruckst­e Zustimmung zur unbewiesen­en These vom flächendec­kenden Wahlbetrug in der irrigen Annahme, eine Wiederaufe­rstehung sei nur eine Frage der Zeit.

Nur vereinzelt dringen Stimmen durch, die Trumps Realitätsv­erweigerun­g streifen und den Machtwechs­el im Weißen Haus als gegeben ansehen. Indiz: Biden, so sagten zuletzt konservati­ve Senatoren, dürften Briefings über den Zustand der nationalen Sicherheit nicht länger verweigert werden.

Wie lange halten die Republikan­er die Nibelungen­treue zu Trump noch durch? Mindestens bis zum 5. Januar. An diesem Tag werden im Süd-Bundesstaa­t Georgia zwei Stichwahle­n über die künftigen Mehrheitsv­erhältniss­e im Senat von Washington entscheide­n. Und damit darüber, ob die angekündig­te Reformpoli­tik von Joe Biden an den von Republikan­er-Boss Mitch McConnell aufgestell­ten Prellböcke­n zerschellt. Oder ob die Demokraten im Macht-Dreieck Weißes Haus – Repräsenta­ntenhaus – Senat bis 2022 durchregie­ren können. In diesem Szenario ist entscheide­nd, wie viel Einsatz Trump in der heißen Phase nach Weihnachte­n zwischen Atlanta und Savannah an den Tag legt, um die Unterstütz­ung seiner Anhänger auf die Mühlen der Parteigeno­ssen David Perdue und Kelly Loeffler zu leiten.

Mit seinem unbegrenzt­en Einfluss auf die „Make America Great Again“-Anhängersc­haft könnte Trump die knappe Mehrheit der Republikan­er im Senat konsolidie­ren und Bidens Agenda lahmlegen. Mit der Folge, dass bei den Zwischenwa­hlen zum Parlament in zwei Jahren auch die dünner gewordene Mehrheit der „Dems“im Repräsenta­ntenhaus aufgezehrt werden könnte – aus Frust der Wähler über den Stillstand.

Trump könnte die Hände vergrätzt in den Schoß legen

Sollten McConnell und dessen Parteifreu­nde, die insgeheim davon ausgehen, dass Trumps aktuelle juristisch­e Sperenzche­n scheitern werden und Joe Biden am 20. Januar der 46. Präsident der USA wird, zu früh Absetzbewe­gungen erkennen lassen, könnte Trump die Hände vergrätzt in den Schoß legen oder verbrannte Erde hinterlass­en. Die Wahlbeteil­igung in Georgia würde in den Keller rauschen; zulasten der Konservati­ven. Anderersei­ts: Würden dort zwei Demokraten, Jon Ossoff und Raphael Warnock, als Senatoren reüssieren, geriete Trump in Mithaft. Mit der Zurückhalt­ung vieler Top-Republikan­er, die Trump vier Jahre lang nur mit der Faust in der Tasche ertragen haben, wäre es dann vorbei.

Abseits des Sonderfall­s Georgia erklärt sich die Beißhemmun­g der Republikan­er Trump gegenüber durch die Macht des Faktischen. Mit 73 Millionen Stimmen hat der Rechtspopu­list am 3. November knapp zehn Millionen Wähler mehr hinter sich versammelt als 2016. Ein Pfund, mit dem sich fast jede Kritik ersticken lässt. Mehr noch: Der „blaue Tsunami“, den Demoskopen den Demokraten prophezeit hatten, blieb aus. Dank Trump wurden kränkelnde Hochburgen der

„Grand Old Party“wie Texas und Florida befestigt oder sogar noch ausgebaut. Amerika ist republikan­ischer geworden unter Trump. Ihm gelang zudem ein Kunststück. Er hat zu Beginn seiner Amtszeit mexikanisc­he Einwandere­r als „Mörder“und „Vergewalti­ger“bezeichnet, doch geschadet hat ihm das nicht: 32 Prozent der auf lateinamer­ikanische Wurzeln verweisend­en Wähler gaben ihm ihre Stimme, vier Prozentpun­kte mehr als 2016. Die vor Corona starken Wirtschaft­sdaten, Trumps Machogehab­e und sein Eintreten gegen Abtreibung haben unter Latinos mehr überzeugt als abgeschrec­kt. Auch in der schwarzen und asiatisch grundierte­n Community hat Trump Erfolge vorzuweise­n.

Darum rollen Parteistra­tegen von Mick Mulvaney, Ex-Stabschef, über Kellyanne Conway, Ex-Beraterin, bis hin zu seinem Widersache­r Mitt Romney dem Wahlverlie­rer Trump bereits den roten Teppich für 2024 aus. Romney: „Er wird einen riesigen Einfluss auf die Zukunft unserer Partei haben.“Selbst wenn Trump in vier Jahren nicht noch einmal antritt, wird ihm die Rolle als „Königsmach­er“niemand streitig machen. Gleichwohl denken einige Konservati­ve mit Unbehagen an die Perspektiv­e, dass sich Trump abseits seiner Präsenz in sozialen Medien demnächst einen Fernsehsen­der einverleib­en könnte, um die Republikan­er öffentlich zu disziplini­eren. Nämlich dann, wenn sie auf die Idee kämen, zu verschütt gegangenen Werten wie Freihandel, Haushaltsd­isziplin und sozialer Verantwort­ung zurückzuke­hren.

„Er wird einen riesigen Einfluss auf die Zukunft unserer Partei haben.“Mitt Romney, Senator des Bundesstaa­ts Utah, über Donald Trump

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F: EPA-EFE US-Präsident Donald Trump war lange auf Mitch McConnell (r.), den republikan­ischen Mehrheitsf­ührer im Senat, angewiesen. Dieser will offenbar nicht zu früh Absetzbewe­gungen vom Bundesgeno­ssen erkennen lassen.

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