Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die Beweislast der Jahre
Die aus Gotha stammende Schriftstellerin Kathrin Schmidt legt ihren dritten Gedichtband vor
Es ist eine poetische Spätlese, die Kathrin Schmidt in ihrem neuen Gedichtband vorlegt. Die Mühen des Alterns, die Qualen der Krankheit sind unübersehbar. „mein greisenhaus gilt als beweislast der Jahre“, heißt es im Gedicht „altneubausubstanz“
In dem Text „fingerbeerenlese“erinnert sich die aus Gotha stammende Schriftstellerin, die im Jahr 2009 den Deutschen Buchpreis erhielt, zunächst an das Erlernen des Klavierspiels: „als meine finger das laufen lernten“. In der dritten Strophe kommt es dann zum Bruch: „dass die finger noch laufen konnten, hielt an, bis ich den schlag traf. er grinste schräg aus der zeit… und nahm meine rechte hand“. Auch wenn die Grenze von gesund zu krank überschritten ist, die Autorin ergibt sich nicht und notiert im letzten Satz: „ich grinste zurück“.
Mit Grenzen befasst sich Kathrins Schmidt erneut in ihren politisch scharfzüngigen Texten. Etwa ein Viertel der Gedichte sind unter dem Titel „engerling blues“vereint. Was nach Engerling Blues Band klingt, ist im namensgebenden Gedicht tatsächlich eine Rückschau auf die DDR – doch keine nostalgische. So hat Kathrin Schmidt das Gedicht „gelbes elend“ihrem Vater gewidmet, der von 1948 bis 1956 in Bautzen inhaftiert war. Auch das Thema Asyl greift die Autorin wieder auf. So wird aus der kritischen Metapher „die schöne europa salz das milchwort asyl“die bittere Erkenntnis „das gesalzene milchwort asyl – von der lippe tropft es der schönen europa und frisst, wo es hinfällt, sich ein“. Schmidt: „europa lässt grüßen aus unbekann- tem exil“. Mit einem Wortspiel führt Schmidt das Thema Klimawandel in ihre Gedichte ein, so in „l’ab- sence d’eau“: „aus tau wird mau. maufrisch steht notgereiftes getrei- de auf den feldern, und die kir- schen, einst rotgroß, vergehen mit einem knirschen im mund.“
Kathrin Schmidt: „sommerschaums ernte“. KiWi, 112 Seiten, 20 Euro.