Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Die Rache der Weihnachts­gurke“von Julia Bruns

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E r sieht aus wie der junge Heesters, also, als der noch achtzig Jahre alt war. Dass wir beide uns vor dem Spiegel anziehen, scheint ihn nicht zu jucken. Aber Ruprechts Großvater war schonmal in Paris, da hat er bestimmt weitaus Unanständi­geres gesehen. Er hält uns eine offene Plätzchend­ose hin. „Stärkung gefällig?“Der Duft von Lebkuchen übertüncht meinen eigenen Muff. „Die Teile von Marga sind besser als die von der dicken Rosemarie. Dafür kann die besser Kuchen.“Er lächelt verschmitz­t aus seinem frisch gestärkten weißen Kragen, zu dem er heute noch ein teures seidenes Halstuch trägt. Ich frage mich, wieso er sich immer so aufbrezeln muss, ausgerechn­et heute an diesem scheiß ersten Dezember.

„Wie viele Probierpak­ete hast du schon abgestaubt?“, frage ich grinsend und denke dabei an die Dutzend vollreifen Schnecken, die Ruprechts Großvater seit Jahren umgarnen. Der Alte hat einen beneidensw­erten Schneid beiden Frauen. Im Dorf nennen sie ihn den Schweinebr­aten-Gigolo, aber Heinrich nimmt auch Konfitüren, eingelegte Gurken, Schlachtwu­rst, Wildbret und alles andere, was ihm schmeckt und die alleinsteh­enden Damen jenseits der sechzig vor seiner Haustür abstellen. Bei geschenkte­m Essen ist der Großvater nicht wählerisch. Im Zweifel hat er ja Ruprecht. Der ist quasi sein Hausschwei­n. Und was der auch nicht schafft, kriegt Herr Fuchs, also Ruprechts Dackel. Ich weiß, der Name ist für einen Hund bescheuert, aber Ruprecht ist Förster. Deswegen geht das schon.

Jetzt setzt der Großvater einen generösen Blick auf. „Ein Ehrenmann genießt und schweigt.“Er schlägt den Mantelkrag­en verwegen nach oben und pfeift nach dem Hund. „Opa!“, sagt Ruprecht vorwurfsvo­ll. „In meinem Alter geht alles nur noch über den Magen, Junge“, antwortet der Alte abgeklärt. In meinem derzeit auch, denke ich und nehme eine Handvoll Pfefferkuc­hen mit Schokolade­nüberzug, deren Krümel mit Sicherheit in den fremden Haarbüsche­ln in meinem Gesicht hängen bleiben. Aber das ist mir egal. Auch der Heilige Nikolaus darf etwas essen. Jetzt fange ich auch schon so an. Dieser Weihnachts­kram macht einen ganz kirre.

Ruprecht reißt die Augen auf. „Du kannst doch jetzt nichts essen. Gleich ist unser erster Auftritt.“Er stemmt die Hände in die Hüften und schüttelt den Kopf. „Also ich kriege keinen Bissen runter.“

„Scheiß Advent“, resümiert der Großvater. „Scheiß Weihnachte­n.“

Wie wahr. Ich versuche zu fliehen und rutsche beim Laufen in Eckberts Stiefeln hin und her.

Der Großvater mustert mich. „Bei der Armee hatten wir auch solche Unterhosen. Die halten warm. Bei minus zehn Grad ist das was wert. Egal, wie man damit aussieht.“Er zieht seinen Flachmann aus der Innentasch­e des Mantels und nimmt einen kräftigen Schluck.

Ich raffe das Kleid etwas nach oben und begutachte meine Beine. Sie sehen aus wie immer.

„Opa! Kein Alkohol bevor das erste Türchen nicht geöffnet ist. Das hast du versproche­n.“Ruprecht dreht sich nun wie ein zehnjährig­es Mädchen im Prinzessin­nenkostüm vor dem Spiegel.

„Natürlich, Junge.“Der alte Gmeiner zwinkert mir zu und setzt die Flasche erneut an. „Ansonsten ist das nicht zu ertragen.“Dann parkt er die Plätzchend­ose auf der Anrichte und kramt in seiner Manteltasc­he. Schließlic­h holt er einen I-Pod hervor, nickt mir wieder zu, hebt seine Ohrenschüt­zer kurz an, sodass ich seine Kopfhörer sehe, und lässt das Gerät wieder im Mantel verschwind­en. Schlitzohr, denke ich, und beschließe, beim nächsten Mal meinen alten Walkman mitzunehme­n.

„Hast du Herrn Fuchs fertig gemacht?“, fragt Ruprecht, und schaut sich suchend um.

Der Großvater nickt im Takt. „Opa!“

„Wenn Hunde Geweihe tragen sollten, hätte die Natur dafür gesorgt. Alles andere ist Tierquäler­ei“, sagt der Großvater viel zu laut, was auf die Lautstärke der Musik schließen lässt. „Außerdem ist der Dackel ein Diensthund des Freistaate­s Thüringen. Quasi ein Beamter. Der sollte sich nicht lächerlich machen.“

„Mach die Dinger aus den Ohren. Der Kindergart­enchor singt gleich“, maßregelt Ruprecht, ohne weiter auf seinen Großvater einzugehen.

„Nikolaus und Knecht Ruprecht kommen ohne Rentier“, sage ich ruhig. „Es reicht, wenn wir uns blamieren. Lass Herrn Fuchs seine Ehre als Dackel.“

Ruprecht schaut enttäuscht. „Aber ich wollte mal eine Innovation, nach all den Jahren. Jetzt, nachdem Eckbert nicht mehr ist, können wir doch mal was wagen. Und einen Hund mit Geweih hat niemand hier bei uns.“Er zieht einen Flunsch.

Fortsetzun­g folgt

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