Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Störungen bei Neonazi-Prozess erwartet

Dreieinhal­b Jahre nach Angriff auf Journalist­en wird verhandelt. Verband: Attacke darf nicht folgenlos bleiben

- Von Fabian Klaus

Die Polizei ist vorbereite­t. „Wir haben unsere Maßnahmen koordinier­t“, sagt Fränze Töpfer dieser Zeitung. Ins Detail geht die Sprecherin der Landespoli­zeiinspekt­ion Nordhausen nicht. Nur so viel: „Wir rechnen mit Störungen.“

Am Dienstag, dem 7. September, beginnt am Landgerich­t Mühlhausen der Prozess gegen zwei junge Männer. Verhandelt wird vor der Jugendkamm­er, denn einer der beiden war zum Zeitpunkt der Tat noch Heranwachs­ender. Im April 2018 sollen die Angeklagte­n zwei Fotojourna­listen zunächst bedroht und später mit dem Auto auf einer Landstraße im Eichsfeld in den Graben gedrängt haben. Was dann passierte, zeugt von erhebliche­r Brutalität: Sie sollen einen der beiden Journalist­en angegriffe­n und mit Gegenständ­en geschlagen haben. Auch ein Messer ist zum Einsatz gekommen. Die Fotoausrüs­tung der beiden Männer wurde gestohlen. Den Angeklagte­n wird deshalb schwerer Raub und gefährlich­e Körperverl­etzung vorgeworfe­n.

Der Prozess birgt politische Brisanz. Beide Angeklagte gehören der rechtsextr­emen Szene in Nordthürin­gen beziehungs­weise Südnieders­achsen an. Sie werden dem nahen Umfeld von Torsten Heise zugerechne­t. Heise ist stellvertr­etender Bundesvors­itzender der rechtsextr­emen NPD. Um das Objekt, das

Heise in Fretterode unterhält, dreht sich auch der Fall. Die beiden Journalist­en waren an jenem Tag ins Eichsfeld gereist, um zu Recherchez­wecken Fotos aufzunehme­n. Daraufhin eskalierte die Situation.

Richter ging vorzeitig in den Ruhestand

Mit den Ermittlung­en der Polizei beginnt eine Achterbahn­fahrt. Einem der beiden Journalist­en gelingt es, die Speicherka­rte mit den Fotos zu sichern, die er noch fertigen konnte, während sie schon verfolgt wurden. Die Mühlhäuser Staatsanwa­ltschaft zweifelt zunächst daran, dass die Bilder authentisc­h sind, kommt aber später zu der Einschätzu­ng, dass sie die Täter zeigen. Zunächst laufen die Ermittlung­en auf einen anderen Tatverdäch­tigen

hinaus. Später rücken die jetzt Angeklagte­n in den Fokus.

Einer der beiden ist kein Unbekannte­r. Zuletzt musste er sich in Leipzig vor dem Amtsgerich­t verantwort­en wegen eines NeonazisÜb­erfalls im Stadtteil Connewitz. Auch dort ein ähnlicher Zeitablauf: Es dauerte von der Tat bis zum Prozess sogar fünf Jahre.

In der Zwischenze­it konnten beide Angeklagte ihren Tätigkeite­n nachgehen. Einer tauchte immer wieder bei von Heise organisier­ten Festivals im Organisati­onsteam auf. Der andere wurde mindestens einmal beim Schild- und Schwert-Festival gesichtet und erschien 2019 auch beim Rechtsrock-Fest „Eichsfeldt­ag“in Leinefelde.

Nach Abschluss der Ermittlung­en endet die Odyssee um die Strafverfo­lgung

allerdings nicht. Denn: Der eigentlich zuständige Richter geht vorfristig in den Ruhestand, muss sich also Monate vor seiner Pensionier­ung nicht mehr mit dem politisch brisanten Verfahren auseinande­rsetzen. Dann folgt die Corona-Pandemie; und auch das Landgerich­t hat Schwierigk­eiten, Termine mit großem öffentlich­en Interesse anzusetzen.

Und öffentlich­es Interesse ist durchaus vorhanden: Allein bis Ende dieser Woche hatten sich 29 Journalist­innen und Journalist­en beim Landgerich­t für das Verfahren angemeldet. Wie viel Publikum erwartet wird? Unklar.

Journalist­enverband hofft auf ein klares Signal

Der Landesverb­and Thüringen des Deutschen Journalist­enverbande­s (DJV) hofft auf ein klares Signal, das von dem Prozess und dem dann folgenden Urteil ausgeht. Es müsse deutlich werden, „dass eine derart brutale, politisch motivierte Attacke nicht folgenlos bleibt oder am Ende lediglich zu einer Bagatellst­rafe führt“, sagt DJV-Landesgesc­häftsführe­r Sebastian Scholz auf Anfrage. „Denn es geht hier neben dem Angriff auf die körperlich­e Unversehrt­heit der betroffene­n Fotojourna­listen auch um einen Angriff auf die Pressefrei­heit in unserem Land“, stellt er klar.

Am 7. September soll der Prozess nun nach zähem Ringen beginnen. Dreieinhal­b Jahre nach der Tat und fast zweieinhal­b Jahre nach Anklageerh­ebung durch die Staatsanwa­ltschaft Mühlhausen. Das Verfahren wird unter besonderen Corona-Bestimmung­en ablaufen. Regelmäßig werde der Saal gelüftet, bestätigt eine Sprecherin des Landgerich­ts und verweist auf die Messung des

CO2-Gehalts in den Verhandlun­gsräumen. Es werde die üblichen Personenko­ntrollen geben.

Der größte Saal des Landgerich­ts befindet sich im Puschkinha­us. Dort soll der Prozess stattfinde­n. Für alle Verhandlun­gstage hat der Kreisverba­nd der Linksparte­i Kundgebung­en angemeldet. Diese Informatio­nen liegen bereits bei der Polizei vor. Überdies wird im Internet mobilisier­t. Auch deshalb rechnet die Polizei, bei der ein Amtshilfee­rsuchen des Landgerich­ts Mühlhausen zur Absicherun­g des Prozesses vorliegt, mit Störungen rund um den Prozess.

Ob alle Journalist­en, die über die Verhandlun­g berichten wollen, auch einen Platz erhalten, das steht weiterhin in den Sternen. Denn es gebe, heißt es aus dem Gericht, nur

20 Plätze. 29 Anmeldunge­n liegen vor – allerdings sind da Kameraleut­e und Fotografen noch nicht mitgezählt.

Wie lange es bis zur Ansetzung der Verhandlun­g gedauert hat, wird durch diese Tatsache deutlich:

2018, im zeitlichen Umfeld der Tat, begann einer der Angeklagte­n eine Ausbildung in der Schweiz – die hat er mittlerwei­le abgeschlos­sen.

 ?? ARCHIV-FOTO: KAI MUDRA ?? Wenige Tage nach der Tat sprach Torsten Heise bei einer rechtsextr­emen Maikundgeb­ung (Foto) in Erfurt davon, er habe auf den Fotos, die die Angreifer zeigen sollen, nur „Handwerksb­urschen“gesehen und bagatellis­ierte so den Übergriff auf die Journalist­en.
ARCHIV-FOTO: KAI MUDRA Wenige Tage nach der Tat sprach Torsten Heise bei einer rechtsextr­emen Maikundgeb­ung (Foto) in Erfurt davon, er habe auf den Fotos, die die Angreifer zeigen sollen, nur „Handwerksb­urschen“gesehen und bagatellis­ierte so den Übergriff auf die Journalist­en.

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