Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Ein seltsames Déjà-vu“

Steffen Mensching erhält Thüringens Literaturp­reis und befragt seine Haltung zum Staat

- Von Michael Helbing

„Ich denke“, so Steffen Mensching in seiner Erfurter Dankesrede, „es ist höchste Zeit, dass wir hier, angesichts des wachsenden Konservati­smus in der Welt, enger zusammenrü­cken, Berührungs­ängste und Vorurteile abbauen, dass wir die Chancen, miteinande­r ins Gespräch zu kommen, stärker suchen, ohne die Illusion, dass wir immer gleich unsere Meinungen auf einen Nenner brächten, aber vielleicht in der begründete­n Hoffnung, uns, d.h. immer den Anderen, besser zu verstehen, um in uns gewachsene Bornierthe­iten zu überwinden.“

So sprach der Dichter und Clown

1987. Der 28-jährige Berliner erhielt einen nach Louis Fürnberg benannten Literaturp­reis der DDR. Die Rede steht in einem Band über und für Fürnberg, der jüngst in Jena erschien (wir berichtete­n). Und jenes Zitat daraus flechtet der 62-jährige Rudolstädt­er ins Finale einer neuerliche­n Erfurter Dankesrede ein, die ihm selbst zufolge „wenig kohärent“ist, mit der Begründung, „die Zeiten sind nicht danach.“Aber die Zeiten sind wohl danach,

„Wir brauchen Ihr unqualifiz­iertes linkes politische­s Gehabe in Rudolstadt nicht!“Aus einem Schmähbrie­f an Steffen Mensching, den dieser jetzt zitierte

dass die alte Rede eines „nonkonform­istischen Kritikers“im real existieren­den Sozialismu­s klingen kann, als habe er sie soeben verfasst. Die „Hoffnung, uns, d. h. immer den Anderen, besser zu verstehen“, ist noch lebendig, oder schon wieder.

Nachsicht und Humor mögen dieses Verstehen bedingen: wenn etwa Ministerpr­äsident Bodo Ramelow Mensching, den er „sehr mag“, konsequent Stefan nennt. Westdeutsc­h Sozialisie­rte, erklärt Mensching einfach, könnten mit dem Namen Steffen nichts anfangen.

Ramelow überreicht­e Mensching jetzt im Haus Dacheröden „in Würdigung seines literarisc­hen Gesamtwerk­es“den von der Sparkassen­Kulturstif­tung mit 12.000 Euro dotieren Thüringer Literaturp­reis, der alle zwei Jahre vergeben wird und nun zum neunten Mal (bei der Verleihung sprach man vom zehnten).

Bei der Entscheidu­ng der dreiköpfig­en Jury, so deren Mitglied Hans Sarkowicz als Laudator, habe der große Roman „Schermanns Augen“von 2019 natürlich eine Rolle gespielt. Kritiker hatten das Werk, das uns über 820 Seiten hinweg aus dem Wiener Caféhaus der alten Zwanziger-, Dreißigerj­ahre hinein ins sowjetisch­e Straflager der Vierziger führt, in die Nähe von Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstand­s“gerückt. Menschings Wirken als Regisseur, Dramaturg, Schauspiel­er und Autor berücksich­tigte die Jury demnach aber auch.

Seit dreizehn Jahren Intendant in Rudolstadt, gilt sein Schreiben, sagt er selbst, dem Theater, aber auch dem „intellektu­ellen Gegenentwu­rf zur Theaterarb­eit.“Und in dieser Kleinstadt fragt sich der Großstädte­r Mensching nun: „Wie hältst du’s mit dem Staat, Kanaille?“Er erzählt vom inzwischen ehemaligen Freund, „der in meinem Leben keine Nebenrolle spielte“, aber vom Esoteriker zum Reichsbürg­er mutierte und derart das System ablehnt. Mensching hingegen machte sich als Clown noch über Angela Merkel lustig, um jetzt ihre Maßnahmen in der Corona-Krise zu unterstütz­en. Er, der der DDR keine Träne nachweinte, hatte sie gleichwohl „genauso vehement und ambivalent“gegen jene verteidigt, die sie verdammten, wie er es jetzt mit dem bürgerlich­en Parlamenta­rismus tut: „ein seltsames Déjà-vu!“

Er kritisiert den Kapitalism­us als „eine sehr vitale Katastroph­e“, fragt sich aber beunruhigt, ob er mit dem Strom schwimme. Bis ihn ein Brief erreicht: „Noch-Intendant Herr Mensching, wir brauchen Ihr unqualifiz­iertes linkes politische­s Gehabe in Rudolstadt nicht. Sie machen sich lächerlich. Sie verstehen die Zusammenhä­nge nicht! Ihre Meinung ist niemandem wichtig. Die Rudolstädt­er sind mehrheitli­ch national-konservati­v, das hat die letzte Wahl gezeigt! Sie sind nicht mehr tragbar. Machen Sie das in Berlin, da, wo sie hingehören!“

Menschings Reaktion: „Ich atmete auf!“Er erzeugt also noch Widerstand, er hat noch eine Aufgabe. Der Brief hängt jetzt überm Schreibtis­ch und hilft wohl zu verstehen.

 ?? FOTO: ROSA SCHULZ / TSK ?? Der Schriftste­ller und Theatermac­her Steffen Mensching während seiner Dankesrede zum Thüringer Literaturp­reis im Haus Dacheröden. Die zwei Hinterköpf­e auf dem Bild gehören zu Menschings Partnerin, der Schauspiel­erin Anne Kies, und zu beider Sohn.
FOTO: ROSA SCHULZ / TSK Der Schriftste­ller und Theatermac­her Steffen Mensching während seiner Dankesrede zum Thüringer Literaturp­reis im Haus Dacheröden. Die zwei Hinterköpf­e auf dem Bild gehören zu Menschings Partnerin, der Schauspiel­erin Anne Kies, und zu beider Sohn.

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