Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Nach dem zähen Debüt schützt der Bundestrainer seine Stars und nimmt sie in die Pflicht
St. Gallen.
Seinen Debüt-Frust verbarg Hansi Flick hinter einem gequälten Lächeln. Der Gedanke an ein Glas Rotwein zu diesem „besonderen Spiel“kam dem Bundestrainer fast schon befremdlich vor, viel zu holprig verlief seine Premiere. Nach einer kurzen Nacht verließ Flick um neun Uhr morgens das Teamhotel mit der etwas ernüchternden Erkenntnis: Auf dem steinigen Weg zurück an die Weltspitze liegt endlos viel Strecke vor ihm.
„Es war ein Anfang, mit dem wir nicht ganz zufrieden sind“, sagte Flick in dem fast schon verzweifelten Bemühen, nach dem mickrigen 2:0 gegen Fußball-Zwerg Liechtenstein Nachsicht zu üben. Ersatzkapitän Joshua Kimmich wurde deutlicher. „Nichts hat so wirklich funktioniert“, klagte er. Und so kam auch der milde gestimmte Flick nicht ganz umhin, seine Stars für das „Gipfeltreffen“mit Armenien bei seiner Heimspiel-Premiere in Stuttgart am Sonntag (20.45 Uhr/ RTL) in die Pflicht zu nehmen: „Letztlich zählt es auf dem Platz. Da müssen wir liefern, wenn’s zählt. Darüber werden wir reden.“
Der müde Kick von St. Gallen sorgte für jede Menge Gesprächsbedarf. Große Probleme in der Offensive, gravierende Schwächen bei den Standards, kaum Ideen, zu wenig Tempo: Die Mängelliste war lang, die vielen Baustellen aus der bleiernen Spätphase der Ära Löw sind nicht ansatzweise geschlossen.
Wie sein Vorgänger sprach Flick fast folgerichtig immer wieder von einem „Prozess“. Besserungen, betonte er, stellen sich nicht schon nach nur drei Trainingstagen ein. Flick mahnte zur Geduld. „Ich lasse mich nicht wegen einem Spiel aus dem Takt bringen“, sagte er kämpferisch, „wir haben einen langen Weg vor uns und ich denke, wir kommen dahin, wo wir hin wollen.“
Der Anhang scheint an diese Perspektive und eine erfolgreiche Katar-WM in nur 15 Monaten zu glauben. Obwohl Gästefans in St. Gallen eigentlich gar nicht zugelassen waren, unterstützten mehrere
Tausend die DFB-Elf. Zwar gab es auch Pfiffe, Flick aber wurde vor und nach dem Spiel mit „Hansiii“-Sprechchören gefeiert.
Auf dem Platz mag die erhoffte Aufbruchsstimmung noch nicht zu spüren gewesen sein – in der Mannschaft hat Flick sie entfacht. „Ich bin voller Optimismus“, sagte Marco Reus. Mit seiner ehrlichen Art hat Flick die Spieler sofort erreicht. Und auch seine gerühmte menschliche Seite zeigte er gleich zu Anfang. Timo Werner und Leroy Sane, die mit Klub-Sorgen anreisten, bekamen eine Startelf-Chance – und dankten es mit Toren (41./77.).
Gegen Armenien werden mehrere Wechsel erwartet. Der geschonte Manuel Neuer soll ins Tor zurückkehren, Antonio Rüdiger, Leon Goretzka und Serge Gnabry dürften beginnen. Für den verletzten Robin Gosens könnte David Raum debütieren. Armenien „wollen wir anders bespielen“, sagte Flick. Mit einem Sieg würde die DFB-Elf den Tabellenführer überflügeln. „Das ist unser Ziel“, betonte Flick. Klappt es, ist vielleicht sogar ein Glas vom geliebten Rotwein drin.