Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Erstmals seit fast einem Jahr durften die Drachenfans ihre Mannschaft live spielen sehen
Auf einmal stand da einer mit dem Zollstock. Und vermaß den Rollstuhl von Asier Garcia, der verdutzt und aufgebracht daneben stand. Es war ein skurriles Bild, das sich beim Paralympics-Viertelfinale der deutschen Rollstuhlbasketballer gegen Spanien bot.
Ja, es gibt einige Rollstuhlbasketballer, die laufen können, etwa der spanische Kapitän. Das überrascht denjenigen, der es zum ersten Mal sieht. Zugleich ist es das Faszinierende an diesem Sport. Er ist der Inbegriff der Inklusion. Hier spielen Menschen mit Knieschaden, die aber ohne Gehhilfen ihren Alltag bestreiten können, mit Querschnittgelähmten zusammen. Im Rollstuhl sind sie alle gleich, unterschieden nur durch ein Punktesystem. Je stärker der Grad der Behinderung, desto niedriger die Punktzahl. In der Bundesliga spielen sogar Männer und Frauen in einem Team – wo gibt’s das schon?
Dem ultimativen Inklusionsgedanken, gepaart mit der dem Rollstuhlbasketball innewohnenden Dynamik, Schnelligkeit und Präzision, kann auch Lutz Leßmann, Macher der Thuringia Bulls, dem deutschen Meister aus Elxleben, einfach nicht widerstehen.
Leßmann, immer mittendrin statt nur dabei, war bei eben diesem paralympischen Duell, bei dem drei seiner Elxlebener Spieler für Deutschland spielten, stinksauer. Einer seiner Bulls, Weltklasse-Center Alex Halouski, war von Nationaltrainer Nicolai Zeltinger immer wieder mehrere Minuten lang draußen gelassen worden. Ohne den Bundesliga-Topscorer – übrigens auch einer, der laufen kann – fehlte den Deutschen eine große, gefährliche und zupackende Präsenz unter den Körben.
Das nutzten die Spanier weidlich. Auch, weil sie von Zeltingers fragwürdiger Vermessungsaktion am Rollstuhl ihres Kapitäns zusätzlich angestachelt wurden. Sie ließen den Medaillentraum der Deutschen platzen. Leßmann fand, und schrieb es in den sozialen Netzwerken, dass der eigene Trainer Zeltinger, der bei Bulls-Dauerrivale LahnDill wirkt, den Traum zerstört habe.
Wenn es um Befindlichkeiten und Medaillen geht, wird der Ton rauer. Das unterscheidet den Rollstuhlbasketball dann doch nicht von anderen Sportarten.
Erfurt.
Sie mussten manchmal ein paar Tränen verdrücken, als sie zuhause vor dem Laptop saßen. Tränen der Freude, wie gut ihre Black Dragons in der Eishockey-Oberliga spielten und zum ersten Mal seit vielen Jahren die Playoffs erreichten. Tränen des Fan-Schmerzes, dass sie bei alldem nicht dabei sein durften.
Am Donnerstag hatte die Leidenszeit ein Ende. Die Wesentlichen, die Seele des EHC Erfurt, die Fans, durften endlich wieder in die Kartoffelhalle. Zuletzt am 25. Oktober 2020, ehe Corona für eine Saison ohne Zuschauer sorgte, standen sie nun wieder – wenn auch nicht so dicht gedrängt wie sonst und mit Maske – auf jener Tribüne, die für sie die Welt bedeutet.
Für einen der bekanntesten Drachenfans, Torsten „Torti“Nordwig, begann das Faszinosum Black Dragons vor 23 Jahren. „1998 bin ich spontan mal hoch in die Kartoffelhalle – und nie wieder weg“, erinnert sich der 46-jährige Kraftfahrer, der in seinem Job „Gott sei dank keinen Schichtdienst“hat und so dem
Fansein frönen kann. Für ihn ist die Atmosphäre beim Eishockey einzigartig. „Kein Stress, keine Hektik, einfach nur Spaß. Wir singen gegeneinander und feiern miteinander – selbst mit Halle“, sagt er lachend über das Miteinander unter Eishockey-Fans, das es selbst mit jenen des ewigen Ostrivalen gibt.
In den letzten 20 Jahren war Nordwig fast bei jedem Spiel, daheim und auswärts, dabei. Nur Urlaube und ein Unfall beim Auswärtsspiel in Braunlage, als er sich eine Gehirnerschütterung zuzog, konnten mal verhindern, dass „Torti“mit seiner Jeansweste mit jeder Menge Aufnähern vorn in der ersten Reihe stand. Dementsprechend bezeichnet er die Corona-Saison, in der der Livestream das Liveerlebnis in der Halle ersetzen musste, als „grauenvoll“. Man habe mitgefiebert und mitgelitten, ab und zu auch daheim in der Kutte oder dem Drachentrikot, habe den Verein per Dauerkarte finanziell unterstützt, sei mit dem „harten Kern“wann immer es ging auch mal vor der Halle aufgetaucht, um irgendwie das Gefühl zu haben, dabei zu sein.
Mit jenem harten Kern, den 20 bis
25 Leuten, die in normalen Zeiten zusammen im stimmungsvollsten Fanblock stehen, hätten sich echte Freundschaften entwickelt. Und seine Frau, die hat Nordwig sogar beim Eishockey kennengelernt. Keine Frage, dass auch die gemeinsame zweijährige Tochter ein Drachenfan werden wird.
Sie wird dann schon bald bei Papa auf den Schultern dabei sein. So wie einst Vincent „Vince“Titz. Das „Uffta“nach dem Spiel erlebte er so in luftiger Höhe als kleiner Knirps mit. „Seitdem habe ich mich hochgearbeitet, musste mich einige Jahre beweisen“, beschreibt der heute 24Jährige, der in der Intensivpflege arbeitet, seinen Weg vom Mini-Fan, der selbst kurzzeitig beim EHC spielte und heute im Freizeitteam der Hurricanes sowie als Basketballer beim BCE aktiv ist, zum „Vortrommler“. Denn Titz ist nun schon seit einiger Zeit hauptverantwortlich für die Stimmung in der Halle. „Wenn die mal nicht so passt, war ich entweder nicht da oder werde dafür verantwortlich gemacht“, sagt er nur halb im Scherz.
Auch für ihn, der sich sogar ein Schlagzeug gekauft hat, um sich auf seine Aufgabe als Trommler vorzubereiten, war die letzte Saison nur schwer zu ertragen. Andererseits hat er als Bindeglied zwischen alten und jungen Fans beobachtet, dass bei einigen Jüngeren, die zuvor noch nicht oder nur sporadisch in der Halle dabei waren, durch den kurzweiligen Livestream das Interesse so richtig geweckt wurde. „Sie werden jetzt öfter dabei sein“, meint er zuversichtlich. Seine Verlobte hat er übrigens auch mit dem Eishockey-Fieber infiziert. Sie ist inzwischen bei fast jedem Spiel dabei.
Damit man sich auch künftig in der Kartoffelhalle nur mit dem Eishockey-Fieber und nicht mit Corona infiziert, gelten strenge Regeln. „Torti“und „Vince“, die trotz ihres Altersunterschiedes gute Freunde sind, verstehen das. „Lieber viele Fans mit Maske in der Halle als wenige ohne“, sagt Nordwig – froh, endlich wieder live dabei zu sein.