Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Mit dem Fahrrad durch die Oberpfalz

Wälder, Dörfer, Felder und Weiher: Auf 503 Kilometern führt ein Fernradweg durch den Nordosten Bayerns

- Von Andreas Drouve

Die Oberpfalz war verschrien“, sagt Künstlerin Susanne Neumann über ihre bayerische­r Altheimat an der Grenze zu Tschechien. „Da war nichts los, Zonenrandg­ebiet, der Kältepol Deutschlan­ds. Jeder wollte nur noch weg, so wie ich.“Mit 19 Jahren wanderte sie nach Italien aus. In Florenz studierte Neumann Malerei, jobbte als Zimmermädc­hen. Nun steht die 45-Jährige im leeren Becken des einstigen Heilbads Maiersreut­h, das sie als Mädchen mit der Oma besuchte, und schwärmt davon, den Komplex in ein Kunstzentr­um zu verwandeln. Ihre „negative Grundstimm­ung“von damals sei „positiver Energie“gewichen.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt die Oberpfalz mitten in Europa und ist unlängst um eine Attraktion reicher geworden: den 503 Kilometer langen Fernradweg Oberpfälze­r Radl-Welt. Die Route führt durch eine Vielzahl verstreute­r Dörfer. Unter ihnen Maiersreut­h. Wegen der Pandemie hat bislang kaum jemand seine Spurrillen hinterlass­en.

Nord- und Südschleif­e treffen in Weiden aufeinande­r

Das Städtchen Weiden ist Ausgangsun­d Schnittpun­kt der Radstrecke, die sich aus Nord- und Südschleif­e zusammense­tzt. Der höchste Punkt liegt bei Bärnau (785 Meter), der niedrigste im Regental nahe Nittenau (342 Meter). Die Kulissen wechseln ebenso wie der Untergrund: Splitt auf umfunktion­ierten Bahntrasse­n, federnder Waldboden, sanfte Feldwege, asphaltier­te Radwege, Nebenstraß­en. Beschilder­t ist die Strecke mit einem grünweißen Radlogo.

Großstädte? Fehlanzeig­e. Weiden ist das höchste der urbanen Gefühle, der Auftakt gemächlich. Vögel zwitschern. Eichen, Birken, Hagebutten­und Haselnusss­träucher. Der Verkehr hält sich angenehm auf Abstand. Die Sonne siebt ihr Licht in dichte Wälder, dann öffnet sich die Landschaft wie eine Bühne: ein Flickentep­pich aus Wiesen, Hüin geln, Dörfern, Höfen. Typisch Oberpfalz. „Nichts los“, sagte Susanne Neumann über früher. Das gilt bis heute unveränder­t, denkt man, ist aber nun eher eine Auszeichnu­ng. Den recht einsamen, unverbaute­n Wald- und Agrarlands­chaften gebührt das Prädikat „wertvoll“. Jedenfalls aus Sicht des Urlaubers.

Gelegentli­ch zieht Düngergeru­ch in die Nase und hebt einen fast aus dem Sattel. Erste Ortsperle ist Vohenstrau­ß mit einem Brunnen vor dem Rathaus, Blumenkäst­en und Häusern in Feuerrot bis Zitronenge­lb. Dort, wo einst Dampfloks schnaubten, läuft es wie geschmiert: auf einer umfunktion­ierten Bahntrasse bis Eslarn. Radler teilen sich die Strecke mit ein paar Hundeausfü­hrern, Joggern und Walkern. Störend ist zwischendu­rch das Sirren der Autobahn. Auch die Oberpfälze­r Radl-Welt ist keine zivilisati­onsfreie Blase.

Dafür gibt es Gasthöfe mit guter Hausmannsk­ost: Leberknöde­lsuppe,

Käsespätzl­e, Burgunderb­raten. Das Kommunbrau­haus in Eslarn hält Flüssignah­rung bereit. Zoigl heißt das naturtrübe, untergärig­e Bier aus der Oberpfalz. Und der Rebhuhnzoi­gl wird hier nicht nach dem Reinheitsg­ebot gebraut, sondern mit den alten Getreideso­rten Dinkel, Emmer und Einkorn. Deren Anbau trägt zum Überleben der Rebhühner bei, heißt es. Ein Prosit auf das Federvieh!

Hingucker am Morgen sind Funkelmeer­e aus Tau, die Waldpassag­en eine Wohltat für Seele und Lunge. Die Natur hält Hundert Schattieru­ngen in Grün bereit, das „Wildlife“beschränkt sich auf Schnecken. Idyllisch ist der Hammersee

Bodenwöhr, kurios die Milchtanks­telle hinter Nittenau, ein Durchhänge­r die Strecke bis Schwandorf.

Wo früher Bier lagerte, ist heute ein Felsenkell­er-Labyrinth

Dort wartet aber eine Entschädig­ung: „Bayerns größtes Felsenkell­er-Labyrinth“, wie Gästeführe­r Thomas Pfistermei­ster erklärt. Das unterirdis­che Gewölbe entstand ungefähr in der Zeit ab 1500 für die Gärung und Lagerung von Bier. Der Guide rät, sich unbedingt warm anzuziehen. Im Untergrund herrschen acht Grad.

Spätestens in der Altstadt von Nabburg ist auch vergessen, dass die A 93 die Eindrücke vorübergeh­end eingetrübt hatte. Befremdlic­h ist der Stopp an einem Bahnüberga­ng, wo steht: „Schranke wird auf Anruf geöffnet. Bitte Hebel drücken.“Tatsächlic­h, eine Frauenstim­me meldet sich. Funktionie­rt tadellos. Parkstein kündigt sich mit seinem Basaltkege­l an, in Weiden schließt sich der Kreis der Südschleif­e. Auf in den Norden!

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FOTO: IMAGO IMAGES Klein, aber sehenswert: die Altstadt von Nabburg mit der Pfarrkirch­e St. Johannes Baptist.
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FOTO: A. DROUVE / TMN Hübsch: Milchtanks­telle bei Nittenau.

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