Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Mit dem Fahrrad durch die Oberpfalz
Wälder, Dörfer, Felder und Weiher: Auf 503 Kilometern führt ein Fernradweg durch den Nordosten Bayerns
Die Oberpfalz war verschrien“, sagt Künstlerin Susanne Neumann über ihre bayerischer Altheimat an der Grenze zu Tschechien. „Da war nichts los, Zonenrandgebiet, der Kältepol Deutschlands. Jeder wollte nur noch weg, so wie ich.“Mit 19 Jahren wanderte sie nach Italien aus. In Florenz studierte Neumann Malerei, jobbte als Zimmermädchen. Nun steht die 45-Jährige im leeren Becken des einstigen Heilbads Maiersreuth, das sie als Mädchen mit der Oma besuchte, und schwärmt davon, den Komplex in ein Kunstzentrum zu verwandeln. Ihre „negative Grundstimmung“von damals sei „positiver Energie“gewichen.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt die Oberpfalz mitten in Europa und ist unlängst um eine Attraktion reicher geworden: den 503 Kilometer langen Fernradweg Oberpfälzer Radl-Welt. Die Route führt durch eine Vielzahl verstreuter Dörfer. Unter ihnen Maiersreuth. Wegen der Pandemie hat bislang kaum jemand seine Spurrillen hinterlassen.
Nord- und Südschleife treffen in Weiden aufeinander
Das Städtchen Weiden ist Ausgangsund Schnittpunkt der Radstrecke, die sich aus Nord- und Südschleife zusammensetzt. Der höchste Punkt liegt bei Bärnau (785 Meter), der niedrigste im Regental nahe Nittenau (342 Meter). Die Kulissen wechseln ebenso wie der Untergrund: Splitt auf umfunktionierten Bahntrassen, federnder Waldboden, sanfte Feldwege, asphaltierte Radwege, Nebenstraßen. Beschildert ist die Strecke mit einem grünweißen Radlogo.
Großstädte? Fehlanzeige. Weiden ist das höchste der urbanen Gefühle, der Auftakt gemächlich. Vögel zwitschern. Eichen, Birken, Hagebuttenund Haselnusssträucher. Der Verkehr hält sich angenehm auf Abstand. Die Sonne siebt ihr Licht in dichte Wälder, dann öffnet sich die Landschaft wie eine Bühne: ein Flickenteppich aus Wiesen, Hüin geln, Dörfern, Höfen. Typisch Oberpfalz. „Nichts los“, sagte Susanne Neumann über früher. Das gilt bis heute unverändert, denkt man, ist aber nun eher eine Auszeichnung. Den recht einsamen, unverbauten Wald- und Agrarlandschaften gebührt das Prädikat „wertvoll“. Jedenfalls aus Sicht des Urlaubers.
Gelegentlich zieht Düngergeruch in die Nase und hebt einen fast aus dem Sattel. Erste Ortsperle ist Vohenstrauß mit einem Brunnen vor dem Rathaus, Blumenkästen und Häusern in Feuerrot bis Zitronengelb. Dort, wo einst Dampfloks schnaubten, läuft es wie geschmiert: auf einer umfunktionierten Bahntrasse bis Eslarn. Radler teilen sich die Strecke mit ein paar Hundeausführern, Joggern und Walkern. Störend ist zwischendurch das Sirren der Autobahn. Auch die Oberpfälzer Radl-Welt ist keine zivilisationsfreie Blase.
Dafür gibt es Gasthöfe mit guter Hausmannskost: Leberknödelsuppe,
Käsespätzle, Burgunderbraten. Das Kommunbrauhaus in Eslarn hält Flüssignahrung bereit. Zoigl heißt das naturtrübe, untergärige Bier aus der Oberpfalz. Und der Rebhuhnzoigl wird hier nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut, sondern mit den alten Getreidesorten Dinkel, Emmer und Einkorn. Deren Anbau trägt zum Überleben der Rebhühner bei, heißt es. Ein Prosit auf das Federvieh!
Hingucker am Morgen sind Funkelmeere aus Tau, die Waldpassagen eine Wohltat für Seele und Lunge. Die Natur hält Hundert Schattierungen in Grün bereit, das „Wildlife“beschränkt sich auf Schnecken. Idyllisch ist der Hammersee
Bodenwöhr, kurios die Milchtankstelle hinter Nittenau, ein Durchhänger die Strecke bis Schwandorf.
Wo früher Bier lagerte, ist heute ein Felsenkeller-Labyrinth
Dort wartet aber eine Entschädigung: „Bayerns größtes Felsenkeller-Labyrinth“, wie Gästeführer Thomas Pfistermeister erklärt. Das unterirdische Gewölbe entstand ungefähr in der Zeit ab 1500 für die Gärung und Lagerung von Bier. Der Guide rät, sich unbedingt warm anzuziehen. Im Untergrund herrschen acht Grad.
Spätestens in der Altstadt von Nabburg ist auch vergessen, dass die A 93 die Eindrücke vorübergehend eingetrübt hatte. Befremdlich ist der Stopp an einem Bahnübergang, wo steht: „Schranke wird auf Anruf geöffnet. Bitte Hebel drücken.“Tatsächlich, eine Frauenstimme meldet sich. Funktioniert tadellos. Parkstein kündigt sich mit seinem Basaltkegel an, in Weiden schließt sich der Kreis der Südschleife. Auf in den Norden!