Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Gothaer Flugzeuge bombardieren London
Waggonfabrik stellt im Ersten Weltkrieg die Produktion um. Versailler Vertrag untersagt die Herstellung
„Die Gothas kommen“, war vor allem 1917 und 1918 als Schreckensruf in Großbritannien nicht selten zu hören. Flugzeuge, die in Gotha hergestellt worden waren, griffen während des Ersten Weltkrieges die britische Insel, aber auch Paris an.
Doch Gotha war bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine Fliegerstadt. Herzog Carl Eduard von SachsenCoburg und Gotha und etliche Lokalpolitiker erkannten das Potenzial der Residenzstadt und förderten fortan deren Ausbau zu einem Knotenpunkt im Luftverkehr.
Durch Spenden finanziert, entstand eine Luftschiffhalle nebst Landeplatz, die zum Jahresende 1909 im Süden der Stadt eingeweiht werden konnte. Im Zuge des Ausbaus bildete sich auch die Flugzeugindustrie in Gotha aus.
Eine der wichtigsten Firmen war die Waggonfabrik, die zunächst Eisen- und Straßenbahnwagen fertigte. Als das Geschäft zunehmend weniger Umsatz brachte, beschloss man, im aufstrebenden Flugzeugbau Fuß zu fassen. Die bescheidenen Anfänge waren Lizenzbauten eines deutschen Vorkriegsklassikers, der „Rumpler-Taube“, von denen etwa 100 Stück produziert wurden. Dieser Eindecker war noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges ein weit verbreitetes Modell, das aber bald als technisch veraltet ausgemustert wurde.
In Gotha begann man, eigene Modelle zu entwickeln, die auf der „Gotha-Taube“basierten. Mit dem fortschreitenden Krieg und der weiteren Verbesserung der Technik wurden auch in Gotha neue Flugzeugtypen gebaut. Die als G-Serie in
Dienst gestellten „Großflugzeuge“waren die ersten Langstreckenbomber der Geschichte, die mit einer Reichweite von bis zu 800 Kilometern nun auch die britischen Inseln ins Visier nehmen konnten. Zuvor war dies nur mit Luftschiffen möglich gewesen.
Eines der bekanntesten Modelle „Made in Gotha“war die G IV, ein Doppeldecker, der von drei Besatzungsmitgliedern bedient wurde. Er maß eine Spannweite von 23,7 Metern und eine Länge von 12,3 Metern und wurde durch zwei 260-PSMotoren angetrieben. Die mitführbare Bombenlast konnte später bis auf 1000 Kilo gesteigert werden.
Ab dem Frühjahr 1917 wurde innerhalb der Deutschen Luftstreitkräfte
ein „Englandgeschwader“aufgestellt, das mit Gotha-Maschinen unter dem Kommando von Hauptmann Ernst Brandenburg die Briten angreifen sollte. Am 13. Juni 1917 flog eben jenes Geschwader mit 20 Maschinen einen der bis dato schwersten Angriffe auf London, der 162 Menschen tötete und 432 verwundete. Der Name „Gotha“verkam im Englischen zum Unwort und sorgte dafür, dass der englische König George V. das britische Königshaus von Sachsen-Coburg und Gotha in Windsor umbenannte.
Mit dem Versailler Vertrag wurden Kampfflugzeuge für Deutschland verboten, sodass auch die Gothaer Waggonfabrik ihre Flugzeugproduktion einstellen musste.