Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Minijobber gehen im Lockdown leer aus

Bundesarbe­itsgericht: Keine Entschädig­ung seitens des Arbeitgebe­rs. Rufe nach einer Reform werden lauter

- Von Tobias Kisling Erfurt/Berlin.

Als vor eineinhalb Jahren die Pandemie in Deutschlan­d ankam, ging es für viele Beschäftig­te in Deutschlan­d ins Homeoffice. Für andere hingegen war das keine Option. Betriebe wurden im Lockdown geschlosse­n, das Land in den Stand-by-Modus versetzt. Knapp sechs Millionen Menschen befanden sich im April 2020 in Kurzarbeit.

Für eine wichtige Säule der Wirtschaft galt das aber nicht: Für die knapp acht Millionen Minijobber­innen und Minijobber, die pro Monat nicht mehr als 450 Euro verdienen. Wer in einem solchen geringfügi­gen Beschäftig­ungsverhäl­tnis steht, muss keine Steuern und Sozialvers­icherungsl­eistungen von seinem Einkommen abziehen – dafür zahlt man aber auch nicht in die Arbeitslos­enversiche­rung ein und hat entspreche­nd keinen Anspruch auf Kurzarbeit. Die Folge: In vielen Branchen wurden die Minijobber gefeuert. Insgesamt sind laut der Bundesagen­tur für Arbeit 555.000 Minijobs verloren gegangen.

Eine Bremer Verkäuferi­n, die in einem Nähmaschin­en- und Zubehörhan­del arbeitete, wollte sich nicht damit abfinden, leer auszugehen. Ein halbes Jahr lang arbeitete sie in dem Laden, verdiente pro Monat

432 Euro. Dann kam der Lockdown, der Laden musste im April schließen, die Verkäuferi­n erhielt keinen Lohn. Sie verlangte von ihrem Arbeitgebe­r eine Entschädig­ung – schließlic­h gehöre die Ladenschli­eßung während einer Pandemie zum Betriebsri­siko, so ihre Argumentat­ion. Vor dem Landesarbe­itsgericht Niedersach­sen hatte sie damit noch Erfolg. Doch am Mittwoch hob das Bundesarbe­itsgericht in Erfurt die Entscheidu­ng auf.

Angeordnet­e Geschäftss­chließunge­n während der Pandemie sind kein unternehme­risches Betriebsri­siko, urteilten die Richter (5 AZR 211/21). Es sei Sache des Staates, für einen Ausgleich der finanziell­en Nachteile zu sorgen. So hat sich die Hoffnung vieler Minijobber auf eine nachträgli­che Entschädig­ung zerschlage­n.

Studie: Reform könnte bis zu 124.000 Jobs bringen Erleichter­t zeigten sich dagegen die Arbeitgebe­rverbände. „Die Rechtsprec­hung ist im Sinne der Wirtschaft, da sie dem Verursache­rprinzip Rechnung trägt und die Unternehme­n so vor weiteren Belastunge­n schützt“, sagte Hans-Jürgen Völz, Chefvolksw­irt des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW), unserer Redaktion. Zugleich forderte er, dass die Bundesregi­erung Benachteil­igungen der geringfügi­g Beschäftig­ten gegenüber den Kurarbeite­rgeld-Empfängern entschärfe­n solle.

Damit rückt die Debatte um die Zukunft der Minijobs wieder in den Fokus. „Minijobs sind nicht krisenfest und können sehr schnell zur Armutsfall­e werden“, sagte Anja Piel, Vorstandsm­itglied im Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB), unserer Redaktion. Die Pandemie habe diese Situation verschärft, Tausende seien ohne Kurzarbeit­er- oder Arbeitslos­engeld „in schlimmer Not gelandet“, sagte Piel. Sie forderte eine Umwandlung der Minijobs in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse.

Auch Sebastian Dullien, wissenscha­ftlicher Direktor des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK), steht den Minijobs kritisch gegenüber. „Minijobs schaffen viele Fallen für Geringverd­iener“, sagte der Ökonom unserer Redaktion. Eine Umwandlung der Minijobs in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse – mit Ausnahme der Privathaus­halte – könne auch die Konjunktur beflügeln.

Gestützt wird Dulliens These von einer neuen Berechnung des IfoInstitu­ts, die die Bertelsman­n Stiftung im Rahmen einer Studie am Mittwoch veröffentl­ichte. Würde der Gesetzgebe­r sowohl das Ehegattens­plitting als auch die Minijobs reformiere­n, könnten 124.000 Menschen in sozialvers­icherungs- und steuerpfli­chtige Jobs gebracht werden – darunter 108.000 Frauen. Die Kombinatio­n aus Ehegattens­plitting und Minijob wirkt sich für viele Frauen nachteilig aus. Aktuell haben laut der Bertelsman­n-Untersuchu­ng von 7,6 Millionen Ehefrauen zwischen 25 und 60 Jahren etwa drei Viertel – rund sechs Millionen Frauen – ein geringeres Einkommen als ihr Partner. Zugleich unterliege die Zweitverdi­enerin im Ehegattens­plitting in der Regel demselben Steuersatz wie der Erstverdie­ner – der Anreiz, mehr zu verdienen, sei damit nicht gegeben.

„Eine solche Steuerrege­lung ist unzeitgemä­ß, demotivier­end und unterm Strich eine Diskrimini­erung per Lohnzettel – und gehört daher so schnell wie möglich abgeschaff­t“, sagte Johannes Bungart, Geschäftsf­ührer des Bundesinnu­ngsverband­es des Gebäuderei­niger-Handwerks, unserer Redaktion.

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FOTO: MARIJAN MURAT / PA/DPA In der Gastronomi­e haben während des ersten Lockdowns viele Minijobber ihre Arbeit verloren. Nun herrscht Personalkn­appheit.

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