Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Minijobber gehen im Lockdown leer aus
Bundesarbeitsgericht: Keine Entschädigung seitens des Arbeitgebers. Rufe nach einer Reform werden lauter
Als vor eineinhalb Jahren die Pandemie in Deutschland ankam, ging es für viele Beschäftigte in Deutschland ins Homeoffice. Für andere hingegen war das keine Option. Betriebe wurden im Lockdown geschlossen, das Land in den Stand-by-Modus versetzt. Knapp sechs Millionen Menschen befanden sich im April 2020 in Kurzarbeit.
Für eine wichtige Säule der Wirtschaft galt das aber nicht: Für die knapp acht Millionen Minijobberinnen und Minijobber, die pro Monat nicht mehr als 450 Euro verdienen. Wer in einem solchen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht, muss keine Steuern und Sozialversicherungsleistungen von seinem Einkommen abziehen – dafür zahlt man aber auch nicht in die Arbeitslosenversicherung ein und hat entsprechend keinen Anspruch auf Kurzarbeit. Die Folge: In vielen Branchen wurden die Minijobber gefeuert. Insgesamt sind laut der Bundesagentur für Arbeit 555.000 Minijobs verloren gegangen.
Eine Bremer Verkäuferin, die in einem Nähmaschinen- und Zubehörhandel arbeitete, wollte sich nicht damit abfinden, leer auszugehen. Ein halbes Jahr lang arbeitete sie in dem Laden, verdiente pro Monat
432 Euro. Dann kam der Lockdown, der Laden musste im April schließen, die Verkäuferin erhielt keinen Lohn. Sie verlangte von ihrem Arbeitgeber eine Entschädigung – schließlich gehöre die Ladenschließung während einer Pandemie zum Betriebsrisiko, so ihre Argumentation. Vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte sie damit noch Erfolg. Doch am Mittwoch hob das Bundesarbeitsgericht in Erfurt die Entscheidung auf.
Angeordnete Geschäftsschließungen während der Pandemie sind kein unternehmerisches Betriebsrisiko, urteilten die Richter (5 AZR 211/21). Es sei Sache des Staates, für einen Ausgleich der finanziellen Nachteile zu sorgen. So hat sich die Hoffnung vieler Minijobber auf eine nachträgliche Entschädigung zerschlagen.
Studie: Reform könnte bis zu 124.000 Jobs bringen Erleichtert zeigten sich dagegen die Arbeitgeberverbände. „Die Rechtsprechung ist im Sinne der Wirtschaft, da sie dem Verursacherprinzip Rechnung trägt und die Unternehmen so vor weiteren Belastungen schützt“, sagte Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), unserer Redaktion. Zugleich forderte er, dass die Bundesregierung Benachteiligungen der geringfügig Beschäftigten gegenüber den Kurarbeitergeld-Empfängern entschärfen solle.
Damit rückt die Debatte um die Zukunft der Minijobs wieder in den Fokus. „Minijobs sind nicht krisenfest und können sehr schnell zur Armutsfalle werden“, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), unserer Redaktion. Die Pandemie habe diese Situation verschärft, Tausende seien ohne Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld „in schlimmer Not gelandet“, sagte Piel. Sie forderte eine Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Auch Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), steht den Minijobs kritisch gegenüber. „Minijobs schaffen viele Fallen für Geringverdiener“, sagte der Ökonom unserer Redaktion. Eine Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – mit Ausnahme der Privathaushalte – könne auch die Konjunktur beflügeln.
Gestützt wird Dulliens These von einer neuen Berechnung des IfoInstituts, die die Bertelsmann Stiftung im Rahmen einer Studie am Mittwoch veröffentlichte. Würde der Gesetzgeber sowohl das Ehegattensplitting als auch die Minijobs reformieren, könnten 124.000 Menschen in sozialversicherungs- und steuerpflichtige Jobs gebracht werden – darunter 108.000 Frauen. Die Kombination aus Ehegattensplitting und Minijob wirkt sich für viele Frauen nachteilig aus. Aktuell haben laut der Bertelsmann-Untersuchung von 7,6 Millionen Ehefrauen zwischen 25 und 60 Jahren etwa drei Viertel – rund sechs Millionen Frauen – ein geringeres Einkommen als ihr Partner. Zugleich unterliege die Zweitverdienerin im Ehegattensplitting in der Regel demselben Steuersatz wie der Erstverdiener – der Anreiz, mehr zu verdienen, sei damit nicht gegeben.
„Eine solche Steuerregelung ist unzeitgemäß, demotivierend und unterm Strich eine Diskriminierung per Lohnzettel – und gehört daher so schnell wie möglich abgeschafft“, sagte Johannes Bungart, Geschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks, unserer Redaktion.