Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Mütter und der Krieg

Drei nigerianis­che Friedensak­tivistinne­n sprechen in Thüringen über Verständig­ung in einem blutigen Konflikt

- Von Elena Rauch Erfurt.

Zwischen Deutschlan­d und der nigerianis­chen Millionenm­etropole Lagos liegen sechseinha­lb Flugstunde­n, von dort nach Kaduna sind es fast 900 Straßenkil­ometer in den Norden. Kaduna ist eine Stadt, in der Christen und Muslime schon immer zusammenle­ben, und von der es heute heißt, sie sei tief gespalten. Von Gewalt, von Schmerz, aus dem Hass wächst, der neue Gewalt armiert, ist die Rede. Kaduna ist die Hauptstadt eines Bundesstaa­tes, der fast dreimal so groß ist wie Thüringen und in dem Überfälle auf Dörfer, Verstümmel­ungen, Vergewalti­gungen, Morde und Entführung­en an der Tagesordnu­ng sind.

Von dort kommen die drei Frauen: Die Ordensschw­ester Veronica Onyeanisi, Mitgründer­in von WIC (Women’s Interfaith Council), einer Fraueninit­iative, die sich um ein interrelig­iöses Zusammenle­ben ohne Gewalt müht. Daharatu Aliya ist die muslimisch­e Koordinato­rin, Elizabeth Majinya Abuk die christlich­e. In dieser Woche sind sie in Thüringen unterwegs, auf Einladung des Bistums Erfurt und des katholisch­en Missionswe­rks Missio.

Sie fahren in die Dörfer, die Bibel und den Koran im Gepäck Schwester Veronica holt ihr Handy heraus, zeigt ein Foto. Zwei junge Männer in weißen Anzügen lächeln in die Kamera. Das Brüderpaar wurde entführt, vor wenigen Tagen hatte sie von der Mutter erfahren, dass einer von ihnen ermordet gefunden wurde. Eine muslimisch­e Familie. Der Angriff auf die christlich­e Familie von Elizabeth Abuk geschah an einem Märztag vor sechs Jahren. Sie kamen mit Gewehren, Macheten und Kanistern voller Petroleum für das Feuer in das Dorf ihrer Schwester. Diese, ihr Mann und vier Kinder wurden ermordet. Verbrannt.

Kaduna ist voll solcher Geschichte­n. Es gibt keine Sicherheit, sagt Schwester Veronica, sie entführen Menschen aus Schulen, von ihren Feldern, aus ihren Häusern.

Worum geht es? Um Lösegeld? Ist es der Streit um das knappe Land zwischen Dorfbewohn­ern, die meist Christen sind, und muslimisch­en Hirten? Das archaische Weltbild islamistis­cher Terrorgrup­pen wie Boko Haram, die auch in Kaduna ihren Schrecken verbreiten? Geht es um Macht, um Vergeltung?

Von „unbekannte­n Tätern“hatten die Behörden gesprochen, als Elizabeth Abuks Schwester und deren Familienan­gehörige starben. Es gibt viele Antworten, aber keine erschöpfen­de. Die Gewalt hält sich durch sich selbst am Leben. In Gestalt eines religiösen Konflikts, aber das ist er nicht, er wird nur dazu gemacht.

Die Täter haben keine Religion, denn wie sie eine hätten, würden sie nicht morden, sagt Daharatu Aliya. So sagen es die Frauen immer wieder, wenn sie in die Dörfer fahren, mit den Menschen reden, Bibel und Koran im Gepäck. Damit sie verstehen, was den Glauben des Nachbarn grundiert und dass die Unterschie­de kleiner sind als das Gemeinsame. Das ist der Kern. Ein Miteinande­r, das Vertrauen aufbaut, in der Trauer, in der Arbeit, im Gespräch. Solche Räume schaffen sie. Aber das reicht nicht. Von Verständig­ung zu reden, wenn es um die tägliche Existenz geht, reicht nicht. In den patriarcha­len Strukturen sind die Frauen abhängig von den Männern. Sind sie Witwen, wissen sie nicht, wie sie überleben sollen. Also organisier­en die WIC-Akteurinne­n Workshops, in denen Frauen ein kleines Handwerk erlernen, um ihre Familien zu ernähren und ihre Kinder zur Schule schicken zu können. Gerade auch die Mädchen, die manchmal schon mit neun Jahren verheirate­t werden. Bildung schafft Perspektiv­e und ermutigt.

Oft sind es die Frauen, die nach Auswegen suchen

In einem Gebiet wie Kaduna ist der Kampf gegen Gewalt immer auch ein Kampf gegen Armut. Und sehr oft ein Kampf gegen Zweifel. Nach dem Tod ihrer Angehörige­n, erzählt Elizabeth Abuk, habe ihre Nichte, die einzige der Familie, die überlebte, weil sie nicht im Dorf sondern bei ihr war, davon gesprochen, am liebsten zum Gewehr greifen und Rache nehmen zu wollen. Sie sind beide durch tiefen Schmerz gegangen. Ihre Nichte will inzwischen der Gerechtigk­eit auf ihre Weise dienen und Anwältin werden. Sie selbst sagt heute von sich: Frieden ist meine Passion. Weil die Gewalt aufhören muss, weil es keinen anderen Weg gibt.

Schwester Veronica trägt eine Kette mit einem Kreuz. Sie trägt es auch, wenn sie nach einem Überfall in ein Dorf aufbrechen. Während die Menschen ihre Toten begraben und die Verschlepp­ten zählen, über Verständig­ung reden, Vergebung gar, wie geht das?

Vergebung? Ein gewichtige­s Wort. Wenn die Wunden noch bluten, muss man zunächst da sein und helfen, ganz unmittelba­r. Weil die Zurückgebl­iebenen etwas essen müssen, einen Platz zum Schlafen brauchen und Menschen, die sie in den Arm nehmen und ihren Schmerz aushalten.

Die Schwester erzählt von der jungen Frau, die einen Überfall überlebt, aber einen Unterarm eingebüßt hat. Manchmal müssen sich die WIC-Frauen nicht nur um psychologi­sche Hilfe bemühen, sondern auch um Prothesen. Sie hatte damals die Versehrte und andere verletzten Frauen auf der Krankensta­tion besucht, ihnen Reis mit Huhn gekocht, zugehört. So ist das oft: Männer fliehen in den Busch und Frauen bleiben zurück, weil sie ihre Kinder schützen wollen.

Und wie so oft sind es in solchen Konflikten Frauen, die nach Auswegen suchen, inmitten patriarcha­ler Strukturen, ausgerechn­et. Weil sie Mütter sind. Weil sie den Alltag am Leben halten müssen, während die Männer mit Krieg und Kampf beschäftig­t sind. „Mütter für Frieden“: so wird der WIC auch genannt, mittlerwei­le arbeiten 23 Frauenverb­ände mit, christlich­e und muslimisch­e.

Die große Anteilnahm­e, die sie hier erfahren, stärkt sie Manchmal werfen sie ihr eigenes Leben in die Waagschale, für all diese Hilfe. Sie können nie wissen, wo gerade eine unsichtbar­e Grenze in diesem unerklärte­n Krieg verläuft. Einmal, Schwester Veronica hatte gerade nach einem Besuch ein Dorf verlassen, wurde kurz darauf dort der Priester ermordet. Wer die Gewalt am Leben hält, für den ist jedes Wort über Verständig­ung, jede Ermutigung eine Provokatio­n.

Am Samstag, 13. November, werden die Frauen des Bündnisses den Aachener Friedenspr­eis entgegenne­hmen. Für ihren Mut und ihre Beharrlich­keit.

Sie sprechen von Dankbarkei­t für die Unterstütz­ung durch Missio für ihre Arbeit. Und auch für die Gelegenhei­t, hier darüber zu erzählen. Weil es das Leben der Frauen in Kaduna sichtbar macht und einen Faden knüpft. Ihre Anteilnahm­e, sagen sie, stärkt uns. Solche Stärkung brauchen viel.

 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Elizabeth Abuk (von links), Schwester Veronica Onyeanisi und Daharatu Ahmed Aliya sind im Monat der Weltmissio­n im Bistum Erfurt unterwegs. Im November nehmen sie den Aachener Friedenspr­eis entgegen.
FOTO: SASCHA FROMM Elizabeth Abuk (von links), Schwester Veronica Onyeanisi und Daharatu Ahmed Aliya sind im Monat der Weltmissio­n im Bistum Erfurt unterwegs. Im November nehmen sie den Aachener Friedenspr­eis entgegen.

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