Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Kann Fliegen klimafreun­dlich werden?

Die Fluggesell­schaften wollen mehr Ökotreibst­off einsetzen. Umweltschü­tzer fordern deutlich härtere Auflagen

- Von Alexander Klay

Berlin. Der neueste Versuch, Flugreisen­de für den Klimaschut­z zu begeistern, kommt aus dem Lufthansa-Konzern. An Bord der Langstreck­enflieger der neuen Ferienairl­ine Eurowings Discover verkaufen die Flugbeglei­terinnen und Flugbeglei­ter Lose für 15,50 Euro. Damit sollen Passagiere den CO2-Ausstoß ihrer Fernreise kompensier­en können – als Anreiz winkt ein weiterer Flug als Gewinn.

Mitten in der Klimadebat­te haben die Airlines ihre Kunden noch nicht wirklich für das Thema begeistern können. Während in der Corona-Pandemie der weltweite Flugverkeh­r zwischenze­itlich fast stillstand, herrscht jetzt wieder immer mehr Betrieb auf den Flughäfen und in der Luft. Doch selbst bei der Lufthansa, die eine eigene Online-Plattform zur Kompensati­on des CO2-Ausstoßes von Flügen betreibt, zahlt nur etwa jeder Hundertste fürs Klima drauf. Wobei der Nutzen dieser Abgabe hoch umstritten ist.

2035 könnte der erste Wasserstof­f-Airbus kommen

Egal, ob die Passagiere mitziehen oder nicht – etliche Airlines haben sich durchaus ehrgeizige Ziele für den Klimaschut­z gesetzt. Die Lufthansa, Europas größter AirlineKon­zern, will im Jahr 2030 seine Emissionen des Klimagases CO2 im Vergleich zu 2019 halbiert haben. Eine große Rolle spielen dabei Flugzeuge der neuesten Generation, die rund 20 Prozent weniger Kerosin verbrauche­n als ihre Vorgänger. Auch Ökotreibst­off – Sustainabl­e Aviation Fuel (SAF) – wird dabei immer wichtiger. 2050 will die deutsche Fluggesell­schaft

CO2-neutral unterwegs sein. Dieses Ziel hat sich auch der britische Billigflie­ger Easyjet gesetzt und forscht gemeinsam mit Luftfahrtu­nternehmen, darunter der amerikanis­che Kooperatio­nspartner Wright Electric, an Elektrofli­egern für Kurzstreck­en. Schon jetzt kompensier­e die Fluggesell­schaft alle CO2-Emissionen, wirbt die Airline. Und Easyjet-Chef Johan Lundgren forderte kürzlich Regierunge­n und Industrie öffentlich­keitswirks­am zu einer engen Zusammenar­beit auf, um emissionsf­reies Fliegen zu ermögliche­n.

Der europäisch­e Flugzeugba­uer Airbus forscht an Kurz- und Mittelstre­ckenjets mit Wasserstof­fantrieb. 2035 könnte das erste Modell auf den Markt kommen und

CO2-freies Fliegen für Distanzen ermögliche­n, bei denen innerhalb Europas die Eisenbahn eine immer größere Rolle spielen soll. Auf Langstreck­en ohne Zwischenst­opp zum Nachtanken bleibt der Branche jedoch langfristi­g nur synthetisc­her Kraftstoff.

Der wird künftig unter anderem im niedersäch­sischen Werlte produziert. Eine Anfang Oktober in Betrieb genommene Anlage im Emsland stellt als erste im größeren Maßstab mithilfe von Ökostrom, Wasserstof­f und CO2 erdölfreie­s Kerosin her.

Selbst scharfe Kritiker der Airline-Industrie sehen darin einen positiven Ansatz. „Die Luftfahrtb­ranche braucht synthetisc­hes Kerosin, um endlich einen Beitrag zum Klimaschut­z zu leisten“, sagt Benjamin Stephan, Luftfahrt-Experte bei der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace, unserer Redaktion. Doch das Klimaprobl­em der Luftfahrt ist damit nicht gelöst. Im Gegenteil. Anlagen wie das Pilotproje­kt im Emsland brauchen riesige Mengen Ökostrom, die es in Deutschlan­d bisher nicht gibt. „Um allein das in Deutschlan­d 2018 vertankte Flugbenzin durch synthetisc­hes Kerosin zu ersetzen, wäre die gesamte deutsche Jahresprod­uktion an Windstrom nötig gewesen.“

Hinzu kommt: CO2-neutral heißt im Luftfahrtg­eschäft nicht klimaneutr­al. „Das verschweig­en die Airlines ihren Kunden“, kritisiert der Greenpeace-Experte.

Der Klimaschad­en, etwa durch Kondensstr­eifen, Feinstaub und Stickoxide, sei mindestens um den Faktor zwei größer als allein durch das freigesetz­te Kohlendiox­id. Damit erzeuge die Branche, die 2,8 Prozent der weltweiten Kohlendiox­idemission­en verursacht, eine deutlich größere Klimawirku­ng.

Stephan geht daher mit der Branche hart ins Gericht. „Die Branche versucht mit der Aussicht auf CO2-neutrales Fliegen den Kundinnen und Kunden einzureden, dass sie weiter wie bisher fliegen können“, sagt er. Entscheide­nd sei eine wirkliche Änderung des Flugverhal­tens. „Jedes Jahr eine Fernreise oder Wochenendt­rips per Flugzeug können wir uns als Gesellscha­ft nicht mehr leisten.“

Den Fluggesell­schaften wirft er vor, sie würden Klimaschut­z „simulieren“. „Die Wissenscha­ft sagt uns: Wir müssen Emissionen schnellstm­öglich minimieren und Wälder und Moore schützen, um die Erderhitzu­ng noch auf 1,5 Grad begrenzen zu können“, so Stephan. „Für ein Entweder-oder wie bei Kompensati­onsprojekt­en haben wir keine Zeit mehr. “

Dass die Kompensati­on von Flügen nicht reicht, sieht offenbar auch die Branche so. „Alternativ­e Kraftstoff­e sind auf lange Sicht der erfolgvers­prechendst­e Weg, um das Fliegen CO2-neutral zu machen“, sagt Matthias von Randow, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL). „Wir haben mit dem Bund, Ländern und Industrie eine ambitionie­rte Roadmap für den Markthochl­auf von nachhaltig­en Flugkrafts­toffen auf Basis von erneuerbar­en Energien vereinbart.“

Bis 2030 sollen bereits mindestens 200.000 Tonnen Ökokerosin hergestell­t werden. So viel Kerosin reicht für ein Drittel aller Inlandsflü­ge. Bislang ist in Deutschlan­d und Europa vorgesehen, bis 2030 zwei Prozent strombasie­rte Kraftstoff­e im Flugverkeh­r zu verwenden. Experte Stephan: „Wenn es die Industrie wirklich ernst meinen würde mit dem Klimaschut­z, müsste sie längst der Politik gesagt haben: Das ist uns viel zu wenig.“

 ?? PA/DPA FOTO: SOEREN STACHE / ?? Fliegen gelingt nicht klimaneutr­al: Flugzeuge hinterlass­en oft dicke Kondensstr­eifen in großer Hohe am Himmel.
PA/DPA FOTO: SOEREN STACHE / Fliegen gelingt nicht klimaneutr­al: Flugzeuge hinterlass­en oft dicke Kondensstr­eifen in großer Hohe am Himmel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany