Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Kann Fliegen klimafreundlich werden?
Die Fluggesellschaften wollen mehr Ökotreibstoff einsetzen. Umweltschützer fordern deutlich härtere Auflagen
Berlin. Der neueste Versuch, Flugreisende für den Klimaschutz zu begeistern, kommt aus dem Lufthansa-Konzern. An Bord der Langstreckenflieger der neuen Ferienairline Eurowings Discover verkaufen die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter Lose für 15,50 Euro. Damit sollen Passagiere den CO2-Ausstoß ihrer Fernreise kompensieren können – als Anreiz winkt ein weiterer Flug als Gewinn.
Mitten in der Klimadebatte haben die Airlines ihre Kunden noch nicht wirklich für das Thema begeistern können. Während in der Corona-Pandemie der weltweite Flugverkehr zwischenzeitlich fast stillstand, herrscht jetzt wieder immer mehr Betrieb auf den Flughäfen und in der Luft. Doch selbst bei der Lufthansa, die eine eigene Online-Plattform zur Kompensation des CO2-Ausstoßes von Flügen betreibt, zahlt nur etwa jeder Hundertste fürs Klima drauf. Wobei der Nutzen dieser Abgabe hoch umstritten ist.
2035 könnte der erste Wasserstoff-Airbus kommen
Egal, ob die Passagiere mitziehen oder nicht – etliche Airlines haben sich durchaus ehrgeizige Ziele für den Klimaschutz gesetzt. Die Lufthansa, Europas größter AirlineKonzern, will im Jahr 2030 seine Emissionen des Klimagases CO2 im Vergleich zu 2019 halbiert haben. Eine große Rolle spielen dabei Flugzeuge der neuesten Generation, die rund 20 Prozent weniger Kerosin verbrauchen als ihre Vorgänger. Auch Ökotreibstoff – Sustainable Aviation Fuel (SAF) – wird dabei immer wichtiger. 2050 will die deutsche Fluggesellschaft
CO2-neutral unterwegs sein. Dieses Ziel hat sich auch der britische Billigflieger Easyjet gesetzt und forscht gemeinsam mit Luftfahrtunternehmen, darunter der amerikanische Kooperationspartner Wright Electric, an Elektrofliegern für Kurzstrecken. Schon jetzt kompensiere die Fluggesellschaft alle CO2-Emissionen, wirbt die Airline. Und Easyjet-Chef Johan Lundgren forderte kürzlich Regierungen und Industrie öffentlichkeitswirksam zu einer engen Zusammenarbeit auf, um emissionsfreies Fliegen zu ermöglichen.
Der europäische Flugzeugbauer Airbus forscht an Kurz- und Mittelstreckenjets mit Wasserstoffantrieb. 2035 könnte das erste Modell auf den Markt kommen und
CO2-freies Fliegen für Distanzen ermöglichen, bei denen innerhalb Europas die Eisenbahn eine immer größere Rolle spielen soll. Auf Langstrecken ohne Zwischenstopp zum Nachtanken bleibt der Branche jedoch langfristig nur synthetischer Kraftstoff.
Der wird künftig unter anderem im niedersächsischen Werlte produziert. Eine Anfang Oktober in Betrieb genommene Anlage im Emsland stellt als erste im größeren Maßstab mithilfe von Ökostrom, Wasserstoff und CO2 erdölfreies Kerosin her.
Selbst scharfe Kritiker der Airline-Industrie sehen darin einen positiven Ansatz. „Die Luftfahrtbranche braucht synthetisches Kerosin, um endlich einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten“, sagt Benjamin Stephan, Luftfahrt-Experte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, unserer Redaktion. Doch das Klimaproblem der Luftfahrt ist damit nicht gelöst. Im Gegenteil. Anlagen wie das Pilotprojekt im Emsland brauchen riesige Mengen Ökostrom, die es in Deutschland bisher nicht gibt. „Um allein das in Deutschland 2018 vertankte Flugbenzin durch synthetisches Kerosin zu ersetzen, wäre die gesamte deutsche Jahresproduktion an Windstrom nötig gewesen.“
Hinzu kommt: CO2-neutral heißt im Luftfahrtgeschäft nicht klimaneutral. „Das verschweigen die Airlines ihren Kunden“, kritisiert der Greenpeace-Experte.
Der Klimaschaden, etwa durch Kondensstreifen, Feinstaub und Stickoxide, sei mindestens um den Faktor zwei größer als allein durch das freigesetzte Kohlendioxid. Damit erzeuge die Branche, die 2,8 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verursacht, eine deutlich größere Klimawirkung.
Stephan geht daher mit der Branche hart ins Gericht. „Die Branche versucht mit der Aussicht auf CO2-neutrales Fliegen den Kundinnen und Kunden einzureden, dass sie weiter wie bisher fliegen können“, sagt er. Entscheidend sei eine wirkliche Änderung des Flugverhaltens. „Jedes Jahr eine Fernreise oder Wochenendtrips per Flugzeug können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten.“
Den Fluggesellschaften wirft er vor, sie würden Klimaschutz „simulieren“. „Die Wissenschaft sagt uns: Wir müssen Emissionen schnellstmöglich minimieren und Wälder und Moore schützen, um die Erderhitzung noch auf 1,5 Grad begrenzen zu können“, so Stephan. „Für ein Entweder-oder wie bei Kompensationsprojekten haben wir keine Zeit mehr. “
Dass die Kompensation von Flügen nicht reicht, sieht offenbar auch die Branche so. „Alternative Kraftstoffe sind auf lange Sicht der erfolgversprechendste Weg, um das Fliegen CO2-neutral zu machen“, sagt Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). „Wir haben mit dem Bund, Ländern und Industrie eine ambitionierte Roadmap für den Markthochlauf von nachhaltigen Flugkraftstoffen auf Basis von erneuerbaren Energien vereinbart.“
Bis 2030 sollen bereits mindestens 200.000 Tonnen Ökokerosin hergestellt werden. So viel Kerosin reicht für ein Drittel aller Inlandsflüge. Bislang ist in Deutschland und Europa vorgesehen, bis 2030 zwei Prozent strombasierte Kraftstoffe im Flugverkehr zu verwenden. Experte Stephan: „Wenn es die Industrie wirklich ernst meinen würde mit dem Klimaschutz, müsste sie längst der Politik gesagt haben: Das ist uns viel zu wenig.“