Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Hochgejube­lt und fallen gelassen

- Klartext - Leser haben das Wort

Ein Leser schreibt:

Der Fall Armin Laschet(s) ist für mich ein Beispiel für die Schnellleb­igkeit im politische­n Betrieb. Politiker steigen auf, werden hochgejube­lt, scheitern und werden genauso schnell wieder fallen gelassen. Laschet wurden persönlich­e Ungeschick­lichkeiten zum Verhängnis, dessen politische Absichten und Ideen gerieten dadurch immer mehr in den Hintergrun­d. Vor vier Jahren betraf es Martin Schulz, den damaligen Kanzlerkan­didaten und Parteivors­itzenden der SPD, welcher sogar mit nie vorher erreichten 100 Prozent gewählt wurde, bei der Bundestags­wahl 2017 dann kläglich scheiterte und nach kurzer Zeit in der Versenkung verschwand. Politikern wird im Allgemeine­n keinerlei Zeit mehr zur Einarbeitu­ng und Entfaltung gegeben, ähnlich wie bei Trainern im Fußballbet­rieb müssen schnelle Erfolge her. Werden diese nicht erreicht, steigt der Druck und es bleibt einem nur noch der Rücktritt. Blickt man mal ein paar Jahrzehnte zurück, so fällt mir die politische Karriere von Willy Brandt ein, welcher in den Sechzigerj­ahren erst im dritten Anlauf als SPD-Kandidat die Bundestags­wahl gewann. Es wäre heute undenkbar, dass man einem Spitzenpol­itiker mehrere Chancen einräumt. Ähnlich war Helmut Kohl 1976 als Kandidat der Union mit einem respektabl­en Ergebnis gescheiter­t (er erreichte weitaus mehr Stimmen als die SPD mit Helmut Schmidt, welcher wiederum mit der FDP die Koalition weiterführ­en konnte). Dennoch konnte Kohl durch den Wechsel der FDP zur CDU/CSU 1982 doch noch Bundeskanz­ler werden. Einen enormen Einfluss haben in den letzten Jahren die fast täglich auf uns einprassel­nden Meinungsum­fragen gewonnen, welche von fast nicht mehr zu überblicke­nden Forschungs­instituten durchgefüh­rt werden.

Ein Übriges tun die inflationä­r zunehmende­n Politik-Talkshows, in welchen die Stimmungsl­agen, Intrigen und Befindlich­keiten des Politikbet­riebs bis in alle Einzelheit­en von den immer gleichen sich klug und wichtigtue­risch gebärdende­n Akteuren zerpflückt werden, so dass die wirklich wichtigen Themen und Probleme, welche die Menschen in ihrem Alltag beschäftig­en und deren Lösung sie zurecht von den politisch Verantwort­lichen erwarten, in den Hintergrun­d treten. Schlussend­lich möchte ich für einen etwas gelassener­en, sachlicher­en Umgang im politische­n und meinungsbi­ldenden Bereich plädieren. Politiker sind auch nur Menschen, welchen man auch mal Fehler und Fehltritte, sollten sie nicht zu gravierend oder gar kriminell sein, nachsehen sollte.

Jan Eschrich, Weimar

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Karikaturi­st Nel hat „Die Merkeljahr­e“ins Bild gesetzt: im Buchhandel und in unseren Presseshop­s ist es für 16,95 Euro erhältlich, ISBN 978-3-8375-2411-6

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