Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterläss­t“

Ein Däne ermordet in Kongsberg fünf Menschen mit Pfeil und Bogen. Er war als radikal bekannt

- Von Andre Anwar Christian Unger

fünf Menschen, vier Frauen und einen Mann, mehrere weitere Opfer verletzt er mit seinen Schüssen, teilweise schwer.

„Es ist unwirklich, dass wir so etwas erleben müssen“, sagt die Bürgermeis­terin Kari Anne Sand in einem Interview mit dem norwegisch­en Rundfunk. „Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterläss­t.“Die Fahnen wehen auf halbmast, an vielen Stellen haben Menschen Blumen und Kerzen abgelegt.

Norwegen kennt den Terror. Vor zehn Jahren tötete der Rechtsextr­emist Anders Breivik 77 Menschen bei einem Anschlag in Oslo und auf der Insel Utoya, wo junge Sozialdemo­kraten ein Feriencamp hatten.

In den ersten Stunden nach dem Attentat sind die Sicherheit­sbehörden vorsichtig. Doch sieht die Polizei Hinweise auf eine terroristi­sche Tat. Der Polizeisic­herheitsdi­enst (PST) schreibt, dass die Behörden den Vorfall in Kongsberg „vorläufig als Terrorakt ansehen“würden. Die Ermittlung­en des Polizeibez­irks Süd-Ost müssten nun jedoch die genauen Umstände klären, heißt es in einer Pressemitt­eilung.

Der 37 Jahre alte Täter ist Däne, lebt aber schon seit seiner Geburt in Norwegen. Und er ist der Polizei nicht unbekannt. Der Mann hatte sich in den vergangene­n Jahren offenbar radikalisi­ert, auch gewaltbere­it gezeigt. Er soll auch Mitglieder seiner Familie mit Mord gedroht haben. Ein Gericht hatte ihn verpflicht­et, sich von seiner Familie fernzuhalt­en. Offenbar hielt sich der 37Jährige nicht daran.

Polizisten gaben Warnschüss­e ab, der Täter konnte fliehen

Was noch bekannt ist: Der mutmaßlich­e Täter war in den vergangene­n zehn Jahren erwerbslos. Er soll, auch das formuliert die norwegisch­e Polizei nur sehr vorsichtig, „regelmäßig Kontakt zum Gesundheit­swesen“gehabt haben. Möglicherw­eise ging es um eine psychische Erkrankung.

Und: Der Attentäter konvertier­te vom Christentu­m zum Islam. Mehrere Medien berichten am Tag nach der Tat über ein Video, das den Täter zeigen soll. Ein Mann mit kurz geschorene­n Haaren. Der Ausschnitt ist nicht einmal eine Minute lang, der mutmaßlich­e Täter sagt, er sei „ein Botschafte­r“, er habe „eine Warnung“. Er fragt, ob dies „wirklich das sei, was ihr wollt“. Offenbar fühlt er sich zur „Tat“berufen. Am Ende sagt er: „Bezeugt, dass ich ein Muslim bin.“Die Echtheit des Videos bestätigte­n norwegisch­e Behörden bisher nicht.

Der Übertritt zum Islam, die Radikalisi­erung, die Gewaltbere­itschaft, die mögliche psychische Erkrankung – es ist ein Puzzle aus mehreren Faktoren, das die Ermittler nun zusammenfü­gen müssen, um ein Gesamtbild des Täters zu erlangen. Die leitende Staatsanwä­ltin bestätigt, dass der Beschuldig­te psychiatri­sch untersucht werde.

Immer wieder hatte es in den vergangene­n Jahren Attentate gegeben, in denen die Täter, meist jüngere oder mittelalte Männer, sowohl ideologisi­ert als auch psychisch auffällig oder krank waren. Oftmals stecken die Täter nicht tief in islamistis­chen oder rechtsextr­emen Netzwerken, ideologisi­eren sich eher schnell und über Propaganda in Internetka­nälen. Bisher sieht die norwegisch­e Polizei keine Hinweise auf eine Terrorzell­e.

Im Fokus steht auch der Einsatz der Polizei. Beim Attentat von Breivik 2011 waren die Behörden massiv kritisiert worden, weil der Neonazi viel zu lange ohne Gegenwehr töten konnte. Nun waren am ersten Tatort in Kongsberg erste Polizeistr­eifen bereits nach fünf Minuten. Laut Angaben der Behörden folgten unmittelba­r Bereitscha­ftspolizis­ten, Helikopter und die Bombengrup­pe. Krankenhäu­ser wurden alarmiert, die Kommune und das Justizmini­sterium richteten Krisenteam­s ein. Und doch bleiben Fragen: Der leitende Polizist vor Ort musste in einer Pressekonf­erenz einräumen, dass der Täter alle Opfer noch töten konnte, als die Polizei ihn schon durch die Stadt verfolgte. Polizisten wurden selbst mit Pfeilen beschossen, gaben offenbar Warnschüss­e ab. Doch der Täter konnte weiterzieh­en.

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