Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterlässt“
Ein Däne ermordet in Kongsberg fünf Menschen mit Pfeil und Bogen. Er war als radikal bekannt
fünf Menschen, vier Frauen und einen Mann, mehrere weitere Opfer verletzt er mit seinen Schüssen, teilweise schwer.
„Es ist unwirklich, dass wir so etwas erleben müssen“, sagt die Bürgermeisterin Kari Anne Sand in einem Interview mit dem norwegischen Rundfunk. „Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterlässt.“Die Fahnen wehen auf halbmast, an vielen Stellen haben Menschen Blumen und Kerzen abgelegt.
Norwegen kennt den Terror. Vor zehn Jahren tötete der Rechtsextremist Anders Breivik 77 Menschen bei einem Anschlag in Oslo und auf der Insel Utoya, wo junge Sozialdemokraten ein Feriencamp hatten.
In den ersten Stunden nach dem Attentat sind die Sicherheitsbehörden vorsichtig. Doch sieht die Polizei Hinweise auf eine terroristische Tat. Der Polizeisicherheitsdienst (PST) schreibt, dass die Behörden den Vorfall in Kongsberg „vorläufig als Terrorakt ansehen“würden. Die Ermittlungen des Polizeibezirks Süd-Ost müssten nun jedoch die genauen Umstände klären, heißt es in einer Pressemitteilung.
Der 37 Jahre alte Täter ist Däne, lebt aber schon seit seiner Geburt in Norwegen. Und er ist der Polizei nicht unbekannt. Der Mann hatte sich in den vergangenen Jahren offenbar radikalisiert, auch gewaltbereit gezeigt. Er soll auch Mitglieder seiner Familie mit Mord gedroht haben. Ein Gericht hatte ihn verpflichtet, sich von seiner Familie fernzuhalten. Offenbar hielt sich der 37Jährige nicht daran.
Polizisten gaben Warnschüsse ab, der Täter konnte fliehen
Was noch bekannt ist: Der mutmaßliche Täter war in den vergangenen zehn Jahren erwerbslos. Er soll, auch das formuliert die norwegische Polizei nur sehr vorsichtig, „regelmäßig Kontakt zum Gesundheitswesen“gehabt haben. Möglicherweise ging es um eine psychische Erkrankung.
Und: Der Attentäter konvertierte vom Christentum zum Islam. Mehrere Medien berichten am Tag nach der Tat über ein Video, das den Täter zeigen soll. Ein Mann mit kurz geschorenen Haaren. Der Ausschnitt ist nicht einmal eine Minute lang, der mutmaßliche Täter sagt, er sei „ein Botschafter“, er habe „eine Warnung“. Er fragt, ob dies „wirklich das sei, was ihr wollt“. Offenbar fühlt er sich zur „Tat“berufen. Am Ende sagt er: „Bezeugt, dass ich ein Muslim bin.“Die Echtheit des Videos bestätigten norwegische Behörden bisher nicht.
Der Übertritt zum Islam, die Radikalisierung, die Gewaltbereitschaft, die mögliche psychische Erkrankung – es ist ein Puzzle aus mehreren Faktoren, das die Ermittler nun zusammenfügen müssen, um ein Gesamtbild des Täters zu erlangen. Die leitende Staatsanwältin bestätigt, dass der Beschuldigte psychiatrisch untersucht werde.
Immer wieder hatte es in den vergangenen Jahren Attentate gegeben, in denen die Täter, meist jüngere oder mittelalte Männer, sowohl ideologisiert als auch psychisch auffällig oder krank waren. Oftmals stecken die Täter nicht tief in islamistischen oder rechtsextremen Netzwerken, ideologisieren sich eher schnell und über Propaganda in Internetkanälen. Bisher sieht die norwegische Polizei keine Hinweise auf eine Terrorzelle.
Im Fokus steht auch der Einsatz der Polizei. Beim Attentat von Breivik 2011 waren die Behörden massiv kritisiert worden, weil der Neonazi viel zu lange ohne Gegenwehr töten konnte. Nun waren am ersten Tatort in Kongsberg erste Polizeistreifen bereits nach fünf Minuten. Laut Angaben der Behörden folgten unmittelbar Bereitschaftspolizisten, Helikopter und die Bombengruppe. Krankenhäuser wurden alarmiert, die Kommune und das Justizministerium richteten Krisenteams ein. Und doch bleiben Fragen: Der leitende Polizist vor Ort musste in einer Pressekonferenz einräumen, dass der Täter alle Opfer noch töten konnte, als die Polizei ihn schon durch die Stadt verfolgte. Polizisten wurden selbst mit Pfeilen beschossen, gaben offenbar Warnschüsse ab. Doch der Täter konnte weiterziehen.