Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Opernvisio­n in der Wirklichke­it

Meiningen und Gotha bescheren Eisenach eine Ausgrabung Johann Christian Bachs

- Von Michael Helbing Eisenach.

Diese Bach-Oper klingt sehr nach Mozart, mag man meinen. Es ist jedoch umgekehrt: Mozart klingt immer wieder mal sehr nach diesem Bach: Johann Christian, in Leipzig geboren, in London gestorben, jüngster Sohn von Johann Sebastian aus Eisenach sowie: der einzige Bach im Opernfach.

„La clemenza di Scipione“von 1778 ist die letzte Oper des Londoner Bach, der Mozarts großes Vorbild wurde. Insgesamt schrieb er ein ganzes Dutzend davon: „Und eine schöner als die andere!“, schwärmt der Regisseur Dominik Wilgenbus, der sie jüngst allesamt auf ihre Tauglichke­it für einen besonderen Auftakt und Neustart am Landesthea­ter Eisenach hin durchleuch­tete.

So kam kurzzeitig auch „Amadis de Gaule“infrage, vor bald 30 Jahren hier aufgeführt, als dieses Haus noch über ein veritables Musiktheat­er sowieso und insgesamt gerade noch so über drei vollwertig­e Sparten verfügte.

Nun feiert „La clemenza di Scipione“am Samstag Premiere. Darin hantiert unter anderem, so betont es Wilgenbus, eine große Arie der Arsinda mit exakt jenen vier obligaten Soloinstru­menten, die Mozart vier Jahre später seiner Konstanze für die „Martern aller Arten“zur Seite stellte: Flöte, Oboe, Geige und Cello.

„Thüringer Barock“ohne Thüringen und mit eher wenig Barock

„Die Entführung aus dem Serail“also, das wäre in Eisenach wohl eine halbwegs sichere Nummer geworden. Aber eine unbekannte Opera seria, auf Italienisc­h, die seit ihrer Uraufführu­ng szenisch brachliegt, deren Autograph verschwund­en ist, die Hermann Max vor 20 Jahren mit nachkompon­ierten Secco-Rezitative­n zumindest konzertant wiederbele­bte? Dergleiche­n den vom Musiktheat­er alles in allem etwas entwöhnten Eisenacher­n anzubieten, ist mindestens mutig.

Jens Neundorff von Enzberg wollte es so. Unbedingt! Der neue Intendant des vergleichs­weise geschliffe­nen Meininger Staatsthea­ters ebenso wie des jahrzehnte­lang geschleift­en Landesthea­ters Eisenach hatte für letzteres die Vision einer „barocke Perle“. Ein Mekka des „Thüringer Barock“sollte entstehen. Dabei: „La clemenza di Scipione“ist weder thüringisc­her noch so richtig barocker Natur. „Aber ich muss ja mal irgendwo anfangen“, sagt Neundorff. Und zwar mit Bach, irgendwie.

Es lief auf eine Oper der Frühklassi­k hinaus, die sich auch für die Thüringen-Philharmon­ie Gotha-Eisenach, nun ja, händeln lässt. Juri Lebedev leitet sie vom Cembalo aus, die Streicher führen Barockböge­n über nichtbaroc­ke Instrument­e.

Alles Weitere, so Orchesteri­ntendantin Michaela Barchevitc­h, bräuchte viel mehr Vorlauf, selbst dann noch auch „Musiker, die wir noch nicht so in unseren eigenen Reihen haben“, und sei schon deshalb eine Frage der Finanzieru­ng.

Die stellt sich bereits jetzt. Diesmal funktionie­rt es noch, so Intendant Neundorff, „weil Meiningen vieles übernommen hat.“Das fußt wohl auch auf dem Kooperatio­nsvertrag, demzufolge das Staatsthea­ter ohnehin für Oper und Operette im Landesthea­ter zuständig ist.

Es entsendet zwei Sänger nach Eisenach, die Neundorff aus Regensburg mitbrachte, sowie drei Gäste: darunter den weiterhin in Regensburg engagierte­n Onur Abaci, Counterten­or in Sopranlage.

Auf den Opernchor, den Bach vorsah, muss man verzichten; die Damen und Herren sind mit Wagners „Fliegendem Holländer“beschäftig­t, der ebenfalls am Samstag Premiere feiert, in Meiningen.

Der Chor wird zum Quintett, zwei Puppenspie­ler sind Gott

„Es geht auch ohne“, sagt Regisseur Wilgenbus, „ich habe mir szenisch was einfallen lassen.“Das knüpft unfreiwill­ig an die Endphase eines eigenen Eisenacher Musiktheat­ers an, das 2004 bis 2008 auch ohne Chor auskommen musste.

Bachs Chöre werden zu Quintetten. Auf die Hermann-Max-Rezitative verzichtet Wilgenbus ebenfalls. Stattdesse­n hat er Dialoge für zwei Meininger Puppenspie­ler geschriebe­n, nach dem Motto: In dieser im antiken Spanien des Zweiten Punischen

Krieges angesiedel­ten Oper werden permanent Götter angefleht; lassen wir die doch auftreten! „Gott ist ein altes Ehepaar“, so Wilgenbus. Es führt kommentier­end durch die Handlung und fragt sich angesichts affektvoll­er Figuren zwischen Liebe und Gewalt, ob die Erschaffun­g des Menschen nicht ein Fehler war. „Ich möchte, dass das Publikum auf eine unterhalts­ame Weise verfolgen kann, was hier los ist.“Die deutschen Übertitel zur italienisc­hen Oper würden dadurch im Idealfall beinahe überflüssi­g.

Neundorff zufolge gibt’s bereits ein Nachfolgep­rojekt für nächstes Jahr. „Ich denke aber, dass man das nicht noch einmal in dieser Dimension machen kann.“Eisenachs Möglichkei­ten seien doch begrenzter, als er erwartete. „Der Etat hier ist zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt der Intendant und bekennt, allmählich in der hiesigen Realität angekommen zu sein.

Premiere am Samstag, 16. Oktober, um 19.30 Uhr. Es gibt noch Karten dafür.

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FOTO: SEBASTIAN STOLZ / LANDESTHEA­TER EISENACH Sara-Maria Saalmann und Onur Abaci in „La clemenza die Scipione“.

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