Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Opernvision in der Wirklichkeit
Meiningen und Gotha bescheren Eisenach eine Ausgrabung Johann Christian Bachs
Diese Bach-Oper klingt sehr nach Mozart, mag man meinen. Es ist jedoch umgekehrt: Mozart klingt immer wieder mal sehr nach diesem Bach: Johann Christian, in Leipzig geboren, in London gestorben, jüngster Sohn von Johann Sebastian aus Eisenach sowie: der einzige Bach im Opernfach.
„La clemenza di Scipione“von 1778 ist die letzte Oper des Londoner Bach, der Mozarts großes Vorbild wurde. Insgesamt schrieb er ein ganzes Dutzend davon: „Und eine schöner als die andere!“, schwärmt der Regisseur Dominik Wilgenbus, der sie jüngst allesamt auf ihre Tauglichkeit für einen besonderen Auftakt und Neustart am Landestheater Eisenach hin durchleuchtete.
So kam kurzzeitig auch „Amadis de Gaule“infrage, vor bald 30 Jahren hier aufgeführt, als dieses Haus noch über ein veritables Musiktheater sowieso und insgesamt gerade noch so über drei vollwertige Sparten verfügte.
Nun feiert „La clemenza di Scipione“am Samstag Premiere. Darin hantiert unter anderem, so betont es Wilgenbus, eine große Arie der Arsinda mit exakt jenen vier obligaten Soloinstrumenten, die Mozart vier Jahre später seiner Konstanze für die „Martern aller Arten“zur Seite stellte: Flöte, Oboe, Geige und Cello.
„Thüringer Barock“ohne Thüringen und mit eher wenig Barock
„Die Entführung aus dem Serail“also, das wäre in Eisenach wohl eine halbwegs sichere Nummer geworden. Aber eine unbekannte Opera seria, auf Italienisch, die seit ihrer Uraufführung szenisch brachliegt, deren Autograph verschwunden ist, die Hermann Max vor 20 Jahren mit nachkomponierten Secco-Rezitativen zumindest konzertant wiederbelebte? Dergleichen den vom Musiktheater alles in allem etwas entwöhnten Eisenachern anzubieten, ist mindestens mutig.
Jens Neundorff von Enzberg wollte es so. Unbedingt! Der neue Intendant des vergleichsweise geschliffenen Meininger Staatstheaters ebenso wie des jahrzehntelang geschleiften Landestheaters Eisenach hatte für letzteres die Vision einer „barocke Perle“. Ein Mekka des „Thüringer Barock“sollte entstehen. Dabei: „La clemenza di Scipione“ist weder thüringischer noch so richtig barocker Natur. „Aber ich muss ja mal irgendwo anfangen“, sagt Neundorff. Und zwar mit Bach, irgendwie.
Es lief auf eine Oper der Frühklassik hinaus, die sich auch für die Thüringen-Philharmonie Gotha-Eisenach, nun ja, händeln lässt. Juri Lebedev leitet sie vom Cembalo aus, die Streicher führen Barockbögen über nichtbarocke Instrumente.
Alles Weitere, so Orchesterintendantin Michaela Barchevitch, bräuchte viel mehr Vorlauf, selbst dann noch auch „Musiker, die wir noch nicht so in unseren eigenen Reihen haben“, und sei schon deshalb eine Frage der Finanzierung.
Die stellt sich bereits jetzt. Diesmal funktioniert es noch, so Intendant Neundorff, „weil Meiningen vieles übernommen hat.“Das fußt wohl auch auf dem Kooperationsvertrag, demzufolge das Staatstheater ohnehin für Oper und Operette im Landestheater zuständig ist.
Es entsendet zwei Sänger nach Eisenach, die Neundorff aus Regensburg mitbrachte, sowie drei Gäste: darunter den weiterhin in Regensburg engagierten Onur Abaci, Countertenor in Sopranlage.
Auf den Opernchor, den Bach vorsah, muss man verzichten; die Damen und Herren sind mit Wagners „Fliegendem Holländer“beschäftigt, der ebenfalls am Samstag Premiere feiert, in Meiningen.
Der Chor wird zum Quintett, zwei Puppenspieler sind Gott
„Es geht auch ohne“, sagt Regisseur Wilgenbus, „ich habe mir szenisch was einfallen lassen.“Das knüpft unfreiwillig an die Endphase eines eigenen Eisenacher Musiktheaters an, das 2004 bis 2008 auch ohne Chor auskommen musste.
Bachs Chöre werden zu Quintetten. Auf die Hermann-Max-Rezitative verzichtet Wilgenbus ebenfalls. Stattdessen hat er Dialoge für zwei Meininger Puppenspieler geschrieben, nach dem Motto: In dieser im antiken Spanien des Zweiten Punischen
Krieges angesiedelten Oper werden permanent Götter angefleht; lassen wir die doch auftreten! „Gott ist ein altes Ehepaar“, so Wilgenbus. Es führt kommentierend durch die Handlung und fragt sich angesichts affektvoller Figuren zwischen Liebe und Gewalt, ob die Erschaffung des Menschen nicht ein Fehler war. „Ich möchte, dass das Publikum auf eine unterhaltsame Weise verfolgen kann, was hier los ist.“Die deutschen Übertitel zur italienischen Oper würden dadurch im Idealfall beinahe überflüssig.
Neundorff zufolge gibt’s bereits ein Nachfolgeprojekt für nächstes Jahr. „Ich denke aber, dass man das nicht noch einmal in dieser Dimension machen kann.“Eisenachs Möglichkeiten seien doch begrenzter, als er erwartete. „Der Etat hier ist zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt der Intendant und bekennt, allmählich in der hiesigen Realität angekommen zu sein.
Premiere am Samstag, 16. Oktober, um 19.30 Uhr. Es gibt noch Karten dafür.