Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
In der Klinik, auf dem Theater
Bastian Heidenreich inszeniert für Weimar und Erfurt Sergej Gößners „Mongos“. Janus Torp und Marcus Horn ergänzen sich darin großartig
Ikarus träumt. Nicht vom Fliegen. Nur vom Laufen. Um dann doch abzuheben. „Er macht mich schweben. Lässt mich fliegen“, sagt er über seinen Körper. Und sagt’s wohl auch über Francis, den Freund und Autor dieser Zeilen. Und Janus Torp, der ihn spielt, sagt’s gleichsam über Marcus Horn, den Spielpartner, der ihn auf Füßen balanciert.
Die Eingangsszene sagt viel, wenn nicht alles über die 75 Minuten im DNT-Studio, die nächstes Jahr ins Theater Erfurt wandern. Nur, dass wir es da noch nicht wissen können. Francis wird, post mortem womöglich, Ikarus aus dem Rollstuhl befreien. Nicht physisch, doch psychisch. Horn wird Torp physisch aus dem Rollstuhl schubsen und ihm den Boden bereiten.
„Mongos“heißt das Jugendstück für zwei Darsteller, aber mehr Personen, in dem es keine Mongos gibt: kein Down-Syndrom, nur Niedergeschlagenheit. Doch das Schimpfwort kommt vor, so wie „Spast“und „Behindi“. Und ein Querschnittsgelähmter trifft, in der Klinik, einen an Multipler Sklerose Erkrankten. Zwei vom Schicksal hart Betroffene, aber gar kein Betroffenheitstext.
Sergej Gößner stellte seinem drei Jahre alten Erfolgsstück einen Satz von Stephen Hawking voran: „Das Leben wäre tragisch, wenn es nicht lustig wäre.“Bastian Heidenreich hält sich daran und lässt seine Inszenierung
auf Messers Schneide balancieren. Falls sie kippt, dann stets ins Leichte, Heitere, in Aktion. Das ist erkennbar die Planposition Jugendtheater, angerichtet mit dem Vorsatz, niemals zu langweilen.
Das Stück über Fall und Wiederaufstieg, über Liebe, Sex und Zärtlichkeit wird von vorn erzählt und zugleich von hinten aufgerollt: als bruchstückhafte Erinnerung mit poetisch gebrochenen Einschüben.
In Weimar zeigen sie das mit viel Rhythmusgefühl für wechselnde Stimmen und Stimmungen, mit glänzenden Übergängen zwischen kurzen, hart angeschnittenen Szenen sowie klarem Bewusstsein für den Ort der Handlung: weniger die Klinik, vielmehr das Theater.
Melanie Slabon baute dafür eine vorzügliche Bühne mit beweglichen Dreieckselementen, in der die Spieler schnell Zeiten, Räume und Realitätsebenen wechseln können.
Torp ist darin impulsives Kraftzentrum, Horn liefert Impulse – und Gedanken. Der Laute und der Leise, der Vulgäre und der Verklemmte, hier Bauch, dort Kopf, hier Oberfläche, dort Tiefgang. Das ist ideal besetzt, ergänzt sich großartig. Horn hat zudem den Psychologen und die Ikarus-Flamme Jasmin zu spielen. Er ist das fließende, Torp das feste Element. Und beide sorgen dafür, dass der Abend Luft kriegt. Sie halten ihn in der Schwebe.