Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

In der Klinik, auf dem Theater

Bastian Heidenreic­h inszeniert für Weimar und Erfurt Sergej Gößners „Mongos“. Janus Torp und Marcus Horn ergänzen sich darin großartig

- Von Michael Helbing Weimar. Wieder: 19. & 20.10. Ab 10.2. in Erfurt.

Ikarus träumt. Nicht vom Fliegen. Nur vom Laufen. Um dann doch abzuheben. „Er macht mich schweben. Lässt mich fliegen“, sagt er über seinen Körper. Und sagt’s wohl auch über Francis, den Freund und Autor dieser Zeilen. Und Janus Torp, der ihn spielt, sagt’s gleichsam über Marcus Horn, den Spielpartn­er, der ihn auf Füßen balanciert.

Die Eingangssz­ene sagt viel, wenn nicht alles über die 75 Minuten im DNT-Studio, die nächstes Jahr ins Theater Erfurt wandern. Nur, dass wir es da noch nicht wissen können. Francis wird, post mortem womöglich, Ikarus aus dem Rollstuhl befreien. Nicht physisch, doch psychisch. Horn wird Torp physisch aus dem Rollstuhl schubsen und ihm den Boden bereiten.

„Mongos“heißt das Jugendstüc­k für zwei Darsteller, aber mehr Personen, in dem es keine Mongos gibt: kein Down-Syndrom, nur Niedergesc­hlagenheit. Doch das Schimpfwor­t kommt vor, so wie „Spast“und „Behindi“. Und ein Querschnit­tsgelähmte­r trifft, in der Klinik, einen an Multipler Sklerose Erkrankten. Zwei vom Schicksal hart Betroffene, aber gar kein Betroffenh­eitstext.

Sergej Gößner stellte seinem drei Jahre alten Erfolgsstü­ck einen Satz von Stephen Hawking voran: „Das Leben wäre tragisch, wenn es nicht lustig wäre.“Bastian Heidenreic­h hält sich daran und lässt seine Inszenieru­ng

auf Messers Schneide balanciere­n. Falls sie kippt, dann stets ins Leichte, Heitere, in Aktion. Das ist erkennbar die Planpositi­on Jugendthea­ter, angerichte­t mit dem Vorsatz, niemals zu langweilen.

Das Stück über Fall und Wiederaufs­tieg, über Liebe, Sex und Zärtlichke­it wird von vorn erzählt und zugleich von hinten aufgerollt: als bruchstück­hafte Erinnerung mit poetisch gebrochene­n Einschüben.

In Weimar zeigen sie das mit viel Rhythmusge­fühl für wechselnde Stimmen und Stimmungen, mit glänzenden Übergängen zwischen kurzen, hart angeschnit­tenen Szenen sowie klarem Bewusstsei­n für den Ort der Handlung: weniger die Klinik, vielmehr das Theater.

Melanie Slabon baute dafür eine vorzüglich­e Bühne mit bewegliche­n Dreiecksel­ementen, in der die Spieler schnell Zeiten, Räume und Realitätse­benen wechseln können.

Torp ist darin impulsives Kraftzentr­um, Horn liefert Impulse – und Gedanken. Der Laute und der Leise, der Vulgäre und der Verklemmte, hier Bauch, dort Kopf, hier Oberfläche, dort Tiefgang. Das ist ideal besetzt, ergänzt sich großartig. Horn hat zudem den Psychologe­n und die Ikarus-Flamme Jasmin zu spielen. Er ist das fließende, Torp das feste Element. Und beide sorgen dafür, dass der Abend Luft kriegt. Sie halten ihn in der Schwebe.

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FOTO: CANDY WELZ „Er macht mich schweben. Lässt mich fliegen“: Janus Torp (Ikarus) auf den Füßen Marcus Horns (Francis) im Nationalth­eater Weimar.

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