Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Führersche­in-Rebellen wider Willen

Der Pflichtumt­ausch des Papierdoku­ments scheitert oft an der Unerreichb­arkeit des Bürgeramte­s

- Von Holger Wetzel Erfurt.

Zahllose Erfurter Rentner könnten bald zu Führersche­in-Rebellen wider Willen werden. Der Pflicht zum Umtausch ihres alten Papierführ­erscheins in ein modernes Kärtchen möchten sie gerne nachkommen. Doch bekommen sie keinen Termin beim Bürgeramt.

„Ich hab meine Bemühungen eingestell­t und verstoße dann lieber gegen EU-Recht“, schreibt eine Leserin aus dem Dichtervie­rtel. Autofahrer­n der Jahrgänge 1953 bis 1958, die noch kein Führersche­inKärtchen haben, droht ab dem 19. Januar 2022 eine Ordnungswi­drigkeitss­trafe von 10 Euro.

Ihre Nachbarin, die ebenfalls ihren Führersche­in umtauschen muss, sei „schier ausgeflipp­t beim hundertste­n Versuch“, berichtet die Leserin weiter. „Jeden Tag hocken zahllose verärgerte Menschen an Telefonen und wollen nix weiter, als die Richtlinie umzusetzen, dazu müssen sie für die neue EU-Fahrerlaub­niskarte auch noch 34 Euro Gebühr berappen.“

Telefon zwei Wochen lang bewusst abgeschalt­et

Tatsächlic­h scheint die Überlastun­g des Bürgeramte­s, die auch von Ausweisang­elegenheit­en bekannt ist, beim Führersche­inumtausch besonders gravierend zu sein. In einer angespannt­en Phase wurde kürzlich sogar das Telefon zwei Woche lang abgeschalt­et, erfuhr unsere Zeitung. Das geringe verfügbare Personal sollte sich auf das Bearbeiten der Anträge konzentrie­ren.

Doch auch der vom Amt empfohlene Online-Weg führt selten zum

Termin. Bei jedem Versuch im Internet-Portal der Stadt erscheine der Satz „Für Ihre gewählte Dienstleis­tung sind aktuell leider keine freien Termine vorhanden“, berichtet ein Leser aus Windischho­lzhausen. „Ich bin Jahrgang 1954. Wie soll ich den Führersche­in bis zum 19. Januar 2022 umtauschen, wenn ich nicht mal einen Termin erhalte?“

Die Zahl der Betroffene­n ist unklar. Das Erfurter Bürgeramt kann daher auch nicht garantiere­n, dass die betroffene­n Jahrgänge alle noch rechtzeiti­g einen Termin bekommen. „Wir wissen, dass die Nachfrage die Kapazität übersteigt“, bestätigt Jens Arnold, der Bereichsle­iter Straßenver­kehrsangel­egenheiten vom Bürgeramt.

Das Amt ist permanent unterbeset­zt, auch deshalb, weil sich kaum geeignete Kandidaten auf freie Stellen bewerben. Dennoch habe man auf die Herausford­erung reagiert, sagt Jens Arnold. Im Internet-Anmeldepor­tal gibt es nun eine ExtraRubri­k „Führersche­in-Umtausch“. Zudem seien zwei Bearbeitun­gsschienen eingericht­et, sodass pro

Stunde sechs Termine vergeben werden können. Die Termine werden mit 28 Tagen Vorlaufzei­t ins Portal gestellt – und gehen doch schneller weg als warme Semmeln.

Derzeit würden zwei weitere Mitarbeite­r speziell für die Aufgabe geschult, sagt Jens Arnold. Allerdings sorge das kurzfristi­g eher für eine weitere Zuspitzung, weil das Einarbeite­n durch erfahrene Mitarbeite­r wiederum deren Kapazitäte­n in Anspruch nehme.

Viele müssen ihren Führersche­in noch gar nicht tauschen

Dass nach der Einarbeitu­ngszeit eine Besserung eintritt, kann Arnold nicht verspreche­n. Prognosen seien schwierig, weil jederzeit Krankheits- und Quarantäne­fälle dazwischen kommen könnten. Zum Jahresende hin könne aber erwogen werden, noch Personal aus den herkömmlic­hen Führersche­inangelege­nheiten auf den Umtausch zu verlagern, mit erwartbare­n Folgen für andere Führersche­infragen.

Das Problem werde noch dadurch verstärkt, dass derzeit auch vor 1953 oder ab 1959 geborene Erfurter ihren Papierführ­erschein tauschen wollen. Je nach Geburtsjah­r hätten sie aber noch ein bis elf Jahre mehr Zeit, betont Arnold. Das Amt könne ihnen den Umtausch nicht verwehren. Doch trage es zur Entspannun­g bei, wenn sich diese Gruppen noch gedulden, hofft der Bereichsle­iter auf Verständni­s.

Die Frage, was andere Kommunen besser machen, will Jens Arnold so nicht stehen lassen. Auch andere Führersche­instellen stünden im Fokus. „Das ist kein Phänomen nur von Erfurt“, meint er.

 ?? FOTO: MARCO SCHMIDT ?? Ein Erfurter Rentner zeigt seinen Papierführ­erschein. Schafft er es nicht, ihn rechtzeiti­g umzutausch­en, wird er am 19. Januar zum Führersche­in-Rebell. Deshalb möchte er nicht erkannt werden.
FOTO: MARCO SCHMIDT Ein Erfurter Rentner zeigt seinen Papierführ­erschein. Schafft er es nicht, ihn rechtzeiti­g umzutausch­en, wird er am 19. Januar zum Führersche­in-Rebell. Deshalb möchte er nicht erkannt werden.

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