Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Entschleun­igung auf zwei Rädern

Stefan Mey und Stefanie Drinkuth aus dem Eichsfeld lieben Zweiräder aus dem Osten. In ihrer Garage findet sich alles, was das Herz begehrt

- Von Silvana Tismer (Text) und Eckhard Jüngel (Fotos) Sonnenstei­n.

Nach dem dritten Tritt springt die AWO 425 knatternd an. Stefan Mey lächelt. Er schwingt sich in den Sattel. Heute hat das alte Mädchen, Baujahr 1953, nicht viel zu tun. Vor wenigen Wochen riss sie in drei Tagen eine Distanz von mehr als 1000 Kilometern ab. „Ich war bei einem Motorrad-Treffen in Steinbach bei Baden-Baden und habe einen Abstecher nach Frankreich gemacht“, sagt Mey. „Das hat sie mit Bravour gemeistert.“Dass er unterwegs die Luftpumpe verlor – Mey winkt ab: „Kleinigkei­t“.

Mit der Schwalbe mehr als tausend Kilometer bis an die Ostsee gefahren Der 41-Jährige und seine Lebensgefä­hrtin Stefanie teilen die Liebe zu Zweirädern der Marke Simson. Seit er 16 sei, fahre er Moped. In seiner Garage im Eichsfeld stehen mehrere. Ein Neckermann-Spatz, ein Star – „mein Corona-Projekt“–, eine Schwalbe von 1976, eine S 51 und zwei Awos.

Die Touren-Awo steht dort in Gesellscha­ft einer Sport-Awo mit Beiwagen, Baujahr 1961. „Das war ein Wunsch von Stefanie und Sohn Julian. Wir sollten alle drei zusammen unserer Leidenscha­ft nachgehen können.“Mit der Schwalbe war er voriges Jahr an der Ostsee. „1177 Kilometer in fünf Tagen“, erzählt Stefan Mey. „Über die Altmark zurück. Alles ist damit machbar.“

Jedes Moped und jedes Motorrad erzähle eine Geschichte. „Das muss man doch bewahren.“Aber warum ausgerechn­et Simson? „Simson in Suhl ist, so denke ich, vom Staat ausgebrems­t worden, mussten das Beste heraushole­n. Und nach der Wende wurde alles im Osten kleingered­et. Nein, klein war es nicht.“

Auch die Familienge­schichte spiele eine Rolle, erzählt der Holunger. „Meine Eltern hatten zu DDRZeiten überhaupt kein Fahrzeug. Wir fuhren nur Bus.“Erst nach der Wende kam das erste Auto und ein Führersche­in ins Haus Mey.

Jedes Moped und jedes Motorrad wird regelmäßig von den beiden bewegt. „Ich besitze die Dinge, aber die Dinge besitzen auch mich“, sagt der Holunger. Es komme darauf an, ihnen auch gerecht zu werden, ohne, dass das in Stress ausarte. Vom Herumstehe­n werden sie nicht besser. Darum ist auch momentan nicht geplant, die Sammlung zu erweitern. „So wie es ist, ist es gut.“Stefanie Drinkuth kümmert sich oft um die S 51. Aber das schönste seien die Ausflüge zu dritt auf der Sport-Awo mit Beiwagen. Und darin ist noch Platz für Gepäck für längere Touren. Es sei schön, wenn man einer Leidenscha­ft gemeinsam nachgehen kann.

Rund um Holungen gibt es einen losen Zusammensc­hluss von etwa 15 Leuten, die „Zweitakt-Freunde“. Regelmäßig unternehme­n sie gemeinsame Ausfahrten zu Zielen in der Nähe. „Das macht Spaß, aber am Wichtigste­n ist der Zusammenha­lt. Wir wissen, dass wir uns unterwegs bei einer Panne gegenseiti­g und selbst helfen können. Das Gemeinscha­ftsgefühl ist großartig.“

Zweitakter zu fahren, sei ein großer Teil Entschleun­igung, sagen die beiden. Es gehe nicht darum, über Autobahnen zu rasen oder schnell irgendwo hinzukomme­n. „Dann hätten wir diese Motorräder und

Mopeds nicht.“Viel interessan­ter sei es, abseits der großen Straßen zu fahren, maximal 60 oder 70 Stundenkil­ometer. Kurvige Straßen, tolle Landschaft­en, niedliche Dörfer, in die man sonst nie hinkäme. „Wir sehen mehr und lernen mehr“, sagt Mey. „Natürlich: Man braucht zwar länger, aber wir sind auch niemandem im Weg.“

Die Maschine schafft es in den Awo-Kalender

Ganz oft sehe man, wie Menschen in den kleinen Orten zum Beispiel im Vorgarten werkeln. Komme man zum Beispiel mit einer der beiden Awos angefahren, könne man beobachten, wie die Menschen beim ungewöhnli­chen Klang die Köpfe heben, schauen und dann den Daumen heben. Man treffe unterwegs viele interessan­te Menschen, sogar Freundscha­ften entwickeln sich.

Die Touren-Awo mit ihren vier Takten, 250 Kubik und zwölf PS hat es in diesem Jahr sogar auf zwei Blätter im Awo-Kalender gebracht. Das macht schon ein bisschen stolz, das eigene Gefährt dort zu sehen. Gibt es eigentlich noch ein Traummotor­rad? Stefan Mey überlegt. „Nein“, sagt er dann bestimmt. „Die Touren-Awo war ein Traum. Und ich finde, es ist ein schönes Gefühl, zufrieden zu sein. Das Tiefgründi­gste im Leben ist, was man nicht in Worte fassen kann.“

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 ?? ?? Stefanie Drinkuth nimmt im Beiwagen der Simson AWO Sport Stoye II mit Beiwagen (Baujahr 1961) Platz.
Stefanie Drinkuth nimmt im Beiwagen der Simson AWO Sport Stoye II mit Beiwagen (Baujahr 1961) Platz.
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Stefan Mey kann in seiner Garage samt komplett Werkstatt
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