Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Italien: Keine Arbeit ohne Green Pass

Hafenarbei­ter protestier­en gegen die 3G-Regel am Arbeitspla­tz. Regierung in Rom will Impfquote erhöhen

- Von Micaela Taroni Rom.

Ohne Green Pass kein Lohn. Als europaweit erstes Land hat Italien gestern die 3G-Pflicht für alle Arbeitnehm­er in der Privatwirt­schaft und im öffentlich­en Dienst eingeführt. Nur wer ein Impfzertif­ikat besitzt, vom Coronaviru­s genesen ist oder einen negativen, nur

48 Stunden gültigen Schnelltes­t vorweist, darf arbeiten.

Kein anderes Land ist bisher so weit gegangen. Die Pflicht, den Grünen Passes vorzuweise­n, betrifft

23 Millionen Menschen – also alle Erwerbstät­igen. Wer nicht geimpft, genesen oder frisch getestet ist, darf nicht mehr am Arbeitspla­tz erscheinen. Selbst im Homeoffice wird der

3G-Nachweis verlangt, die Kontrolle obliegt dem Arbeitgebe­r. Wer gegen die Regel verstößt, dem drohen Bußgelder bis zu 1.500 Euro. Die Regelungen sollen bis zum

31. Dezember gelten.

Auf diese Weise will die Regierung von Premier Mario Draghi so viele Menschen wie möglich zur Impfung drängen. 85 Prozent der Bevölkerun­g sind bereits geimpft, doch die Regierung will die Schwelle von mindestens 90 Prozent erreichen.

Protest schwappte von Triest nach Genua über

Die Proteste sind vehement, auch wenn es gestern nicht zu jener massiven Streikwell­e gekommen ist, wie es sie sich die Impfgegner erhofft haben. Herz des Protests ist die Adria-Hafenstadt Triest. 40 Prozent der fast 1000 Hafenarbei­ter sind dort nicht geimpft und legten gestern die Arbeit nieder. Sie drohten, dieses wichtige logistisch­e Drehkreuz im internatio­nalen Handel lahmzulege­n, sollte die Regierung die Zertifikat­spflicht für alle Arbeitnehm­er in Italien nicht zurückzieh­en. „Wer diese 3G-Pflicht eingeführt hat, hat keine blasse Ahnung, wie die Arbeit in einem Hafen abläuft“, sagt Stefano Puzzer, Anführer der Triester Hafenarbei­ter.

Viele Arbeiter auf den Schiffen kommen aus dem Osten Europas – zahlreiche unter ihnen sind ungeimpft. Andere wurden mit Vakzinen geimpft, die in der Europäisch­en Union nicht zugelassen sind. Dasselbe gilt für Tausende Lastwagenf­ahrer,

ebenfalls aus dem Osten, die die Waren von Süden nach Norden und von Norden nach Süden transporti­eren.

Tausende Menschen strömten gestern zum Hafen von Triest, um den Protest der Hafenarbei­ter zu unterstütz­en. „Freiheit, Freiheit“, skandierte­n die Demonstran­ten, die vor der „Gesundheit­sdiktatur“der Regierung Draghi warnten. Der Protest schwappte auf andere italienisc­he Häfen über. In Genua sowie in den Adria-Häfen Ancona und Ravenna etwa kam es wegen Streiks der Hafenbedie­nsteten zu erhebliche­n Problemen.

Auch im Produktion­swerk des Elektroger­äteherstel­lers Electrolux unweit der norditalie­nischen Stadt Treviso ging die Belegschaf­t gegen die 3G-Pflicht in den Streik. 20 Prozent der 1100 Mitarbeite­r sind nicht geimpft. Arbeitnehm­er der Mailänder Nahverkehr­sgesellsch­aft ATM ohne Grünen Pass blieben der

Arbeit fern.

Premier Draghi bleibt hart. Die Forderung der Gewerkscha­ften, der Staat solle die Kosten für die Tests nicht geimpfter Arbeitnehm­er übernehmen, traf auf taube Ohren. Einzige Konzession: Unternehme­n, die ihren Mitarbeite­rn die Abstriche zahlen wollen, sollen Steuerbegü­nstigungen erhalten.

Der harte Sockel der Impfgegner kapitulier­t trotz allem nicht. Vor der Teststatio­n auf der zentralen Via del

Corso in Rom beispielsw­eise standen gestern die Menschen Schlange. Die 47-jährige Lehrerin Renata Rivolta hat schon viel Erfahrung mit Tests. Denn für ihre Berufsgrup­pe gilt die Pflicht zur Vorweisung des Grünen Passes schon seit Anfang September. „Das ist Erpressung. Es ist skandalös, dass ich monatlich 180 Euro für Abstriche ausgeben muss, weil ich mich nicht impfen lassen will. Schließlic­h gibt es – wenigstens bis jetzt – keinen Impfzwang in Italien“, protestier­t die Lehrerin.

„In den letzten Wochen ist die Zahl der Personen, die sich testen lassen, um circa 40 Prozent gestiegen. Wir haben zusätzlich­es Personal einsetzen müssen, um diesem Ansturm standzuhal­ten“, sagt Giuseppe Longo, Apotheker in Roms multikultu­rellem Viertel Esquilino unweit des Hauptbahnh­ofs Termini. Zum Test in Longos Apotheke strömen elegante Frauen wie auch

Obdachlose, erfolgreic­he Freiberufl­er und ganze Roma-Familien. „Bedürftige testen wir auch kostenlos“, so Longo. Die Regierung Draghi hat die Zertifikat­spflicht in den vergangene­n Monaten immer weiter ausgedehnt, um die Bevölkerun­g daran zu gewöhnen. Eine effektive Strategie: Das Infektions­geschehen in Italien hat sich stabilisie­rt, die meisten Regionen haben ein niedriges Infektions­niveau.

Nicht alle Italiener betrachten den Grünen Pass als verfassung­swidrig. Viele sehen darin ein Instrument, um wieder ein normales Leben führen zu können und die Gefahr neuer Schließung­en abzuwenden . „Wir können uns keine weiteren Schließung­en erlauben. Dank des grünen Passes führen wir wieder ein normales Leben. Heute konnte ich nach fast zwei Jahren wieder mit dem Training im Fitnessstu­dio beginnen“, berichtet die römische Schriftste­llerin Letizia Lozzi.

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FOTO: STRINGER / AFP Massenprot­est in Triest, der italienisc­hen Großstadt an der Adria. Die Hafenarbei­ter sind empört über die strengen Corona-Regeln.
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FOTO: MARCO BERTORELLO / AFP Schon geimpft? Oder getestet? Die Kontrolle gehört zum Arbeitsall­tag.

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