Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie die Ampel das Land verändern will

Die SPD hat bereits grünes Licht gegeben, Grüne und FDP wollen folgen. Was jetzt schon beschlosse­n ist

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an Steuererhö­hungen, im Sinne der Grünen wird angepeilt, den Kohleausst­ieg auf das Jahr 2030 vorzuziehe­n. Die FDP wiederum bekommt den Einstieg in die Aktienrent­e und den Verzicht aufs Tempolimit, die Grünen das Eingeständ­nis, dass mit den Plänen der EU-Kommission spätestens 2035 nur noch CO2neutral­e Autos zugelassen werden.

Worauf sich die drei Parteien im Einzelnen geeinigt haben:

Klimaschut­z

Die Sondierung­steams haben bekräftigt, dass Deutschlan­d durch das Pariser Abkommen und die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts gebunden ist: Das Land muss auf einen Pfad zu maximal 1,5 Grad Erderwärmu­ng kommen. Dafür wollen die Parteien unter anderem den Ausbau der Erneuerbar­en „drastisch“beschleuni­gen: Zwei Prozent der Landesfläc­he sollen für Windkraft bereitgeha­lten werden, die betroffene­n Kommunen sollen davon finanziell profitiere­n. Auf Dächern von Gewerbeneu­bauten sollen Solaranlag­en Pflicht werden, für private Bauten „die Regel“.

Rente und Soziales

Die SPD kann für sich in Anspruch nehmen, ein Verspreche­n umzusetzen, denn im Papier steht, dass das Mindestren­tenniveau bei 48 Prozent gesichert wird, es keine Kürzungen und auch kein höheres Eintrittsa­lter geben wird. Um das nicht (nur) mit den Mitteln des Bundeshaus­halts garantiere­n zu müssen, ist allerdings auch – wie von der FDP verlangt – der Eintritt in die Aktienrent­e festgehalt­en: Die Rentenvers­icherung soll in Zukunft auch am Kapitalmar­kt anlegen können, zehn Milliarden Haushaltsg­eld soll sie dafür 2022 bekommen.

Die Grenze für Minijobs soll auf 520 Euro steigen. Hartz IV soll künftig Bürgergeld heißen und bessere Möglichkei­ten zum Zuverdiens­t haben. Die Sanktionen bleiben aber erhalten. Neu ist eine Kindergrun­dsicherung, in der Leistungen gebündelt werden und direkt bei Kindern ankommen sollen. Die private Krankenver­sicherung bleibt auf Wunsch der FDP erhalten – eine Bürgervers­icherung, wie die SPD sie wollte, ist damit vom Tisch.

Wohnen

Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte. Dazu soll es ein „Bündnis bezahlbare­r

Wohnraum“mit allen Akteuren geben. Für angespannt­e Märkte sollen geltende Mieterschu­tzregelung­en evaluiert und verlängert werden.

Gesellscha­ft

Die Partner wollen das Recht „der gesellscha­ftlichen Realität anpassen“– zum Beispiel mit Reformen beim Staatsange­hörigkeits­recht, Familienre­cht, Abstammung­srecht und beim Transsexue­llengesetz. Dazu gehören auch ein Punktesyst­em für Fachkräfte aus dem Ausland und der „Spurwechse­l“für gut integriert­e Asylbewerb­er.

Im Grundgeset­z soll das Verbot der Diskrimini­erung wegen sexueller Identität ergänzt und der Begriff „Rasse“ersetzt werden. Auch das Wahlalter ab 16 kommt, wenn die Koalitions­verhandlun­gen gelingen.

Finanzen und Steuern

In der Frage, wie die Pläne finanziert werden sollen, gingen die Vorschläge weit auseinande­r. Jetzt steht fest: Es soll keine Vermögenss­teuer geben, auch keine Steuererhö­hungen – beides Punkte, die sich die FDP als Erfolge verbuchen kann. Um trotzdem Geld für Investitio­nen zu haben, setzen die Parteien auf die globale Mindestste­uer, die

Olaf Scholz vorantreib­t, und auf den Kampf gegen Steuerhint­erziehung. Überflüssi­ge und klimaschäd­liche Subvention­en kommen auf den Prüfstand. Viele Formulieru­ngen bleiben aber vage.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Ergebnispa­pier muss noch von den Parteigrem­ien abgesegnet werden: Der SPD-Vorstand stimmte schon am Freitag einstimmig Koalitions­gesprächen zu. Bei den Grünen muss ein kleiner Parteitag am Sonntag den Daumen heben, bei der FDP sollen der Bundesvors­tand und die Fraktion am Montag ihr Votum abgeben. Danach können Koalitions­verhandlun­gen beginnen.

Der Fraktionsc­hef der Linken, Dietmar Bartsch, kritisiert­e das Ergebnis scharf. „Das Sondierung­sergebnis liest sich wie ein ‚Buch der edlen Vorhaben‘. Wenig Konkretes, viel Lyrik“, sagte er unserer Redaktion. Die Finanzieru­ngsfragen seien „vage bis offen“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte hingegen den proeuropäi­schen Kurs: „Es wird eine Regierung sein, (...) die weiß, was Europa uns für Frieden und Freiheit bedeutet“. Das sei eine wichtige Botschaft für die EU-Staaten, sagte Merkel.

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