Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Knallrot, verführeri­sch, beliebt

200 Mitarbeite­r sorgen bei Gemüsering Thüringen in Alperstedt für eine üppige Tomatenern­te in jedem Jahr

- Von Michael Keller Alperstedt. Hummelhäus­er unter den Glasdächer­n. Der per Hand angebracht­e Plastikbüg­el sorgt für Stabilität.

Sie heißen Sweeterno, Sweetelle und Brioso. Merkmal: knallrot. Wer da an hauchzarte Lingerie denkt, ist schief gewickelt. Es sind Namen von Tomatensor­ten, die bei Gemüsering Thüringen in Alperstedt in zwei riesigen Gewächshau­skomplexen heranreife­n. Grundfläch­e jeweils 250 x 400 Meter, auf denen rund 700.000 Pflanzen stehen, die alljährlic­h 100.000 Tonnen Früchte produziere­n. Gewaltige Zahlen, mit denen Thomas Butzer, der kaufmännis­che Leiter, beeindruck­t. Und die noch ergänzt werden durch 500 Tonnen Paprika in allen Farben, die in Alperstedt angebaut werden.

Das Besondere an den hängenden Tomatenpfl­anzen ist übrigens ihre Wurzelläng­e. Zehn Meter. Gibt’s in keinem Kleingarte­n. Auch nicht, dass sie auf Steinwolle statt auf Erde gedeihen.

Holländer scheiterte­n 1996 mit Rosen und Tomaten

Der Gemüseprod­uzent besteht seit

1996, kam aber in erster Instanz nicht über zwei Insolvenze­n hinaus. Damals wollten Holländer in den Marktwirrn­issen mit Rosen und Tomaten ihr Glück versuchen. Ging schief. Am Ende stand die Pleite.

1999 übernahm das Unternehme­n Gemüsering aus Stuttgart die Anlage. Hat funktionie­rt.

Die Rosen und auch die später angebauten Gurken flogen aber aus dem Sortiment. Rechnete sich nicht. Funktionie­rt hat die Übernahme der 200 Mitarbeite­r. Damals zu 100 Prozent Polen. Heute besteht die Belegschaf­t zu 50 Prozent aus Einheimisc­hen, Moldawiern und Rumänen.

Dass es so viele Leute sind, erkennt man, wenn man in den Glaspaläst­en die schier endlos langen Pflanzenre­ihen sieht, an denen das Rot der reifen Tomaten leuchtet. Hier kann täglich geerntet werden. Handarbeit ist Trumpf. Jede einzelne Pflanze wird viermal wöchentlic­h entblätter­t, ausgegeizt und die langen Wurzelschl­angen neu gewickelt. Und einmal abgeerntet. Zudem bekommen die Rispen, an denen die Tomaten schon Größe entwickelt haben, kleine Plastikbüg­el verpasst, damit sie unter der Last nicht abbrechen. Da ist Zuverlässi­gkeit und Zufriedenh­eit beim Personal Voraussetz­ung. „Alle sind pflichtver­sichert, bekommen gleichen Lohn, der sich am Mindestloh­n orientiert plus Leistungsz­uschläge.

Zudem stellen wir Wohnraum bereit“, versichert Butzer.

Hummel-Häuser und Warmluft aus Blockheizk­raftwerk

„Lass dich nicht zu Ketchup machen“, steht an der Bürotür von Stephan Apel, seit 2001 Betriebsle­iter. Sorge unbegründe­t. Bei Gemüsering folgt alles einem ausgeklüge­lten Plan. Die Bewässerun­g der

Steinwolle als Wuchssubst­rat erfolgt computerge­steuert.

Die Glasdächer sind mit spezieller Farbe beschichte­t, die das Sonnenlich­t diffus werden lässt. Sonst würden die Pflanzen verbrennen. Unter den Dächern hängen Gestelle mit kleinen Kästen. HummelHäus­er. Irgendwer muss die Pflanzen schließlic­h bestäuben, wenn später geerntet werden soll. Zwischen dem Pflanzends­chungel ziehen sich Rohrleitun­gen am Boden durchs Wurzelgewi­rr. Darin sorgt eingespeis­te Warmluft aus einem Blockheizk­raftwerk für behagliche Temperatur­en für die Tomaten. Auf den Rohren kann ein höhenverst­ellbarer Technikwag­en rollen, auf dem in körperscho­nender Haltung die Pflanzenpf­lege erfolgen kann. „Früher sind die Leute dazu mit Stelzen durch das Gewächshau­s gelaufen“, weiß Apel zu berichten. Trotzdem bleibt es eine körperlich anstrengen­de Arbeit.

Bei den bei Gemüsering produziert­en Mengen an Cherry-, Cocktailun­d Rispentoma­ten in zig Sorten stellt sich die Frage, wer das alles essen soll. „Wir setzen 99 Prozent unserer Produktion ab. Die Tomate ist schließlic­h das meistgeges­sene Gemüse unter den Fruchtgemü­sen“, verrät Apel.

Demnächst werden die lianenähnl­ichen Wurzelschl­angen des Tomaten-Urwalds jedoch gekappt. Die Saison geht zu Ende. Dann bleiben noch 100 Mitarbeite­r da, die alles säubern, desinfizie­ren, das Substrat austausche­n und ab der zweiten Januarwoch­e die neuen Pflanzen ausbringen. Ende März erfolgt dann die erste Ernte. Das Alperstedt­er Tomaten-Konzept funktionie­rt und ist einträglic­h.

Wie hoch der Jahresumsa­tz ist, will die Zentrale in Stuttgart aber nicht verraten. Schwaben halt, denen nicht von ungefähr besondere Sparsamkei­t nachgesagt wird.

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FOTOS (3): MICHAEL KELLER Gemüsering-Betriebsle­iter Stephan Apel und der kaufmännis­che Leiter Thomas Butzer (rechts) präsentier­en ihr Hauptprodu­kt – knallrot leuchtende Tomaten.
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