Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Knallrot, verführerisch, beliebt
200 Mitarbeiter sorgen bei Gemüsering Thüringen in Alperstedt für eine üppige Tomatenernte in jedem Jahr
Sie heißen Sweeterno, Sweetelle und Brioso. Merkmal: knallrot. Wer da an hauchzarte Lingerie denkt, ist schief gewickelt. Es sind Namen von Tomatensorten, die bei Gemüsering Thüringen in Alperstedt in zwei riesigen Gewächshauskomplexen heranreifen. Grundfläche jeweils 250 x 400 Meter, auf denen rund 700.000 Pflanzen stehen, die alljährlich 100.000 Tonnen Früchte produzieren. Gewaltige Zahlen, mit denen Thomas Butzer, der kaufmännische Leiter, beeindruckt. Und die noch ergänzt werden durch 500 Tonnen Paprika in allen Farben, die in Alperstedt angebaut werden.
Das Besondere an den hängenden Tomatenpflanzen ist übrigens ihre Wurzellänge. Zehn Meter. Gibt’s in keinem Kleingarten. Auch nicht, dass sie auf Steinwolle statt auf Erde gedeihen.
Holländer scheiterten 1996 mit Rosen und Tomaten
Der Gemüseproduzent besteht seit
1996, kam aber in erster Instanz nicht über zwei Insolvenzen hinaus. Damals wollten Holländer in den Marktwirrnissen mit Rosen und Tomaten ihr Glück versuchen. Ging schief. Am Ende stand die Pleite.
1999 übernahm das Unternehmen Gemüsering aus Stuttgart die Anlage. Hat funktioniert.
Die Rosen und auch die später angebauten Gurken flogen aber aus dem Sortiment. Rechnete sich nicht. Funktioniert hat die Übernahme der 200 Mitarbeiter. Damals zu 100 Prozent Polen. Heute besteht die Belegschaft zu 50 Prozent aus Einheimischen, Moldawiern und Rumänen.
Dass es so viele Leute sind, erkennt man, wenn man in den Glaspalästen die schier endlos langen Pflanzenreihen sieht, an denen das Rot der reifen Tomaten leuchtet. Hier kann täglich geerntet werden. Handarbeit ist Trumpf. Jede einzelne Pflanze wird viermal wöchentlich entblättert, ausgegeizt und die langen Wurzelschlangen neu gewickelt. Und einmal abgeerntet. Zudem bekommen die Rispen, an denen die Tomaten schon Größe entwickelt haben, kleine Plastikbügel verpasst, damit sie unter der Last nicht abbrechen. Da ist Zuverlässigkeit und Zufriedenheit beim Personal Voraussetzung. „Alle sind pflichtversichert, bekommen gleichen Lohn, der sich am Mindestlohn orientiert plus Leistungszuschläge.
Zudem stellen wir Wohnraum bereit“, versichert Butzer.
Hummel-Häuser und Warmluft aus Blockheizkraftwerk
„Lass dich nicht zu Ketchup machen“, steht an der Bürotür von Stephan Apel, seit 2001 Betriebsleiter. Sorge unbegründet. Bei Gemüsering folgt alles einem ausgeklügelten Plan. Die Bewässerung der
Steinwolle als Wuchssubstrat erfolgt computergesteuert.
Die Glasdächer sind mit spezieller Farbe beschichtet, die das Sonnenlicht diffus werden lässt. Sonst würden die Pflanzen verbrennen. Unter den Dächern hängen Gestelle mit kleinen Kästen. HummelHäuser. Irgendwer muss die Pflanzen schließlich bestäuben, wenn später geerntet werden soll. Zwischen dem Pflanzendschungel ziehen sich Rohrleitungen am Boden durchs Wurzelgewirr. Darin sorgt eingespeiste Warmluft aus einem Blockheizkraftwerk für behagliche Temperaturen für die Tomaten. Auf den Rohren kann ein höhenverstellbarer Technikwagen rollen, auf dem in körperschonender Haltung die Pflanzenpflege erfolgen kann. „Früher sind die Leute dazu mit Stelzen durch das Gewächshaus gelaufen“, weiß Apel zu berichten. Trotzdem bleibt es eine körperlich anstrengende Arbeit.
Bei den bei Gemüsering produzierten Mengen an Cherry-, Cocktailund Rispentomaten in zig Sorten stellt sich die Frage, wer das alles essen soll. „Wir setzen 99 Prozent unserer Produktion ab. Die Tomate ist schließlich das meistgegessene Gemüse unter den Fruchtgemüsen“, verrät Apel.
Demnächst werden die lianenähnlichen Wurzelschlangen des Tomaten-Urwalds jedoch gekappt. Die Saison geht zu Ende. Dann bleiben noch 100 Mitarbeiter da, die alles säubern, desinfizieren, das Substrat austauschen und ab der zweiten Januarwoche die neuen Pflanzen ausbringen. Ende März erfolgt dann die erste Ernte. Das Alperstedter Tomaten-Konzept funktioniert und ist einträglich.
Wie hoch der Jahresumsatz ist, will die Zentrale in Stuttgart aber nicht verraten. Schwaben halt, denen nicht von ungefähr besondere Sparsamkeit nachgesagt wird.