Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die passende Unternehmensform
Vertraute Atmosphäre im Familienbetrieb oder klare Strukturen im Großkonzern - was ist das Richtige?
Macht man seine Arbeit gerne oder nicht? Die Antwort auf diese Frage hängt nicht nur vom Inhalt des Jobs ab, sondern auch von dem Umfeld, in dem man ihn ausübt. Dabei wird die Arbeitskultur entscheidend durch die Größe des Unternehmens geprägt.
Ob kleines Familienunternehmen, traditionsreicher Mittelständler oder international agierender Großkonzern: Beschäftigte finden jeweils unterschiedliche Strukturen, Werte und Leitlinien vor. Es lohnt sich, bei der Stellensuche zu überlegen, wo man am besten reinpasst. Doch wie geht man dabei vor? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.
Was zeichnet kleine Betriebe im Gegensatz zu den großen Unternehmen aus?
„Kleine Unternehmen sind oft inhabergeführt, ganz typisch sind hier die Familienbetriebe“, sagt die Personalberaterin Nicole Flockenhaus. Wie in einer Familie gebe es ein engmaschiges soziales Netz, in dem jeder und jede einen festen Platz hat. Die Strukturen seien stark auf die Inhaber und deren Erben ausgerichtet. Vieles läuft informell zwischen den Angestellten oder Familienmitgliedern ab. Kleine Unternehmen bieten somit eine enge Bindung zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie hohe Integrität. Ebenso erfordern sie aber ein hohes Maß an Empathie und Sozialkompetenz, da man sich sehr auf die Kolleginnen und Kollegen einlassen muss. „Die Mitarbeiter sind also ,Part of the Game‘, sie gehören auf einem kleinen Spielfeld zu einem festen Team, in dem sie einen festen Platz haben“, sagt Flockenhaus.
Und wie sieht das wiederum bei einem Mittelständler aus? Mittelständische Unternehmen zeichnen sich laut Flockenhaus typischerweise durch flexible, offene Strukturen aus. Austausch, Verbesserungsvorschläge und kreativer Input seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien gewünscht. Oft würden die Unternehmen mit
Stolz auf eine langjährige Geschichte und regionale Verbundenheit zurückblicken. „Ein Mittelständler benötigt deshalb Mitarbeiter, die Teil dieser Geschichte, also ,Part of the Story‘ werden wollen“, so die Personalberaterin. Auch hier spielt eine enge Bindung ans Unternehmen eine Rolle. „Sie basiert ganz besonders auf Traditionsbewusstsein und gemeinsamen Werten, die die Mitarbeiter motivieren.“
Worauf muss man sich in einem Großkonzern einstellen? Großkonzerne verfügen oftmals über mehrere Niederlassungen im In- und Ausland, sind international aufgestellt und beschäftigen mehrere Hundert Mitarbeiter. Die Größe macht es notwendig, feste Abläufe, klare Regeln und eindeutige Verantwortungsstrukturen auszubilden. „Dort zu arbeiten ist vor allem ideal für Leute, die normorientiert denken, eine hohe Umsetzungskompetenz haben und eher extrovertiert und kompetitiv sind“, sagt Flockenhaus. Mitarbeiter seien im Großkonzern „Part of the System“: „Es geht darum, innerhalb der Strukturen effektiv zu arbeiten.“
Und was ist jetzt am besten für einen Berufsanfänger?
Den einen besten Weg gibt es nicht. „Gerade jungen Menschen empfehle ich, ihre Bewerbungsanlage möglichst breit zu halten und alle Unternehmenstypen anzuschauen“, sagt der Berufsberater Stefan Nowack. „Großkonzerne haben beispielsweise den Vorteil, eigene Ausbildungsabteilungen zu haben, in denen die Auszubildenden durch enge Betreuung und ein gut strukturiertes Programm unmittelbar auf ihre spätere Tätigkeit vorbereitet werden“, sagt Nowack. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen hingegen werde die Ausbildung eher „im laufenden Prozess“erledigt. Junge Berufsanfänger seien daher sehr abhängig davon, wie viel Zeit und Engagement ihre neuen Kolleginnen und Kollegen für sie aufwenden.
Laut Nowack hat man in kleinen oder mittelständischen Unternehmen eher die Chance, schneller aufzusteigen. Der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen - auch in der Personalentwicklung – sei dort enger, was die Karrierebedingungen verbessern könne. Beim Gehalt hingegen punkten die Großkonzerne, im Schnitt zahlen sie deutlich mehr. Allerdings sei für viele Arbeitnehmer das Gehalt weniger wichtig als die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zu erfahren, sagt der Berufsberater: „Ich erlebe es in meiner Praxis daher häufiger, dass ein Arbeitnehmer von einem Großkonzern zu einem Mittelständler wechselt als umgekehrt.“
„Einen bestimmten Persönlichkeitstyp, um im jeweiligen Unternehmenstyp Erfolg zu haben, gibt es meiner Einschätzung nach nicht.“
Stefan Nowack, Berufsberater
Und wie trifft man nun seine Entscheidung, wo es hingehen soll? „Der Schlüssel besteht darin, nicht nur auf die sachlichen Kriterien und die fachlichen Kompetenzen zu schauen, sondern ebenfalls die eigene Persönlichkeit gut zu kennen“, sagt Personalberaterin Flockenhaus. Dazu kann man zum Beispiel Persönlichkeitstests zurate ziehen oder sich auf die eigene Reflexionsgabe verlassen. „Einen bestimmten Persönlichkeitstyp, dem man unbedingt entsprechen muss, um im jeweiligen Unternehmenstyp Erfolg zu haben, gibt es meiner Einschätzung nach aber nicht“, schränkt Nowack ein. Wenn Unternehmen und Bewerber motiviert sind aufeinander zuzugehen, würden sie für gewöhnlich auch einen Weg finden. Manchmal gibt es dann aber doch – zumindest vorübergehend – den einen oder anderen „Kulturschock“.