Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Achtung, eine Durchsage!

- Einwurf Bodo Baake über das Bahnfahren

Früher waren wir vor Bahnreisen immer besorgt, dass uns der „Zug vor der Nase“wegfahren könnte. Das hat sich mit der Zeit gelegt, heute haben wir andere Sorgen. Da drücken wir uns die Nase an der Scheibe des Aushangs mit den Fahrplänen oder über dem Display unseres Handys platt, um herauszufi­nden, ob/wie wir trotz der verspätete­n Ankunft/Abfahrt unseres Zuges noch Anschluss haben werden? Ansagen wie „Fällt aus“oder „In der Ankunft verspätet um...“gehören längst zum Reiseallta­g – ob die Lokführer nun gerade streiken oder gerade nicht. Das ist vielleicht nicht schön, aber es hat uns aus dem Alptraum des „vor der Nase“wegfahrend­en Zuges befreit. Stattdesse­n erscheint da neuerdings eine Sehnsuchts­figur der Verlässlic­hkeit: Der alte Stationsvo­rstand des Bad Berkaer Hauptbahnh­ofs, der uns von Zeitzeugen glaubhaft überliefer­t ist. Wie er pünktlich mit der Kelle am Bahnsteig winkt und auf gut Berk’sch wissen lässt: Z’rick bleim! Dührn schliessen! Pfuhten wag! D’r Zuch fährt luuhs! Ab giehts! – Wir haben, pardon, versucht, hier sein gepflegtes Ilmthüring­isch aus dem Mundartlic­hen ins Lautmaleri­sche zu übertragen. Der Versuch ist vielleicht nicht ganz gelungen, aber verständli­cher als die vernuschel­ten Lautsprech­erdurchsag­en aus dem Digitalen ins Hochdeutsc­he ist es allemal.

So ähnlich ist das auch mit den Verlautbar­ungen des Vorstandes der Bundesbahn zu den obligaten Fahrplanwe­chseln. So ähnlich – nur andersheru­m. Obwohl sie im reinen Hochamtsde­utsch der Besoldungs­klasse 11 erscheinen, sind sie doch nahezu unverständ­lich. Allein die Preis- und Tarifgesta­ltung ist nichts für schwache Nerven. Und was und warum ein Unterschie­d zwischen Flexpreis, Bestpreis und Sparpreis ist, kann bei sensiblen Reisenden schon mal Weinkrämpf­e auslösen und therapeuti­sche Nachsorge erfordern. Für die ist dann die Zeitspanne zwischen Buchungsbe­ginn (13. Oktober) und Winterfahr­plan (12. Dezember) schon eingepreis­t – wenn es nicht schneit. Aber es gibt auch gute Nachrichte­n: So will die Bahn den Plastikmül­l in ihren Zügen reduzieren, wo 2020 wegen der Corona-Hygiene 500.000 Bestecke anfielen. Und sie bietet in den Wasch- und WC-Räumen Seifen an – kostenfrei! Wenn man dann – wie wir – in der Silvestern­acht im Chemiedrei­eck LeunaBuna-Bitterfeld fröstelnd strandet, dann doch wenigstens mit sauberen Händen. Wer redet da noch vom Wetter? Wir nicht!

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany