Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wer profitiert von der neuen Aktienrente?
SPD, Grüne und FDP planen bei der Altersvorsorge den Börseneinstieg. Der Sozialverband VdK hat Zweifel
Es geht los, die Arbeit an den Details beginnt: An diesem Mittwoch steigen die Ampel-Gesprächspartner SPD, Grüne und FDP in 22 Arbeitsgruppen in die inhaltlichen Verhandlungen zur Bildung einer gemeinsamen Regierung ein. Mit besonderer Spannung dürften viele auf Fachgruppe neun „Sozialstaat, Grundsicherung, Rente“blicken. Denn dort wird in den nächsten Wochen nicht weniger als ein Systemwechsel im deutschen Rentensystem verhandelt. Genauer gesagt geht es um den Einstieg in eine öffentlich organisierte, aktienfinanzierte Altersvorsorge. Dies haben Sozialdemokraten, Grüne und Liberale in ihrem gemeinsamen Sondierungspapier festgelegt.
Zwar sichern die Ampel-Partner zu, dass sie die gesetzliche Rente „stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent sichern“wollen. Zudem werde es „keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben“. Doch zugleich kommen neue Komponenten dazu. Demnach soll es künftig sowohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Rente einen Aktieneinstieg geben.
Der Sozialverband VdK und das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung melden bereits erhebliche Zweifel an dem Vorhaben an. Beide befürchten, dass am Ende weniger die Rentnerinnen und Rentner profitieren könnten als vielmehr die Aktienhändler. VdK-Präsidentin Verena Bentele warnte zudem vor staatlich geförderten Investitionen in Bereichen, die aus ihrer Sicht
fragwürdig wären, und nannte unserer Redaktion als Beispiele „Kohlekraftwerke und Kriegswaffen“. Mit solchen Bedenken und etlichen ungeklärten Fragen zum geplanten Aktieneinstieg werden sich die Ampel-Unterhändler eingehend beschäftigen müssen.
Was planen SPD, Grüne und FDP bei der gesetzlichen Rente?
In ihrem Sondierungspapier haben die drei Parteien das Ziel festgeschrieben, „zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung“einzusteigen. Es wäre eine Neuerung, die alle gesetzlich Rentenversicherten betreffen würde, also zukünftige Rentengenerationen, weniger die heutige. Geplant ist, „in einem ersten Schritt“der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen „Kapitalstock von 10 Milliarden Euro“zur Verfügung zu stellen.
Die Rentenversicherung solle zudem die Möglichkeit bekommen, „ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen“. Nach Vorstellungen der FDP sollen von den 18,6 Prozent, die derzeit jeweils hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden, insgesamt zwei Prozent in einen Aktienfonds fließen. Die Grünen fordern, dass das Geld in nachhaltige Kapitalanlagen fließt.
Wie bewerten Experten die geplante Reform?
Der Wirtschaftswissenschaftler und Rentenexperte des Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz, kritisierte das Vorhaben. „Was das soll, ist mir ehrlich gesagt völlig schleierhaft“, sagte Ragnitz unserer Redaktion. Wenn die gesetzliche Rentenkasse einen Kapitalstock aus Bundesmitteln erhalte, „kann sie höchstens die Dividendenzahlungen dafür verwenden, um die Renten aufzubessern“. Und der Ökonom rechnete vor: Bei einer Dividende von vier Prozent pro Jahr bekomme die gesetzliche Rentenversicherung grob überschlagen zusätzliche laufende Einnahmen von 400 Millionen Euro.
„Das entspricht einer Einmalzahlung von 20 Euro pro Rentner und Jahr“, sagte Ragnitz. Dieses Ziel lasse sich auch erreichen, indem man 400 Millionen Euro aus Bundesmitteln direkt an die Rentenkasse überweise. „Letzten Endes kommt eine solche Maßnahme kurzfristig nur den Verkäufern von Aktien zugute“, wenn die gesetzliche Rentenversicherung für 10 Milliarden Euro Aktien kaufe. „Das Ganze ist offenbar nur ein Zugeständnis an die FDP, die das in ihrem Wahlprogramm gefordert hatte“, es werde aber an der Problematik der fehlenden Nachhaltigkeit der Rentenfinanzierung nichts ändern, bemängelte Ragnitz.
VdK-Chefin Bentele gab zu bedenken: „Internationale Pensionsfonds hätten gezeigt, dass Anlagen nicht unbedingt sozialverträglich sind. Sie investieren in Hedgefonds, die Arbeitsplätze vernichten, oder in den Berliner Wohnungsmarkt“.
Wie sehen die Aktien-Pläne der Ampel bei der privaten Rente aus? Auch hier sind Neuerungen geplant: „Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren“, heißt es im Sondierungspapier. Die AmpelPartner wollen prüfen, wie sie für die private Rentenversicherung einen „öffentlich verantworteten Fonds“mit einem „effektiven und kostengünstigen Angebot“einführen können. Demnach wäre also der Staat der Anleger des Geldes der Versicherten, nicht private Konzerne. Profitieren sollen alle, die sich zusätzlich fürs Alter absichern wollen. Um auch untere Einkommensgruppen zu mehr privater Vorsorge zu bewegen, soll es hier eine besondere staatliche Förderung geben. Ein Problem ist nämlich bislang, dass vor allem Menschen mit besseren Einkommen Zusatz-Rentenversicherungen haben. Wer weniger verdient, hat hierfür hingegen oft nicht genügend Geld übrig.
Wird die private Aktienrente Pflicht, und was wird aus der Riester-Rente? Nein, eine Pflicht ist nicht geplant. Vielmehr sprechen die Ampel-Partner über ein System „mit Abwahlmöglichkeit“. Wer nicht teilnehmen will, kann sich also dagegen entscheiden. Weiter heißt es: „Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen.“Ziel dieser Maßnahme ist es, die privaten Rentenversicherungen profitabler zu machen, damit den Menschen hieraus im Alter mehr Geld zur Verfügung steht. Für laufende Riester-Verträge planen SPD, Grüne und FDP laut ihrem Sondierungspapier einen Bestandsschutz.
„Internationale Pensionsfonds haben gezeigt, dass Anlagen nicht unbedingt sozialverträglich sind. Sie investieren in Hedgefonds, die Arbeitsplätze vernichten.“
Verena Bentele, VdK-Präsidentin