Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Straßenbahn-Treter mischt sich in Vernehmung seiner Frau ein
Landgericht Erfurt: Richter maßregelt Angeklagten. Plädoyers und Urteil werden heute erwartet
Christian B. störte am Montag die Verhandlung.
Irgendwann wird es Richter Holger Pröbstel doch zu bunt. Am dritten Prozesstag maßregelt er den Angeklagten Christian B. gleich zwei Mal – am Vormittag, als dieser sich in die Vernehmung seiner Frau einmischen will und auch nach der Prozesspause noch einmal, als B. nicht an sich halten kann und wieder dazwischenredet.
Der Angeklagte aus Erfurt wirkt an diesem Prozesstag angespannter als Ende vergangener Woche zu Beginn der Verhandlung. B. muss mit anhören, wie seine Frau im Zeugenstand aussagt und sich dabei vom Gericht einer intensiven Befragung ausgesetzt sieht. Die beginnt damit, ihren Familiennamen zu klären. Warum? Nach Informationen dieser Zeitung haben sich der Angeklagte und die Zeugin noch kurz vor Prozessbeginn das Ja-Wort gegeben und geheiratet.
B. muss sich vor Gericht verantworten, weil er im April in einer Erfurter Straßenbahn einen damals 17-jährigen Syrer brutal gegen den Kopf getreten und dabei mehrfach übel rassistisch beleidigt hatte. Die Szenen kannte kurz nach Veröffentlichung eines Videos im Internet die halbe Republik. Das Entsetzen ob der offen zutage tretenden Ausländerfeindlichkeit war groß.
Das Gericht wollte nun von der Frau des Angeklagten wissen, wie dieser politisch zu verorten sei. Sitzt hier ein Rechtsextremist auf der Anklagebank? Wo sieht die Ehefrau ihren Mann? Was auffällt: Obwohl sie als Gattin des Angeklagten die Aussage hätte verweigern können, stellt sich die Frau den Fragen der Kammer und versucht dabei, ihren Mann positiv aussehen zu lassen. Auf die Frage, wo sie ihn politisch sieht bleibt, sie eine konkrete Antwort schuldig. Als es aber um den Drogenkonsum geht, erklärt sie, dass sie es wohl gemerkt hätte, wenn B. unter Drogen stehen würde. Allerdings: Das Gericht hält der Frau vor, dass sie ihre Schwester bedroht haben soll, weil diese bei der Polizei aussagte, dass B. intensiv Drogen konsumiert. Im Raum steht die Frage, ob über den vermeintlichen oder tatsächlichen Drogenkonsum möglicherweise erreicht werden soll, dass B. einer mehrjährigen Haftstrafe entgeht?
B., der 21 Vorstrafen hat und zum Zeitpunkt der Tat unter Führungsaufsicht stand, hatte zu Prozessbeginn überdies angegeben, dass er viel Alkohol mit einem Bekannten vor der Tat getrunken haben will. Dieser Bekannte sagte aus, dass die Menge Alkohol deutlich geringer gewesen sein könnte, als vom Angeklagten dargestellt.
Hinweis auf eine „das Leben gefährdende Behandlung“
Heute könnte gegen B. eine mehrjährige Haftstrafe ausgesprochen werden, wenn das Gericht ihn für schuldig befindet. Für gefährliche Körperverletzung drohen bis zu zehn Jahre Haft. Das Gericht ist bereits an einer Stelle über die Anklage der Staatsanwaltschaft hinausgegangen, gab den Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ausgesprochen werden könnte. Nebenklagevertreter Juri Goldstein hatte einen Hinweis beantragt, eine Verurteilung wegen versuchten Mord möglich werden zu lassen – das wiederum lehnt das Gericht ab.
Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage halten am heutigen Dienstag ihre Schlussvorträge. Mit einem Urteil wird noch am Vormittag gerechnet.