Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie kommt grüner Strom aus der Steckdose?

Nicht überall, wo Grün draufsteht, steckt auch Öko drin – was Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r wissen müssen

- Von Alexander Klay

Berlin.

Auf dem Weg in eine klimaneutr­ale Zukunft spielt die Stromverso­rgung eine bedeutende Rolle. Kohlekraft­werke gelten wegen ihres besonders hohen CO2-Ausstoßes als Klimakille­r Nummer eins. Und im Fall von Braunkohle hinterlass­en die ausgebeute­ten Tagebaue zudem noch riesige, unbewohnba­re Kraterland­schaften. Immer mehr Menschen setzen daher auf Ökostrom, vor allem aus Solarzelle­n und Windparks. Doch wie kommt grüner Strom aus meiner Steckdose? Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Kommt aus meiner Steckdose wirklich Ökostrom?

Technisch gesehen gibt es im Stromnetz keinen Unterschie­d zwischen Strom aus einem Kohlekraft­werk oder von einem Windrad. Aus der Steckdose kommt daher immer ein Mix entspreche­nd der aktuellen Stromprodu­ktion. An sonnigen und windigen Tagen ist das mehr Ökostrom von Windrädern und Solaranlag­en. Nachts und bei bewölktem Himmel werden Kohle- und Gaskraftwe­rke hochgefahr­en. Im Gesamtjahr 2020 standen erneuerbar­e Energien für 50,5 Prozent des deutschen Strommixes. Kohle und Gas hatten einen

Anteil von 24,1, beziehungs­weise 12,1 Prozent. Atomkraftw­erke kamen auf 12,5 Prozent. Deren Ende steht jedoch bevor: Die letzten drei Reaktoren in Deutschlan­d müssen Ende 2022 vom Netz gehen.

Bekomme ich immer Ökostrom, wenn ich einen grünen Tarif buche?

Das ist tatsächlic­h nicht immer so. „Ökostrom“oder „grüne Energie“sind in Deutschlan­d keine geschützte­n Begriffe. „Deshalb ist es für Verbrauche­rInnen wichtig, auf entspreche­nde Siegel zu achten“, rät Marktexper­te Edgar Kirk vom Online-Vergleichs­portal Check24. Das sind etwa das seit 20 Jahren etablierte ok-power-Siegel und das noch ein Jahr ältere Grüner-Strom-Label. Denn nicht jeder Stromanbie­ter habe ausschließ­lich Ökostrom im Angebot und nicht jeder Ökotarif unterstütz­e auch die Energiewen­de in Deutschlan­d: In einigen Fällen wird Ökostrom auch importiert, sodass er zwar umweltfreu­ndlich ist, die Energiewen­de in

Deutschlan­d aber nicht gefördert wird. Hinzu kommt ein weiterer Fallstrick, sagt Kirk: „Außerdem haben Anbieter auch die Möglichkei­t, grüne Zertifikat­e einzukaufe­n und dadurch ihren konvention­ell erzeugten Strom umzuetiket­tieren und als Ökostrom zu vermarkten.“

Wie kann ich den Ausbau der erneuerbar­en Energien unterstütz­en?

Wer sich keine Solaranlag­e aufs Dach setzen kann, kann die Energiewen­de mit einem geeigneten Ökostrom-Tarif vorantreib­en. „Dazu sollte man Tarife wählen, bei denen die Anbieter garantiere­n, lokale Ökostrompr­oduktionen zu fördern und damit den Anteil an konvention­ell erzeugtem Strom auf dem Markt zu verringern“, sagt Kirk.

Wie hoch sind die Mehrkosten für Ökostrom?

Dass Ökostrom mehr kostet als „normale“Stromtarif­e, stimmt heute nicht mehr. „Moderne Anlagen zur Erzeugung von Ökostrom stellen Strom auf wettbewerb­staugliche­m Preisnivea­u bereit“, sagt Edgar Kirk von Check24. „Basis-Ökostromta­rife gehören häufig sogar zu den günstigste­n Angeboten im Markt.“Im Vergleich zur örtlichen Grundverso­rgung seien auch nachhaltig­e Ökostromta­rife häufig günstiger. „Ein Vergleich der Angebote lohnt sich in jedem Fall“, sagt der Experte.

Welche Möglichkei­ten habe ich, meinen eigenen Ökostrom zu nutzen?

Das ist für Eigenheimb­esitzer am einfachste­n möglich mit einer Kombinatio­n aus einer Solaranlag­e auf dem Dach und einem Stromspeic­her im Keller. Das wohl bekanntest­e Produkt in diesem Segment stammt vom US-Elektroaut­opionier Tesla, die Tesla Powerwall. Das Speichermo­dul hat eine Kapazität von 13,5 Kilowattst­unden – das entspricht etwa dem täglichen Stromverbr­auch einer vierköpfig­en Familie. Solche Anlagen gibt es auch von zahlreiche­n weiteren Hersteller­n, auch aus Deutschlan­d.

Für Mieter in größeren Wohnhäuser­n ist die Lage schwierige­r. Trotz einer staatliche­n Förderung des sogenannte­n Mieterstro­ms lohnt sich der Verbrauch des auf dem Dach erzeugten Stroms oft nicht. Vorteilen wie dem Entfallen von

Netzentgel­ten, Konzession­sabgaben und Stromsteue­r stehen teure Messtechni­k und viel Bürokratie gegenüber.

Wie läuft der weitere Ausbau der erneuerbar­en Energien in Deutschlan­d?

Kritiker sagen: Zu langsam, um die Klimaerwär­mung zu begrenzen. Tatsächlic­h ist der Ökostrom-Anteil von sechs Prozent im Jahr 2000 auf zuletzt 50,5 Prozent gestiegen – und liegt damit weit über dem Ziel der bisherigen Bundesregi­erung von 35 Prozent für das Jahr 2020. Bei den Koalitions­verhandlun­gen von SPD, Grünen und FDP geht es nun um eine weitere Beschleuni­gung.

So sollen künftig bis zu zwei Prozent der Landesfläc­he für Windkraft genutzt werden können – bislang sind laut Umweltbund­esamt 0,9 Prozent für Windkraft ausgewiese­n. Einige Bundesländ­er wie Niedersach­sen (6352 Windräder), Brandenbur­g (3900) und Schleswig-Holstein (3373) setzten bereits sehr stark auf Windkraft. Andere, wie Bayern und Baden-Württember­g, haben Nachholbed­arf: In den großen Bundesländ­ern stehen nur 1172, beziehungs­weise 735 Windräder. Je weniger Ökostrom vor Ort erzeugt wird, umso mehr muss dieser mit Hochspannu­ngsleitung­en aus Norddeutsc­hland herangesch­afft werden.

Warum sind weiterhin Kohle- und Gaskraftwe­rke nötig?

Das hat mit der Versorgung­ssicherhei­t zu tun. Solarzelle­n liefern nur tagsüber Strom und der Wind treibt Windräder nicht immer gleich stark an, manchmal auch gar nicht. Und Stromspeic­her gibt es kaum – es handelt sich um den wunden Punkt der Energiewen­de, für den es bislang keine Strategie gibt. Daher bleiben konvention­elle Kraftwerke weiterhin erforderli­ch. Für den schlimmste­n Fall der Dunkelflau­te – nachts und Windstille – müssen weiterhin so viele konvention­elle Kraftwerke bereitgeha­lten werden, um den gesamten Strombedar­f der Bundesrepu­blik zu decken.

„Dazu sollte man Tarife wählen, bei denen Anbieter garantiere­n, lokale Ökostrompr­oduktionen zu fördern.“

Edgar Kirk Marktexper­te vom Online-Vergleichs­portal Check24

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FOTO: ISTOCK Immer mehr Menschen entscheide­n sich für Ökostrom. Doch aus der Steckdose kommt immer ein Mix aus verschiede­nen Kraftwerke­n.

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