Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Erfurter Straßenbahntreter will Urteil anfechten
Vier Jahre und neun Monate Haft für Attacke auf jungen Syrer. Gericht erkennt rassistische Motivation als strafverschärfend an
Alexander Giehler wiederholt vor den wartenden Journalisten gebetsmühlenartig seine Argumentation. Für ihn ist klar: Christian B. hat den jungen Syrer im April in einer Erfurter Straßenbahn nicht aus einer rassistischen Tatmotivation heraus zusammengetreten.
Giehler hat B. in dem Verfahren vor dem Landgericht Erfurt verteidigt. Am Dienstag muss er feststellen, dass die 3. Strafkammer seiner im Plädoyer vorgetragenen Argumentation nicht folgt. Stattdessen urteilt sie: Christian B. hat sich einer gefährlichen Körperverletzung und weiterer Taten schuldig gemacht. Er soll dafür vier Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Die Kammer erkennt die rassistische Tatmotivation des Angeklagten an und würdigt sie entsprechend.
Ähnlich hatte Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen argumentiert – und eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten für den mehrfach vorbestraften Erfurter gefordert. Grünseisen sagt im Anschluss, dass neben der offenkundigen Tatmotivation auch die zahlreichen Vorstrafen bei einer Strafschärfung zu berücksichtigen gewesen seien.
Was B. im April getan hat, sah die halbe Republik im Internet. Ein Video zeigt, wie er auf einen Jugendlichen eintritt, nachdem der sich in seine Nähe auf einen freien Platz in der Straßenbahn gesetzt hat. Dabei beleidigt B. den jungen Syrer mit widerlichen Vokabeln, schreit ihn an: „Du kommst in mein Land ...“.
Juri Goldstein, der Ali A. als Nebenkläger vertreten hat, geht auf diesen Satz des Angeklagten in seinem Plädoyer ein. Sein Land, so Goldstein, sei eines, in dem Kinder gegen den Kopf getreten werden, man das Eigentum anderer Menschen zerstört, Straßenbahnfahrer beleidigt und Jugendliche bespuckt. „In unserem Land jedoch unterstützt man Opfer einer rassistischen Tat“, sagt Goldstein. Eine ebensolche Tat liege hier vor. „Sie haben sein Leben zerstört“, so Goldstein.
Ali A. selbst hört sich die Urteilsverkündung nicht an. Er hatte vergangene Woche ausgesagt; und dabei war ihm in nahezu jedem Satz Angst anzumerken. Die Entschuldigung, die der Angeklagte ihm im Gerichtssaal entgegenbringen wollte, nahm er nicht an.
Die Beratung für Opfer rechter und rassistischer Gewalt Ezra würdigt vor allem die Verhandlungsführung der 3. Strafkammer unter dem erfahrenen Vorsitzenden Holger Pröbstel. „Dieses Vorgehen war beispielhaft“, sagt Ezra-Beraterin Christin Fiedler und äußert die Erwartung, dass das in anderen Fällen künftig ähnlich gehandhabt wird. Fiedler hebt hervor, dass A. vor seiner Aussage unkompliziert die Nutzung des Zeugenschutzraumes ermöglicht wurde und Christian B. während seiner Aussage außerhalb des Sichtfeldes des Opfers sitzen musste.
Fiedler stellt außerdem klar: „Es hätte nicht jeden treffen können.“Damit fokussiert sie auf die Verteidigung des Angeklagten, die deutlich gemacht hatte, dass es aus ihrer Sicht um einen Streit um einen Sitzplatz beziehungsweise eine mutmaßliche Provokation ging und eben nicht darum, dass hier jemand ausländerfeindlich agiert.
Alexander Giehler wird genau diese Argumente auch dem Bundesgerichtshof vortragen. „Wir werden das Urteil überprüfen lassen und in Revision gehen“, sagt er. Sein Mandant, gegen den noch ein weiterer Haftbefehl offen ist, wurde da gerade von Justizbeamten abgeführt.