Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Oper wird aus dem Museum geholt
In Weimar wagt Direktorin Andrea Moses den staubfreien Blick auf Verdis „Aida“
Mit viel Elan startet Andrea Moses (49) ins neue Amt als DNTOperndirektorin. Die gebürtige Dresdnerin zählt zu den avanciertesten deutschen Regisseurinnen; hierzulande machte sie mit „Salome“und „Elektra“in Meiningen sowie mit „Turandot“, „Chowanschtschina“, „Der Freischütz“und „The Circle“in Weimar von sich reden. Leitungspositionen hatte sie bereits in Dessau und Stuttgart inne, nun setzt die bekennende Brechtianerin ihre Arbeit für ein (geistes-)gegenwärtiges Publikum fort, indem sie Verdis „Aida“buchstäblich im Museum vom Staub der Geschichte befreit. Wir sprachen mit ihr.
Weshalb nehmen Sie sich für Ihre Antrittsinszenierung des Themas Kolonialismus an?
Als mein Vorgänger Hans-Georg Wegner mich vor drei Jahren einlud, „Aida“als Gastregisseurin zu übernehmen, war das noch gar nicht so klar, sondern hat sich erst im Laufe der Recherchen herauskristallisiert. Dabei bin ich auf den Zusammenhang zwischen Napoleons Ägypten-Feldzug, den ein Heer von Wissenschaftlern begleitete, und der Gründung des Louvre, dem ersten fürs Bürgertum zugänglichen Museum in Paris, gestoßen. Für beide Phänomene der kulturellen Aneignung diente Auguste Mariette als eine der Schlüsselfiguren, und er schrieb auch die Fabel für das „Aida“-Libretto. So hat sich, gerade im Sog der aktuellen gesellschaftlichen Debatte, das Thema Kolonialismus auf einem Zeitstrahl über die Einweihung des Suezkanals, für die Verdi mit „Aida“als Festoper beauftragt wurde, bis heute verdichtet.
Wie stellen Sie das auf der Bühne dar?
Wir packen Verdis Oper, die ihn steinreich machte, und diese ihr inhärente imperiale Geste tatsächlich ins Museum. Ob Sie den Louvre darin erkennen wollen, oder auch ans Humboldt-Forum in Berlin denken, ist ganz Ihre Sache. Wir wollen kolonialistische Kontexte freilegen.
Sie haben nicht zufällig ein paar Benin-Bronzen im Bühnenbild versteckt?
Das nicht, dazu hätte das nötige Kleingeld gefehlt. Aber die VerdiTrompeten, die sich in DNT-Beständen fanden und restauriert wurden, werden zum Triumphmarsch aus den Museumsvitrinen genommen und danach wieder dort abgestellt.
Das antike Ägypten dient also als Folie für spätere Kolonialmächte. Verzichten Sie, trotz des Rassismus hellhäutiger Ägypter gegen die Äthiopier, aufs Blackfacing?
Ja. Dialektisch betrachtet ist ein „Critical Whitefacing“besser als jedes Blackfacing. Sie haben mit Ihrer Frage recht, wenn Sie insinuieren, dass diese Cancel-Culture-Debatte vielleicht etwas zu fundamentalistisch geführt wird: Wer darf heute noch wen auf der Bühne repräsentieren? Wenn wir das dogmatisch streng handhaben wollen, können wir unseren Beruf an den Nagel hängen. Blackfacing wurde erfunden, um Schwarze zu diskriminieren. Wenn Weiße sich weiß schminken, denkt jeder diesen Aspekt des Blackfacing mit. Und das finde ich super.
Nach dem Triumphmarsch sieht Verdi einen „Tanz der kleinen Mohren-Sklaven“vor...
Damit gehen wir um, Sie werden schon sehen… Natürlich kann man das nur ironisieren. Aber nochmal: Wenn man Moral auf der Bühne ästhetisiert und das mimetische Prinzip, eine fiktionale Als-ob-Wirklichkeit zu erzeugen, verbietet, bedeutet das ja nicht, dass alle Probleme dadurch gelöst sind. Sondern man vergibt sich lediglich seines Instruments zur Kritik und zur Aufklärung.
Wie politisch kann und muss Oper sein? Ist pure Kulinarik noch vorstellbar?
Für mich persönlich nicht. Darin, die Grand Opéra mit dem psychologischen Kammerspiel zu verbinden, liegt Verdis Meisterschaft. Aber dafür muss man Entsprechungen finden, die einem heutigen Publikum zugänglich sind, es emotional einfangen und im Denken bewegen.
Welche besonderen Akzente wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen? Kommt mehr Zeitgenössisches aufs Tapet?
Ja! Das machen wir im Rahmen eines kleinen, ambitionierten Festivals „Passion :Spiel“. Da können Sie Neues Musiktheater in Weimar erleben. Damit wollen wir die Zuschauerinnen und Zuschauer für Experimentelles, Unerhörtes begeistern – auch wenn die Musik vielleicht mitunter beim ersten Hören etwas ungewohnt erscheinen mag. Wir haben zudem Detlev Glanerts „Caligula“im Spielplan des Großen Hauses, aber Glanert gehört ja zu den meistgespielten Gegenwartskomponisten...
Verschreckt Neue Musik nicht die Bildungsbürger?
Wenn sie’s sind, sind sie offen fürs Neue. Wir spielen ja auch ein traditionelles Repertoire, wollen es uns aber – ohne Dekonstruktion – neu aneignen, indem wir Debatten stiften. Calixto Bieito kommt, Jossi Wieler, Stephan Kimmig – ich bin selber darauf gespannt.
Die Premiere an diesem Sonnabend ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 4. und 27. November sowie am 9., 23. und 28. Dezember