Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Tatorte voller Grauen
Kriminalhauptkommissar Lutz Harder stellt sein neues Buch „Lebendig begraben“vor
Von Müttern, die ihre Kinder töten, von Brandstiftern, Bankräubern, Vergewaltigern, Waffennarren und Selbstmördern erzählt Kriminalhauptkommissar Lutz Harder in seinem Buch „Lebendig begraben“. Anhand von 50 Einzelfällen aus dem Herzen Thüringens gibt er Einblicke in die Arbeit der Kriminaltechnik, versucht, in die Psyche der Täter einzudringen und mit der Romantisierung von Kriminalität in Film und Fernsehen aufzuräumen.
„Ich wollte schon immer zur Polizei gehen“, erzählt Harder beim Gespräch in einem Arnstädter Café. Ursprünglich stammt der 55-Jährige von der Insel Rügen. Nach der Grundausbildung in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern verschlug es ihn 1988 nach Gotha, wo er seinen Polizeidienst antrat. Nach mehreren Studienabschlüssen und über 30 Jahren praktischer Erfahrung gilt er heute als Urgestein der Thüringer Kriminalistik.
Präzise Beschreibungen und kriminalistische Herangehensweise Eine kriminalistische Herangehensweise und präzise Beschreibungen unterscheiden Harders Sachbuch vom Genre der Kriminalromane: „Ich möchte die harte Wirklichkeit aufzeigen.“Und genau das begegnet dem Leser in „Lebendig begraben“: True Crime in allen Facetten – und das direkt vor unserer Haustür.
Am Anfang einer kriminalistischen Untersuchung stehe der objektive Befund der Gesamtsituation, aber auch das Erfassen jeglicher Details. Über die Jahre hat sich Harder so ein fotografisches Gedächtnis antrainiert. „Auch Dinge, die auf den ersten Blick unwichtig erscheinen, müssen dokumentiert werden. Denn gerade Kleinigkeiten können im Verlauf einer Ermittlung besonders relevant werden.“
Jeder kriminalistische Schauplatz gilt zunächst einmal als Ereignisort. „Je nachdem, was die Untersuchung dann ergibt, wird daraus dann zum Beispiel ein Unfallort oder Tatort.“Das machen auch die
Beschreibungen der 50 Fälle aus den Jahren 1988 bis 2016 in seinem Buch deutlich, die er alle persönlich begleitet hat.
Obwohl jeder Fall neu und individuell zu bewerten ist, sei das Erlernen einer gewissen Routine sehr wichtig: „Sie ist ein sehr guter Partner, um aufkommende Emotionen außen vor zu lassen. Dies gelingt meist, wenn man über entsprechende Erfahrung verfügt“, schreibt er bezüglich eines Falls nahe Arnstadt, in dem ein kleines Mädchen aus Eifersucht ihren neugeborenen Bruder tötete.
„Da muss man einfach die Emotionen rausnehmen“, rät er. „Ein lebloser Körper wird nach der Feststellung des Todes zu einer Sache. Und die Aufgabe des Kriminalisten ist es, herauszufinden, warum diese Sache nicht mehr funktioniert.“
Als Quellengrundlage nutzte Harder sein umfangreiches Privatarchiv, das unter anderem Presseartikel lokaler Thüringer Zeitungen
Kriminalhauptkommissar Lutz Harder mit seinem Buch „Lebendig begraben“.
zu Fällen enthält, an denen er mitgearbeitet hat. „Als ich sie in Vorbereitung für das Buch gelesen habe, wurde ich direkt an die Tatorte zurückversetzt. Erinnerungen kamen hoch, sogar Gerüche und Geräusche wurden wieder präsent.“
Sein Archiv nutzt der Hauptkommissar auch für seine Tätigkeit an der Polizeifachhochschule in Meiningen, wo er seit 2017 als Dozent arbeitet und junge Menschen für den Polizeiberuf fit macht. „Ich wollte irgendwann raus aus der Praxis und mein Wissen teilen. Für mich ist das kein Job, sondern eine Berufung.“
Nun liegt „Lebendig begraben“druckfrisch vor, erschienen ist es im Arnstädter Verlag Kirchschlager. Dieser wurde 1995 als Familienbetrieb gegründet und hat sich auf die Herausgabe kriminalhistorischer Sachbücher, wie Kriminalchroniken und Verbrecherbiografien. spezialisiert.
Harder wollte nicht nur sein Lebenswerk in dokumentarischem Stil für die Nachwelt aufbereiten und erhalten. „Es war auch eine Art Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategie des über die Jahre Erlebten“, erklärt er seine Intention, nun auch unter die Autoren zu gehen.
Lutz Harder: „Lebendig Begraben“, erschienen im Verlag Kirchschlager, 14,95 Euro.