Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Komplizierter, als die Polizei erlaubt
Antwort auf die Frage: Wer darf zu welchem Zweck Einsätze fotografieren oder filmen?
Die Gesichter von Polizisten, die bei Routine-Einsätzen gefilmt werden, müssen unkenntlich gemacht werden, wenn diese Bilder ins Netz gestellt werden. Das hat jüngst das Oberlandesgericht Köln (OLG) in einem Urteil entschieden und einen Bonner Youtuber wegen des Verstoßes gegen das Kunst- und Urheberrecht zu 2800 Euro Geldstrafe verurteilt. Aber was heißt das für das Filmen und Fotografieren von Polizei-Einsätzen generell?
Es gehört längst zum Alltag von Polizisten, dass ihre Einsätze von Bürgern mit Hilfe von Smartphones dokumentiert werden. Ende März etwa hatte ein Video für viel Aufsehen erst in den sozialen Medien und dann darüber hinaus gesorgt, das zeigt, wie ein Thüringer Polizist während der Proteste gegen eine Querdenker-Demonstration in Kassel den Kopf einen Gegendemonstrantin mit großer Gewalt in Richtung des Fahrrades drückte, das sie vor sich hergeschoben hatte.
Die Eskalation zwischen Bürger und Beamten führt häufig vor Gericht Angesichts der Omnipräsenz von Smartphones und der darin verbauten hochwertigen Kameras und Mikrofone kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Polizisten und Bürgern, wenn Letztere Beamte und ihre Einsätze mit Hilfe ihrer Telefone dokumentieren und Polizisten sich auf ihr „Recht am eigenen Bild“berufen oder mit anderen Argumenten zu unterbinden versuchen, dass Menschen Polizeieinsätze mit Smartphones begleiten.
Bisweilen geschieht es sogar, dass Polizisten noch auf der Straße von Menschen verlangen, Fotos oder Videos von ihnen und ihren Einsätzen zu löschen – und dabei Einblick in die Mediatheken der Handys haben wollen, in denen bei vielen Menschen oft auch höchstprivate Fotos oder Videos gespeichert sind. Sie wollten, sagen Polizisten dann regelmäßig, sicherstellen, dass auch wirklich alle sie betreffenden Aufnahmen gelöscht worden seien. Kommen Menschen diesem Wunsch nicht nach, werden sie immer wieder in Gewahrsam genommen, wird ihr Handy beschlagnahmt, folgen Ermittlungsverfahren. Mindestens. Es ist deshalb nur logisch, dass immer wieder Gerichte sich mit solchen Vorfällen befassen müssen.
Große Aufmerksamkeit hatte in diesem Zusammenhang zuletzt ein Prozess am Amtsgericht Ilmenau erregt, weil eine Polizeikontrolle in
Neustadt am Rennsteig im April 2020 eskaliert war. Der in dem Verfahren Angeklagte schien ein Video vom Einsatz der Beamte zu drehen. Auch an anderen Thüringer Gerichten sind Verfahren anhängig, die auf einen vergleichbaren Anlass zurückgehen.
Häufig geht die Eskalation, die dann gerichtlich zu bewerten ist, so: Bürger filmt. Polizisten sagen: Lassen Sie das, löschen Sie das. Bürger sagt: Nein. Polizisten wollen Bürger das Handy abnehmen. Bürger sieht sich rechtswidrig behandelt, wehrt sich. Polizisten interpretieren das als Widerstand. Handgemenge. Schlägerei. Doch anders als es dieses so häufige stattfindende Schema nahelegt, ist die Rechtslage zum Dokumentieren von Polizeieinsätzen durch Bürger nicht so eindeutig, wie viele Polizisten glauben, worauf zuletzt ausgerechnet das Thüringer Innenministerium hingewiesen hat. Im Zusammenhang mit zwei parlamentarischen Anfragen aus den Reihen von AfD und Linken hieß es: „Aufnahmen von Polizeibeamten und -beamtinnen sind nicht grundsätzlich verboten.“Erst ein Verbreiten der angefertigten Aufnahmen könne „unter Umständen“dazu führen, dass die „einschlägigen
Vorschriften des Kunsturhebergesetzes“erfüllt würden. Diese Angaben bezieht das Ministerium sowohl auf Bild-, Video- und Tonaufnahmen.
Mit dieser grundsätzlichen Ausführung verweist das Ministerium auf etwas, das auch fachkundige Juristen immer wieder betonen, was aber auf der Straße oft zu kurz kommt, wenn sich Polizisten auf das „Recht am eigenen Bild“berufen: nämlich darauf, dass dieses Recht im Grunde immer erst dann tangiert wird, wenn es um die Veröffentlichung von Aufnahmen geht – nicht aber schon dann, wenn die Aufnahmen mit einem Handy oder ähnlichen Gerät gemacht werden.
Der große Unterschied zwischen Aufnahme und Veröffentlichung Vereinfacht ausgedrückt: Es kann ganz legal sein, Polizisten beim Einsatz zu filmen oder zu fotografieren; und die Aufnahme auf dem Handy zu behalten. Erst, wenn die entsprechende Aufnahme zum Beispiel ins Internet gestellt wird, wäre die Veröffentlichung möglicherweise rechtlich zu beanstanden; aber eben nur die Veröffentlichung, nicht schon das Aufnehmen an sich. Gegen die Aufnahme an sich könnte sich ein Polizist entsprechend auch nicht wehren, ohne sich selbst rechtswidrig zu verhalten. Nicht mit Gewalt. Nicht mit Hilfe des Rechts.
Wie es im Juristendeutsch immer so ist, verweist das Wort „grundsätzlich“in der Antwort des Innenministerium darauf, dass es Ausnahmen vom dem Grundsatz gibt, dass Aufnahmen von Polizisten erlaubt sind. Wenngleich erstens selbst die Ausnahmen juristisch umstritten sind. Wenngleich es zweitens für die Polizisten im Einsatz alles andere als einfach ist, zu erkennen, ob diese Ausnahmen nun erfüllt sind oder nicht.
Die wohl wichtigste dieser vielen Ausnahmen hängt maßgeblich an der Frage, ob Menschen mit ihren Smartphones das aufnehmen, was zwischen Polizisten oder zwischen Polizisten und Dritten gesprochen wird. Oft wird genau das als eine Straftat gewertet, auch von Staatsanwaltschaften und Gerichten, mit Verweis auf den Paragraf 201 des Strafgesetzbuches. Dort ist geregelt, dass derjenige, der „das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt“mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Der Versuch ist auch strafbar. Genau dieser Paragraf hat auch im Verfahren vor dem Amtsgericht Ilmenau eine entscheidende Rolle gespielt, was allerdings auch nicht unumstritten ist. Selbst manche Juristen, die in der Polizeiausbildung tätig sind, argumentieren, jedes Wort, das ein Polizist während seines Dienstes an einen Bürger richte, sei öffentlich. Immerhin trete der Beamte ja nicht als Individuum, sondern als Amtsträger auf. Der Paragraf 201 könne deshalb auf Gespräche zwischen Bürgern und Polizisten nicht angewendet werde. Ein Grundsatzurteil zu dieser offenen Rechtsfrage gibt es nicht. Noch nicht.
Das Beispiel einer Personenkontrolle eignet sich gut, um das deutlich zu machen: Sie aus nächster Nähe zu filmen, dürfte von vielen Gerichten als illegal gewertet werden, Stichwort Paragraf 201. Diese Personenkontrolle aus nächste Nähe zu fotografieren, dürften viele Gerichte aber als erlaubt einstufen, weil da keine Tonspur gespeichert wird. Aber können Polizisten wirklich vom bloßen Beobachten unterscheiden, ob jemand mit seinem Handy von ihnen Fotos macht oder sie filmt? Hält jemand, der fotografiert, sein Smartphone anders als jemand, der damit filmt?
Komplexe Situation lässt Juristen auf Schnarcher und Sänger schauen Mehr noch: Selbst diese Personenkontrolle von der anderen Straßenseite aus zu filmen, dürfte oft als erlaubt eingestuft werden – jedenfalls dann, wenn etwa wegen des Straßenlärms das nicht zu hören ist, was zwischen den Beamten beziehungsweise ihnen und der zu kontrollierenden Person gesprochen wird.
Es gilt also auch: Das oft rigorose Vorgehen von Polizisten gegenüber handyzückenden Bürgern ist nicht nur unangemessen, weil es von einer Rechtssicherheit ausgeht, die es nicht gibt. Bezeichnend für die komplexe Situation ist auch die Fachkommentierung des Paragraf 201. Im aktuellen Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch zeigt sich: Schon was mit dem „gesprochenen Wort“gemeint ist, ist so wenig eindeutig, dass es dort ausführlich beschrieben und differenziert werden muss. Beispielsweise fallen danach Schnarchen und Gähnen nicht unter den Schutzbereich dieses Paragrafen. Singen schon. Was wiederum meint: Einen gähnenden Polizisten zu filmen, könnte sich als erlaubt herausstellen. Bei einem singenden Polizisten wäre das wahrscheinlich anders. Verrückte Welt. Komplizierte Regeln.