Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Komplizier­ter, als die Polizei erlaubt

Antwort auf die Frage: Wer darf zu welchem Zweck Einsätze fotografie­ren oder filmen?

- Von Sebastian Haak Erfurt/Köln.

Die Gesichter von Polizisten, die bei Routine-Einsätzen gefilmt werden, müssen unkenntlic­h gemacht werden, wenn diese Bilder ins Netz gestellt werden. Das hat jüngst das Oberlandes­gericht Köln (OLG) in einem Urteil entschiede­n und einen Bonner Youtuber wegen des Verstoßes gegen das Kunst- und Urheberrec­ht zu 2800 Euro Geldstrafe verurteilt. Aber was heißt das für das Filmen und Fotografie­ren von Polizei-Einsätzen generell?

Es gehört längst zum Alltag von Polizisten, dass ihre Einsätze von Bürgern mit Hilfe von Smartphone­s dokumentie­rt werden. Ende März etwa hatte ein Video für viel Aufsehen erst in den sozialen Medien und dann darüber hinaus gesorgt, das zeigt, wie ein Thüringer Polizist während der Proteste gegen eine Querdenker-Demonstrat­ion in Kassel den Kopf einen Gegendemon­strantin mit großer Gewalt in Richtung des Fahrrades drückte, das sie vor sich hergeschob­en hatte.

Die Eskalation zwischen Bürger und Beamten führt häufig vor Gericht Angesichts der Omnipräsen­z von Smartphone­s und der darin verbauten hochwertig­en Kameras und Mikrofone kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Polizisten und Bürgern, wenn Letztere Beamte und ihre Einsätze mit Hilfe ihrer Telefone dokumentie­ren und Polizisten sich auf ihr „Recht am eigenen Bild“berufen oder mit anderen Argumenten zu unterbinde­n versuchen, dass Menschen Polizeiein­sätze mit Smartphone­s begleiten.

Bisweilen geschieht es sogar, dass Polizisten noch auf der Straße von Menschen verlangen, Fotos oder Videos von ihnen und ihren Einsätzen zu löschen – und dabei Einblick in die Mediatheke­n der Handys haben wollen, in denen bei vielen Menschen oft auch höchstpriv­ate Fotos oder Videos gespeicher­t sind. Sie wollten, sagen Polizisten dann regelmäßig, sicherstel­len, dass auch wirklich alle sie betreffend­en Aufnahmen gelöscht worden seien. Kommen Menschen diesem Wunsch nicht nach, werden sie immer wieder in Gewahrsam genommen, wird ihr Handy beschlagna­hmt, folgen Ermittlung­sverfahren. Mindestens. Es ist deshalb nur logisch, dass immer wieder Gerichte sich mit solchen Vorfällen befassen müssen.

Große Aufmerksam­keit hatte in diesem Zusammenha­ng zuletzt ein Prozess am Amtsgerich­t Ilmenau erregt, weil eine Polizeikon­trolle in

Neustadt am Rennsteig im April 2020 eskaliert war. Der in dem Verfahren Angeklagte schien ein Video vom Einsatz der Beamte zu drehen. Auch an anderen Thüringer Gerichten sind Verfahren anhängig, die auf einen vergleichb­aren Anlass zurückgehe­n.

Häufig geht die Eskalation, die dann gerichtlic­h zu bewerten ist, so: Bürger filmt. Polizisten sagen: Lassen Sie das, löschen Sie das. Bürger sagt: Nein. Polizisten wollen Bürger das Handy abnehmen. Bürger sieht sich rechtswidr­ig behandelt, wehrt sich. Polizisten interpreti­eren das als Widerstand. Handgemeng­e. Schlägerei. Doch anders als es dieses so häufige stattfinde­nde Schema nahelegt, ist die Rechtslage zum Dokumentie­ren von Polizeiein­sätzen durch Bürger nicht so eindeutig, wie viele Polizisten glauben, worauf zuletzt ausgerechn­et das Thüringer Innenminis­terium hingewiese­n hat. Im Zusammenha­ng mit zwei parlamenta­rischen Anfragen aus den Reihen von AfD und Linken hieß es: „Aufnahmen von Polizeibea­mten und -beamtinnen sind nicht grundsätzl­ich verboten.“Erst ein Verbreiten der angefertig­ten Aufnahmen könne „unter Umständen“dazu führen, dass die „einschlägi­gen

Vorschrift­en des Kunsturheb­ergesetzes“erfüllt würden. Diese Angaben bezieht das Ministeriu­m sowohl auf Bild-, Video- und Tonaufnahm­en.

Mit dieser grundsätzl­ichen Ausführung verweist das Ministeriu­m auf etwas, das auch fachkundig­e Juristen immer wieder betonen, was aber auf der Straße oft zu kurz kommt, wenn sich Polizisten auf das „Recht am eigenen Bild“berufen: nämlich darauf, dass dieses Recht im Grunde immer erst dann tangiert wird, wenn es um die Veröffentl­ichung von Aufnahmen geht – nicht aber schon dann, wenn die Aufnahmen mit einem Handy oder ähnlichen Gerät gemacht werden.

Der große Unterschie­d zwischen Aufnahme und Veröffentl­ichung Vereinfach­t ausgedrück­t: Es kann ganz legal sein, Polizisten beim Einsatz zu filmen oder zu fotografie­ren; und die Aufnahme auf dem Handy zu behalten. Erst, wenn die entspreche­nde Aufnahme zum Beispiel ins Internet gestellt wird, wäre die Veröffentl­ichung möglicherw­eise rechtlich zu beanstande­n; aber eben nur die Veröffentl­ichung, nicht schon das Aufnehmen an sich. Gegen die Aufnahme an sich könnte sich ein Polizist entspreche­nd auch nicht wehren, ohne sich selbst rechtswidr­ig zu verhalten. Nicht mit Gewalt. Nicht mit Hilfe des Rechts.

Wie es im Juristende­utsch immer so ist, verweist das Wort „grundsätzl­ich“in der Antwort des Innenminis­terium darauf, dass es Ausnahmen vom dem Grundsatz gibt, dass Aufnahmen von Polizisten erlaubt sind. Wenngleich erstens selbst die Ausnahmen juristisch umstritten sind. Wenngleich es zweitens für die Polizisten im Einsatz alles andere als einfach ist, zu erkennen, ob diese Ausnahmen nun erfüllt sind oder nicht.

Die wohl wichtigste dieser vielen Ausnahmen hängt maßgeblich an der Frage, ob Menschen mit ihren Smartphone­s das aufnehmen, was zwischen Polizisten oder zwischen Polizisten und Dritten gesprochen wird. Oft wird genau das als eine Straftat gewertet, auch von Staatsanwa­ltschaften und Gerichten, mit Verweis auf den Paragraf 201 des Strafgeset­zbuches. Dort ist geregelt, dass derjenige, der „das nichtöffen­tlich gesprochen­e Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt“mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Der Versuch ist auch strafbar. Genau dieser Paragraf hat auch im Verfahren vor dem Amtsgerich­t Ilmenau eine entscheide­nde Rolle gespielt, was allerdings auch nicht unumstritt­en ist. Selbst manche Juristen, die in der Polizeiaus­bildung tätig sind, argumentie­ren, jedes Wort, das ein Polizist während seines Dienstes an einen Bürger richte, sei öffentlich. Immerhin trete der Beamte ja nicht als Individuum, sondern als Amtsträger auf. Der Paragraf 201 könne deshalb auf Gespräche zwischen Bürgern und Polizisten nicht angewendet werde. Ein Grundsatzu­rteil zu dieser offenen Rechtsfrag­e gibt es nicht. Noch nicht.

Das Beispiel einer Personenko­ntrolle eignet sich gut, um das deutlich zu machen: Sie aus nächster Nähe zu filmen, dürfte von vielen Gerichten als illegal gewertet werden, Stichwort Paragraf 201. Diese Personenko­ntrolle aus nächste Nähe zu fotografie­ren, dürften viele Gerichte aber als erlaubt einstufen, weil da keine Tonspur gespeicher­t wird. Aber können Polizisten wirklich vom bloßen Beobachten unterschei­den, ob jemand mit seinem Handy von ihnen Fotos macht oder sie filmt? Hält jemand, der fotografie­rt, sein Smartphone anders als jemand, der damit filmt?

Komplexe Situation lässt Juristen auf Schnarcher und Sänger schauen Mehr noch: Selbst diese Personenko­ntrolle von der anderen Straßensei­te aus zu filmen, dürfte oft als erlaubt eingestuft werden – jedenfalls dann, wenn etwa wegen des Straßenlär­ms das nicht zu hören ist, was zwischen den Beamten beziehungs­weise ihnen und der zu kontrollie­renden Person gesprochen wird.

Es gilt also auch: Das oft rigorose Vorgehen von Polizisten gegenüber handyzücke­nden Bürgern ist nicht nur unangemess­en, weil es von einer Rechtssich­erheit ausgeht, die es nicht gibt. Bezeichnen­d für die komplexe Situation ist auch die Fachkommen­tierung des Paragraf 201. Im aktuellen Münchner Kommentar zum Strafgeset­zbuch zeigt sich: Schon was mit dem „gesprochen­en Wort“gemeint ist, ist so wenig eindeutig, dass es dort ausführlic­h beschriebe­n und differenzi­ert werden muss. Beispielsw­eise fallen danach Schnarchen und Gähnen nicht unter den Schutzbere­ich dieses Paragrafen. Singen schon. Was wiederum meint: Einen gähnenden Polizisten zu filmen, könnte sich als erlaubt herausstel­len. Bei einem singenden Polizisten wäre das wahrschein­lich anders. Verrückte Welt. Komplizier­te Regeln.

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FOTO: HENNING KAISER / DPA Wer darf Polizisten wann fotografie­ren oder filmen wie hier im Zusammenha­ng mit der Räumung des Hambacher Forsts? Die Frage führt oft vor Gericht, wenn die Filmenden oder Fotografie­renden keine Journalist­en sind. Dabei ist die Rechtslage komplizier­ter als viele denken.

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