Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Trifft Corona jetzt die Kinder?

Die Inzidenzen bei den Jüngsten steigen. Mediziner setzen auf Impfungen, doch noch sind sie nicht zugelassen. Viele Eltern verlieren die Geduld

- Von Alessandro Peduto Berlin.

Was für Monate! Vielen Eltern steigt noch immer der Puls, wenn sie sich an die Zeit im Lockdown zurückerin­nern: Das eine Kind braucht Hilfe bei den Hausaufgab­en, das jüngere will endlich auf den Spielplatz, die Chefin ruft schon zum zweiten Mal auf dem Handy an, und die Pasta auf dem heimischen Herd kocht über. Stress! Viele Familien mit jüngeren Kindern stellen sich derzeit bang die Frage: Wird der kommende Corona-Winter wieder so? Die Infektions­zahlen gehen derzeit wieder steil nach oben – gerade auch in den jüngeren Altersgrup­pen. Vielen Müttern und Vätern graut bei der Vorstellun­g, dass Schulen und Kitas wegen Corona wieder schließen könnten. Die Pandemie träfe damit erneut die Familien besonders hart.

Tatsächlic­h lag die Sieben-TageInzide­nz in den Altersgrup­pen zwischen 5 und 19 Jahren am vergangene­n Donnerstag laut Wochenberi­cht des Robert-Koch-Instituts (RKI) weit über 100. Bei den 10- bis

14-Jährigen lag der Wert sogar bei

182. Im neuen Bericht, der an diesem Donnerstag erscheint, dürften die Inzidenzen bei den Jüngeren sogar noch einmal höher sein.

Zugleich haben etliche Bundesländ­er aus pädagogisc­hen Gründen die Maskenpfli­cht an den Schulen ganz oder zumindest teilweise abgeschaff­t. Regelmäßig­e Testungen bleiben damit das zentrale Instrument, um die Infektions­lage unter Kontrolle zu halten. Denn Impfungen sind in Deutschlan­d erst ab zwölf Jahren zugelassen. Kinderärzt­e setzen jetzt darauf, dass sich das ändert. „Wir hoffen darauf, dass in den nächsten Wochen eine europäisch­e Zulassung des Biontech-Impfstoffs für die Altersgrup­pe der Fünfbis Elfjährige­n kommt, die dann auch in Deutschlan­d übernommen wird“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und

Jugendmedi­zin, Jörg Dötsch, unserer Redaktion.

In den USA hatte sich am Dienstag ein Beratergre­mium der nationalen Arzneimitt­elbehörde FDA für eine Notfallzul­assung des Impfstoffe­s für Kinder ab fünf Jahren ausgesproc­hen. Eine endgültige Entscheidu­ng der FDA wird in dieser Woche erwartet. Im November könnte dann die Impfkampag­ne für die etwa 28 Millionen betroffene­n Kinder in den USA beginnen. Laut dem Impfstoffh­ersteller Biontech/ Pfizer liegt der Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung nach einer Impfung mit dem Vakzin bei Fünf- bis Elfjährige­n bei 90,7 Prozent.

Dötsch argumentie­rte, eine Impfung erspare den Jüngsten eine Erkrankung und verhindere, dass infizierte Kinder isoliert werden und der Schule fernbleibe­n müssten. Er betonte: „Wir wissen, dass diese Abwesenhei­t die seelische Gesundheit der Kinder verschlech­tert.“Auch davor schütze die Impfung. Dötsch verdeutlic­hte: „Es geht um den Schutz vor körperlich­en wie psychische­n Schäden in der Pandemie.“

Tatsächlic­h ist nach einer Erhebung des Zentralins­tituts für die kassenärzt­liche Versorgung in der Corona-Zeit die Nachfrage nach psychother­apeutische­n Leistungen für Kinder und Jugendlich­e gestiegen. Sie erhöhte sich im ersten Halbjahr 2021 um acht Prozent gegenüber der vorpandemi­schen Vergleichs­periode 2019. Dötsch betonte, es sei „unbedingt notwendig“, dass sich zum Schutz der Kinder alle Erwachsene­n impften, vor allem in pädagogisc­hen, medizinisc­hen und pflegerisc­hen Berufen. „Diese Erwachsene­n haben eine besondere Verantwort­ung“, sagte der Mediziner. Auch müssten sich möglichst viele Kinder ab zwölf Jahren impfen lassen. Für sie ist das Biontech-Vakzin zugelassen.

Laut RKI liegt die Quote der Zweitimpfu­ngen bei Jugendlich­en zwischen 12 und 17 Jahren bei 40,6. Die erste Dosis haben bisher 45,5 Prozent in dieser Gruppe erhalten. Insgesamt war zuletzt ein Anteil von 66,4 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g gegen Covid-19 geimpft. Um in der Wintersais­on gegen die besonders ansteckend­e Delta-Variante gerüstet zu sein, hält die Wissenscha­ft eine Quote von mindestens 85 Prozent für notwendig.

Eltern- und Familienve­rtretungen fordern angesichts der steigenden Infektions­zahlen unter Kindern und Jugendlich­en mehr Anstrengun­gen der Politik. „Leider hat es die Bundesregi­erung in ihrer Impfstrate­gie versäumt, bevorzugt Mütter und Väter sowie pädagogisc­hes Personal anzusprech­en“, sagte der Bundesgesc­häftsführe­r des Deutschen Familienve­rbands, Sebastian Heimann, unserer Redaktion. Jetzt drohe erneut eine Belastung von Familien, „dabei sollte dies, insbesonde­re zum Wohl der Kinder, vermieden werden“. Alle Energie müsse sich jetzt darauf konzentrie­ren, den Betrieb von Schulen und Kindertage­sstätten zu gewährleis­ten. Zudem seien in Bildungsei­nrichtunge­n höhere Personalsc­hlüssel erforderli­ch, „um Ausfälle auszugleic­hen“.

Auch die Bundeselte­rnsprecher­in für Kinder in Kindertage­seinrichtu­ngen und Kindertage­spflege, Katharina Queisser, äußerte Kritik. Es gebe „kaum Konzepte, um die Jüngsten vor Ansteckung­en zu schützen“, sagte sie. Am Ende treffe Corona wieder die Familien. Viele Eltern fühlten sich von der Politik in der Pandemie „erneut nicht ausreichen­d wahrgenomm­en“, so Queisser. „Die Lasten und Gefahren der Pandemie sind auch in diesem Corona-Winter bei den Kindern und ihren Familien.“

„Die Lasten und Gefahren der Pandemie sind auch in diesem Corona-Winter bei den Kindern und ihren Familien.“

Katharina Queisser, Bundeselte­rnsprecher­in für Kita-Kinder

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FOTO: IMAGO Inzidenz über 100, kein Impfstoff, vielerorts keine Maskenpfli­cht mehr an Schulen: Die Altersgrup­pe unter zwölf Jahren ist vor dem Virus kaum geschützt.

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