Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
So will die Ampel die Corona-Regeln ändern
Die „epidemische Lage nationaler Tragweite“soll Ende November enden. Was das für Beschäftigte bedeutet
Kein Lockdown mehr, keine pauschalen Schulschließungen – aber auch keinen „Freiheitstag“, wie es ihn in anderen Ländern gab: Die möglichen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP wollen in der Pandemiebekämpfung einen neuen Weg einschlagen. Erstmals seit Beginn der Pandemie wird dabei die Corona-Sonderlage enden. Das geht aus einem Eckpunktepapier hervor, das die Verhandler einer Ampel-Koalition am Mittwoch in Berlin vorstellten. Im November soll demnach die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.
„Von einem Freedom Day, zu dem alle Beschränkungen fallen, sind wir noch weit entfernt.“
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer Städte- und Gemeindebund
Was ist die epidemische
Lage von nationaler Tragweite?
Im März 2020, als die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, stellte der Deutsche Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Sie ermöglicht es dem Bundesgesundheitsministerium und der Bundesregierung, Rechtserlasse zu verhängen. So war es mit den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) und der Bundesregierung beispielsweise möglich, wie zuletzt bundeseinheitliche Vorgaben zur Bekämpfung der Pandemie auszugestalten. Alle drei Monate musste die Sonderlage per Mehrheitsbeschluss im Bundestag verlängert werden. Nun wollen die möglichen Partner einer Ampel-Koalition einer Verlängerung nicht mehr zustimmen. Damit endet die epidemische Lage nationaler Tragweite am 24. November.
Sind die Corona-Maßnahmen damit aufgehoben?
Nein. Die möglichen Ampel-Koalitionäre wollen den Bundesländern eine rechtliche Grundlage dafür schaffen, um bis zum Frühlingsanfang am 20. März 2022 Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie durchzusetzen. Dazu zählen etwa die Maskenpflicht oder auch die Pflicht zur Vorlage eines Impf-, Genesenenoder Testnachweises in bestimmten Bereichen. Auch an Abstandsgeboten im öffentlichen Raum können die Länder festhalten.
Warum soll die Notlage inmitten steigender Corona-Zahlen enden? Die Corona-Notlage ist seit Langem umstritten. Vor allem die FDP hatte zuletzt immer wieder kritisiert, dass das Parlament nicht ausreichend in die Entscheidungen zum CoronaKrisenmanagement miteinbezogen werde. Durch die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesregierung habe es zuletzt eine Dominanz der Exekutive gegeben, die das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in das Parlament geschwächt habe, sagte nun der Fraktionsgeschäftsführer der FDP, Marco Buschmann. „Diese absolute Dominanz der Exekutive ist beendet.“
„Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren wird es mit uns nicht mehr geben. Sie sind in der aktuellen Situation auch unverhältnismäßig“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Allerdings stellte er auch klar: „Der 25. November wird kein Freedom Day sein.“Der Begriff „Freedom Day“(englisch für „Freiheitstag“) hatte sich etabliert, nachdem Großbritanniens Premierminister Boris Johnson im Sommer die Corona-Maßnahmen beendet hatte – mittlerweile liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 469,2 und damit so hoch wie in keinem anderen Land. Auch in Deutschland steigen die Fallzahlen an. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag laut Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwoch bei 118,0. Eine Woche zuvor stand sie noch bei 80,4. 23.212 Corona-Neuinfektionen registrierte das RKI. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, warnte angesichts der Entwicklung davor, die Pandemie für überwunden zu erklären. „Von einem teilweise geforderten Freedom Day, zu dem alle Beschränkungen fallen, sind wir noch weit entfernt“, sagte Landsberg unserer Redaktion.
Was bedeuten die Pläne für die Beschäftigten und die Wirtschaft? Maßnahmen in der Corona-Arbeitsschutzverordnung wollen die Ampel-Verhandler bis zum 20. März 2022 verlängern. Die CoronaArbeitsschutzverordnung regelt unter anderem die Testpflicht in Betrieben. Die Bundesländer sollen ihre Firmen auch weiterhin verpflichten dürfen, Hygienekonzepte zu erstellen und Kontaktdaten von Kundinnen und Kunden zu erfassen. Eine Homeoffice-Pflicht soll es dagegen nicht mehr geben, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin
Göring-Eckardt. Eltern sollen mit einer Verlängerung der Sonderregelung zum Kinderkrankengeld entlastet werden. Der Zugang zum Arbeitslosengeld II soll zudem weiterhin vereinfacht möglich sein.
Droht ein neuer Flickenteppich?
Die Uneinheitlichkeiten zwischen den Bundesländern haben immer wieder für Kritik gesorgt. „Das föderale System Deutschlands hat sich in der Pandemie durch ein hohes Maß an Dysfunktionalität ausgezeichnet“, heißt es in einem Schreiben des Beirats Gesundheit des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), das unter anderem von Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt, dem ExBundesgesundheitsminister Daniel Bahr und dem Vorstandsvorsitzenden der DAK Gesundheit, Andreas Storm, unterzeichnet ist und unserer Redaktion vorliegt. Der Verband fordert bundeseinheitliche Regelungen. „Die Einsetzung eines bundesweiten Krisenstabes im Bundeskanzleramt wäre dabei hilfreich, um den Flickenteppich bei den Zuständigkeiten zu beseitigen“, heißt es in dem Schreiben.